durch das Flattern eines Weibchen zu der Begattung ge- reizet wird, als ob es in ihm die Wollust der Liebe ange- facht hätte. Eben so ist es mit den übrigen Arten der Lei- denschaften, die wir auf gleiche Weise betrachten wollen.
§. 570.
Wer kann zweifeln, daß nicht alle Seelenwirkungen der Traurigkeit, der gehinderte Herzschlag, §. 310. 311. und die dazu kommenden willkührlichen Bewegungen von der Vorhersehung der betrübten Leidenschaft, §. 312. nebst den daraus fließenden Folgen einzeln durch bloße Nerven- kräfte vollkommen ersetzet werden können? Sollte man aber bey den meisten Arten der Traurigkeit bis auf ihre er- ste veranlassende Empfindung zurückgehen, und aus ihren äußern sinnlichen Eindrücken allein, z. E. aus den Ner- venwirkungen des Schmerzens, der schwarzen Galle im Magen und in den Gedärmen, der Fehler der Verdauung, u. s. w. alle diese thierische Bewegungen in der Ordnung, wie sie daraus Seelenwirkungen der Traurigkeit werden, nebst allen ihren natürlichen Folgen in der thierischen Oe- conomie, z. E. die verminderte Ausdünstung, das Aech- zen, Weinen, Wehklagen, u. s. w. auf eben die Weise, wie oben bey den Trieben geschehen ist, herleiten, so würde man in der Natur keine Beyspiele davon finden, außer in den Fällen, wo diese betrübte Leidenschaft sich nach der Art, wie ein Trieb, aufs nächste aus den äußern Empfindungen dieser äußern sinnlichen Eindrücke entwickelt; z. E. wenn die ersten äußern sinnlichen Eindrücke der Luft ein neuge- bornes Kind zu Weinen und Wehklagen vermögen, als ob es aus Traurigkeit von erlittenen Schmerzen geschähe, wo- von es doch allem Ansehen nach keine auch nur im gering- sten Grade entwickelte äußere Empfindung haben kann, oder wenn ein enthaupteter Mensch, den man verwun- det, die Hände zusammenschlägt, als ob er sich bekla- gen wollte, u. s. w.
§. 571.
1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw.
durch das Flattern eines Weibchen zu der Begattung ge- reizet wird, als ob es in ihm die Wolluſt der Liebe ange- facht haͤtte. Eben ſo iſt es mit den uͤbrigen Arten der Lei- denſchaften, die wir auf gleiche Weiſe betrachten wollen.
§. 570.
Wer kann zweifeln, daß nicht alle Seelenwirkungen der Traurigkeit, der gehinderte Herzſchlag, §. 310. 311. und die dazu kommenden willkuͤhrlichen Bewegungen von der Vorherſehung der betruͤbten Leidenſchaft, §. 312. nebſt den daraus fließenden Folgen einzeln durch bloße Nerven- kraͤfte vollkommen erſetzet werden koͤnnen? Sollte man aber bey den meiſten Arten der Traurigkeit bis auf ihre er- ſte veranlaſſende Empfindung zuruͤckgehen, und aus ihren aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken allein, z. E. aus den Ner- venwirkungen des Schmerzens, der ſchwarzen Galle im Magen und in den Gedaͤrmen, der Fehler der Verdauung, u. ſ. w. alle dieſe thieriſche Bewegungen in der Ordnung, wie ſie daraus Seelenwirkungen der Traurigkeit werden, nebſt allen ihren natuͤrlichen Folgen in der thieriſchen Oe- conomie, z. E. die verminderte Ausduͤnſtung, das Aech- zen, Weinen, Wehklagen, u. ſ. w. auf eben die Weiſe, wie oben bey den Trieben geſchehen iſt, herleiten, ſo wuͤrde man in der Natur keine Beyſpiele davon finden, außer in den Faͤllen, wo dieſe betruͤbte Leidenſchaft ſich nach der Art, wie ein Trieb, aufs naͤchſte aus den aͤußern Empfindungen dieſer aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke entwickelt; z. E. wenn die erſten aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke der Luft ein neuge- bornes Kind zu Weinen und Wehklagen vermoͤgen, als ob es aus Traurigkeit von erlittenen Schmerzen geſchaͤhe, wo- von es doch allem Anſehen nach keine auch nur im gering- ſten Grade entwickelte aͤußere Empfindung haben kann, oder wenn ein enthaupteter Menſch, den man verwun- det, die Haͤnde zuſammenſchlaͤgt, als ob er ſich bekla- gen wollte, u. ſ. w.
§. 571.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0599"n="575"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw.</hi></fw><lb/>
durch das Flattern eines Weibchen zu der Begattung ge-<lb/>
reizet wird, als ob es in ihm die Wolluſt der Liebe ange-<lb/>
facht haͤtte. Eben ſo iſt es mit den uͤbrigen Arten der Lei-<lb/>
denſchaften, die wir auf gleiche Weiſe betrachten wollen.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 570.</head><lb/><p>Wer kann zweifeln, daß nicht alle Seelenwirkungen<lb/>
der <hirendition="#fr">Traurigkeit,</hi> der gehinderte Herzſchlag, §. 310. 311.<lb/>
und die dazu kommenden willkuͤhrlichen Bewegungen von<lb/>
der Vorherſehung der betruͤbten Leidenſchaft, §. 312. nebſt<lb/>
den daraus fließenden Folgen einzeln durch bloße Nerven-<lb/>
kraͤfte vollkommen erſetzet werden koͤnnen? Sollte man<lb/>
aber bey den meiſten Arten der Traurigkeit bis auf ihre er-<lb/>ſte veranlaſſende Empfindung zuruͤckgehen, und aus ihren<lb/>
aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken allein, z. E. aus den Ner-<lb/>
venwirkungen des Schmerzens, der ſchwarzen Galle im<lb/>
Magen und in den Gedaͤrmen, der Fehler der Verdauung,<lb/>
u. ſ. w. alle dieſe thieriſche Bewegungen in der Ordnung,<lb/>
wie ſie daraus Seelenwirkungen der Traurigkeit werden,<lb/>
nebſt allen ihren natuͤrlichen Folgen in der thieriſchen Oe-<lb/>
conomie, z. E. die verminderte Ausduͤnſtung, das Aech-<lb/>
zen, Weinen, Wehklagen, u. ſ. w. auf eben die Weiſe, wie<lb/>
oben bey den Trieben geſchehen iſt, herleiten, ſo wuͤrde<lb/>
man in der Natur keine Beyſpiele davon finden, außer in<lb/>
den Faͤllen, wo dieſe betruͤbte Leidenſchaft ſich nach der Art,<lb/>
wie ein Trieb, aufs naͤchſte aus den aͤußern Empfindungen<lb/>
dieſer aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke entwickelt; z. E. wenn<lb/>
die erſten aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke der Luft ein neuge-<lb/>
bornes Kind zu Weinen und Wehklagen vermoͤgen, als ob<lb/>
es aus Traurigkeit von erlittenen Schmerzen geſchaͤhe, wo-<lb/>
von es doch allem Anſehen nach keine auch nur im gering-<lb/>ſten Grade entwickelte aͤußere Empfindung haben kann,<lb/>
oder wenn ein enthaupteter Menſch, den man verwun-<lb/>
det, die Haͤnde zuſammenſchlaͤgt, als ob er ſich bekla-<lb/>
gen wollte, u. ſ. w.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">§. 571.</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[575/0599]
1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw.
durch das Flattern eines Weibchen zu der Begattung ge-
reizet wird, als ob es in ihm die Wolluſt der Liebe ange-
facht haͤtte. Eben ſo iſt es mit den uͤbrigen Arten der Lei-
denſchaften, die wir auf gleiche Weiſe betrachten wollen.
§. 570.
Wer kann zweifeln, daß nicht alle Seelenwirkungen
der Traurigkeit, der gehinderte Herzſchlag, §. 310. 311.
und die dazu kommenden willkuͤhrlichen Bewegungen von
der Vorherſehung der betruͤbten Leidenſchaft, §. 312. nebſt
den daraus fließenden Folgen einzeln durch bloße Nerven-
kraͤfte vollkommen erſetzet werden koͤnnen? Sollte man
aber bey den meiſten Arten der Traurigkeit bis auf ihre er-
ſte veranlaſſende Empfindung zuruͤckgehen, und aus ihren
aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken allein, z. E. aus den Ner-
venwirkungen des Schmerzens, der ſchwarzen Galle im
Magen und in den Gedaͤrmen, der Fehler der Verdauung,
u. ſ. w. alle dieſe thieriſche Bewegungen in der Ordnung,
wie ſie daraus Seelenwirkungen der Traurigkeit werden,
nebſt allen ihren natuͤrlichen Folgen in der thieriſchen Oe-
conomie, z. E. die verminderte Ausduͤnſtung, das Aech-
zen, Weinen, Wehklagen, u. ſ. w. auf eben die Weiſe, wie
oben bey den Trieben geſchehen iſt, herleiten, ſo wuͤrde
man in der Natur keine Beyſpiele davon finden, außer in
den Faͤllen, wo dieſe betruͤbte Leidenſchaft ſich nach der Art,
wie ein Trieb, aufs naͤchſte aus den aͤußern Empfindungen
dieſer aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke entwickelt; z. E. wenn
die erſten aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke der Luft ein neuge-
bornes Kind zu Weinen und Wehklagen vermoͤgen, als ob
es aus Traurigkeit von erlittenen Schmerzen geſchaͤhe, wo-
von es doch allem Anſehen nach keine auch nur im gering-
ſten Grade entwickelte aͤußere Empfindung haben kann,
oder wenn ein enthaupteter Menſch, den man verwun-
det, die Haͤnde zuſammenſchlaͤgt, als ob er ſich bekla-
gen wollte, u. ſ. w.
§. 571.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/599>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.