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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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1 Abschn. Ersetz. der Seelenw. durch Nervenw.
Speisen, als eine blos natürliche Folge in der thierischen
Oeconomie nach sich. §. 281. Alle diese Seelenwirkun-
gen des Nahrungstriebes können die Nervenkräfte sogar
bey Thieren ersetzen, welche von Natur bestimmet sind,
durch wahre Triebe regieret zu werden, und desto mehr
wird es bey solchen geschehen können, deren Körper von
Natur so eingerichtet sind, daß die Nervenkräfte bey ihnen
die Stelle der thierischen Seelenkräfte vertreten sollen. §.
439. Eine enthauptete Schildkröte lebet einige Monate.
Sie kann die Uebligkeit von der Entledigung ihres Ma-
gens unmöglich empfinden: gleichwohl müssen diese äußern
sinnlichen Eindrücke in demselben eben so, wie die Unlust
der Uebligkeit, ihre Lebensbewegungen widernatürlich ver-
ändern, indem sie vom Mangel eben so matt und ohnmäch-
tig werden. Jhre Verdauungsgliedmaßen müssen von
diesen äußern sinnlichen Eindrücken der Entledigung eben
so, wie vom Triebe, zu den thierischen Bewegungen, die
die wirkliche Verdauung erfodert, gereizet werden, daß sie
sich stärker winden, und die Verdauungssäfte sich ergießen:
da dieses jeder äußerer sinnlicher Eindruck in den Magen
und die Gedärme thut, so lange das thierische Leben noch
fortwähret: §. 468. und der überzeugendste Beweis, daß
dieses alles in ihm also erfolgen müsse, ist der, daß sich die
zufälligen Seelenwirkungen des Nahrungstriebes, welche
sonst von willkührlichen Vorstellungen herrühren, ebenfalls
als bloße Nervenwirkungen bey ihnen äußern, indem sie
sich aufmachen, umher kriechen und ihre Nahrung suchen.
Bey Thieren, deren Vorstellungskraft noch zweifelhafter
ist, bemerket man eben dasselbe: denn eine enthauptete
Schnecke suchet ihre Nahrung eben so, als im natürlichen
Zustande, und es scheint sogar aus Herrn Schäffers Be-
obachtungen, daß sie es nach der Enthauptung sogar noch
zu vermitteln vermögend sey, sich ihre Nahrung beyzubrin-
gen, und den scheinbaren Trieb zu befriedigen. "Jch schnitte
"sechs nackenden Schnecken die Köpfe und sechs andern den
"Hinterleib mit der Spitze ab. Jch brachte jene sechs

"Schne-
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1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw.
Speiſen, als eine blos natuͤrliche Folge in der thieriſchen
Oeconomie nach ſich. §. 281. Alle dieſe Seelenwirkun-
gen des Nahrungstriebes koͤnnen die Nervenkraͤfte ſogar
bey Thieren erſetzen, welche von Natur beſtimmet ſind,
durch wahre Triebe regieret zu werden, und deſto mehr
wird es bey ſolchen geſchehen koͤnnen, deren Koͤrper von
Natur ſo eingerichtet ſind, daß die Nervenkraͤfte bey ihnen
die Stelle der thieriſchen Seelenkraͤfte vertreten ſollen. §.
439. Eine enthauptete Schildkroͤte lebet einige Monate.
Sie kann die Uebligkeit von der Entledigung ihres Ma-
gens unmoͤglich empfinden: gleichwohl muͤſſen dieſe aͤußern
ſinnlichen Eindruͤcke in demſelben eben ſo, wie die Unluſt
der Uebligkeit, ihre Lebensbewegungen widernatuͤrlich ver-
aͤndern, indem ſie vom Mangel eben ſo matt und ohnmaͤch-
tig werden. Jhre Verdauungsgliedmaßen muͤſſen von
dieſen aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken der Entledigung eben
ſo, wie vom Triebe, zu den thieriſchen Bewegungen, die
die wirkliche Verdauung erfodert, gereizet werden, daß ſie
ſich ſtaͤrker winden, und die Verdauungsſaͤfte ſich ergießen:
da dieſes jeder aͤußerer ſinnlicher Eindruck in den Magen
und die Gedaͤrme thut, ſo lange das thieriſche Leben noch
fortwaͤhret: §. 468. und der uͤberzeugendſte Beweis, daß
dieſes alles in ihm alſo erfolgen muͤſſe, iſt der, daß ſich die
zufaͤlligen Seelenwirkungen des Nahrungstriebes, welche
ſonſt von willkuͤhrlichen Vorſtellungen herruͤhren, ebenfalls
als bloße Nervenwirkungen bey ihnen aͤußern, indem ſie
ſich aufmachen, umher kriechen und ihre Nahrung ſuchen.
Bey Thieren, deren Vorſtellungskraft noch zweifelhafter
iſt, bemerket man eben daſſelbe: denn eine enthauptete
Schnecke ſuchet ihre Nahrung eben ſo, als im natuͤrlichen
Zuſtande, und es ſcheint ſogar aus Herrn Schaͤffers Be-
obachtungen, daß ſie es nach der Enthauptung ſogar noch
zu vermitteln vermoͤgend ſey, ſich ihre Nahrung beyzubrin-
gen, und den ſcheinbaren Trieb zu befriedigen. „Jch ſchnitte
„ſechs nackenden Schnecken die Koͤpfe und ſechs andern den
„Hinterleib mit der Spitze ab. Jch brachte jene ſechs

„Schne-
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[547/0571] 1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw. Speiſen, als eine blos natuͤrliche Folge in der thieriſchen Oeconomie nach ſich. §. 281. Alle dieſe Seelenwirkun- gen des Nahrungstriebes koͤnnen die Nervenkraͤfte ſogar bey Thieren erſetzen, welche von Natur beſtimmet ſind, durch wahre Triebe regieret zu werden, und deſto mehr wird es bey ſolchen geſchehen koͤnnen, deren Koͤrper von Natur ſo eingerichtet ſind, daß die Nervenkraͤfte bey ihnen die Stelle der thieriſchen Seelenkraͤfte vertreten ſollen. §. 439. Eine enthauptete Schildkroͤte lebet einige Monate. Sie kann die Uebligkeit von der Entledigung ihres Ma- gens unmoͤglich empfinden: gleichwohl muͤſſen dieſe aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke in demſelben eben ſo, wie die Unluſt der Uebligkeit, ihre Lebensbewegungen widernatuͤrlich ver- aͤndern, indem ſie vom Mangel eben ſo matt und ohnmaͤch- tig werden. Jhre Verdauungsgliedmaßen muͤſſen von dieſen aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken der Entledigung eben ſo, wie vom Triebe, zu den thieriſchen Bewegungen, die die wirkliche Verdauung erfodert, gereizet werden, daß ſie ſich ſtaͤrker winden, und die Verdauungsſaͤfte ſich ergießen: da dieſes jeder aͤußerer ſinnlicher Eindruck in den Magen und die Gedaͤrme thut, ſo lange das thieriſche Leben noch fortwaͤhret: §. 468. und der uͤberzeugendſte Beweis, daß dieſes alles in ihm alſo erfolgen muͤſſe, iſt der, daß ſich die zufaͤlligen Seelenwirkungen des Nahrungstriebes, welche ſonſt von willkuͤhrlichen Vorſtellungen herruͤhren, ebenfalls als bloße Nervenwirkungen bey ihnen aͤußern, indem ſie ſich aufmachen, umher kriechen und ihre Nahrung ſuchen. Bey Thieren, deren Vorſtellungskraft noch zweifelhafter iſt, bemerket man eben daſſelbe: denn eine enthauptete Schnecke ſuchet ihre Nahrung eben ſo, als im natuͤrlichen Zuſtande, und es ſcheint ſogar aus Herrn Schaͤffers Be- obachtungen, daß ſie es nach der Enthauptung ſogar noch zu vermitteln vermoͤgend ſey, ſich ihre Nahrung beyzubrin- gen, und den ſcheinbaren Trieb zu befriedigen. „Jch ſchnitte „ſechs nackenden Schnecken die Koͤpfe und ſechs andern den „Hinterleib mit der Spitze ab. Jch brachte jene ſechs „Schne- M m 2

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/571>, abgerufen am 23.11.2024.