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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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1 Kap. Die Nervenkräfte überhaupt.
denn man müßte sonst folgenden Schluß gelten lassen, auf
welchem die ganze Verwirrung beruhet, und der doch
grundfalsch ist: Wenn eine thierische Bewegung der Mus-
keln durch ihre Nerven gewirket werden soll, so muß sie
ihren Grund im Gehirne, in der Seele, ja sogar im Wil-
len haben: Thierische Bewegungen der Muskeln also, die
nicht vom Gehirne, nicht von der Seele, nicht vom Wil-
len herrühren können, wie wenn der Nerve eines Muskels
abgebunden, abgeschnitten, eine Bewegung des Muskels
unwillkührlich ist, etc. die werden auch nicht durch die Ner-
ven der Muskeln gewirket. Man sieht augenscheinlich,
daß die Voraussetzung nur von den Seelenwirkungen, nicht
aber von den thierischen Bewegungen der Muskeln über-
haupt wahr sey, §. 357 -- 360. denn es ist schon oben
erwiesen worden, daß man nicht schließen könne: Welche
thierische Bewegungen Seelenwirkungen (nervigte) sind,
das ist, von Vorstellungen und insbesondre vom Willen
abhängen, können nie zugleich, auch nie bloße Nervenwir-
kungen (angeborne Bewegungen) seyn; §. 363. N. 1.
welche thierische Bewegungen keine Seelenwirkungen sind,
die werden auch nicht durch die Nerven gewirket; §. 362.
N. 1. welche thierische Bewegungen durch die Nerven ge-
wirket werden, die sind Seelenwirkungen, oder gar frey-
willige; §. 362. welche thierische Bewegungen wider den
Willen der Seele erfolgen, die können nicht durch die Ner-
ven gewirket werden. §. 367. N. 2.

§. 387.

5. "Die nervigten Bewegungen (Seelenwirkungen)
"hören mit dem Leben auf; die angebornen, (Nervenwir-
"kungen) dauren noch nach dem Tode eine Zeitlang fort;
"jene hebt das Binden des Nerven, die Verletzung des Ge-
"hirns, auf, diese nicht, sondern sie erfolgen auch ohne das
"Gehirn; Theile, die keine Empfindung haben, werden
"beweget; andre, die empfinden, werden nicht beweget.
"Der Wille erreget und hemmet die Nervenbewegungen,

"(Seelen-
B b 2

1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt.
denn man muͤßte ſonſt folgenden Schluß gelten laſſen, auf
welchem die ganze Verwirrung beruhet, und der doch
grundfalſch iſt: Wenn eine thieriſche Bewegung der Mus-
keln durch ihre Nerven gewirket werden ſoll, ſo muß ſie
ihren Grund im Gehirne, in der Seele, ja ſogar im Wil-
len haben: Thieriſche Bewegungen der Muskeln alſo, die
nicht vom Gehirne, nicht von der Seele, nicht vom Wil-
len herruͤhren koͤnnen, wie wenn der Nerve eines Muskels
abgebunden, abgeſchnitten, eine Bewegung des Muskels
unwillkuͤhrlich iſt, ꝛc. die werden auch nicht durch die Ner-
ven der Muskeln gewirket. Man ſieht augenſcheinlich,
daß die Vorausſetzung nur von den Seelenwirkungen, nicht
aber von den thieriſchen Bewegungen der Muskeln uͤber-
haupt wahr ſey, §. 357 — 360. denn es iſt ſchon oben
erwieſen worden, daß man nicht ſchließen koͤnne: Welche
thieriſche Bewegungen Seelenwirkungen (nervigte) ſind,
das iſt, von Vorſtellungen und insbeſondre vom Willen
abhaͤngen, koͤnnen nie zugleich, auch nie bloße Nervenwir-
kungen (angeborne Bewegungen) ſeyn; §. 363. N. 1.
welche thieriſche Bewegungen keine Seelenwirkungen ſind,
die werden auch nicht durch die Nerven gewirket; §. 362.
N. 1. welche thieriſche Bewegungen durch die Nerven ge-
wirket werden, die ſind Seelenwirkungen, oder gar frey-
willige; §. 362. welche thieriſche Bewegungen wider den
Willen der Seele erfolgen, die koͤnnen nicht durch die Ner-
ven gewirket werden. §. 367. N. 2.

§. 387.

5. „Die nervigten Bewegungen (Seelenwirkungen)
„hoͤren mit dem Leben auf; die angebornen, (Nervenwir-
„kungen) dauren noch nach dem Tode eine Zeitlang fort;
„jene hebt das Binden des Nerven, die Verletzung des Ge-
„hirns, auf, dieſe nicht, ſondern ſie erfolgen auch ohne das
„Gehirn; Theile, die keine Empfindung haben, werden
„beweget; andre, die empfinden, werden nicht beweget.
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[387/0411] 1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt. denn man muͤßte ſonſt folgenden Schluß gelten laſſen, auf welchem die ganze Verwirrung beruhet, und der doch grundfalſch iſt: Wenn eine thieriſche Bewegung der Mus- keln durch ihre Nerven gewirket werden ſoll, ſo muß ſie ihren Grund im Gehirne, in der Seele, ja ſogar im Wil- len haben: Thieriſche Bewegungen der Muskeln alſo, die nicht vom Gehirne, nicht von der Seele, nicht vom Wil- len herruͤhren koͤnnen, wie wenn der Nerve eines Muskels abgebunden, abgeſchnitten, eine Bewegung des Muskels unwillkuͤhrlich iſt, ꝛc. die werden auch nicht durch die Ner- ven der Muskeln gewirket. Man ſieht augenſcheinlich, daß die Vorausſetzung nur von den Seelenwirkungen, nicht aber von den thieriſchen Bewegungen der Muskeln uͤber- haupt wahr ſey, §. 357 — 360. denn es iſt ſchon oben erwieſen worden, daß man nicht ſchließen koͤnne: Welche thieriſche Bewegungen Seelenwirkungen (nervigte) ſind, das iſt, von Vorſtellungen und insbeſondre vom Willen abhaͤngen, koͤnnen nie zugleich, auch nie bloße Nervenwir- kungen (angeborne Bewegungen) ſeyn; §. 363. N. 1. welche thieriſche Bewegungen keine Seelenwirkungen ſind, die werden auch nicht durch die Nerven gewirket; §. 362. N. 1. welche thieriſche Bewegungen durch die Nerven ge- wirket werden, die ſind Seelenwirkungen, oder gar frey- willige; §. 362. welche thieriſche Bewegungen wider den Willen der Seele erfolgen, die koͤnnen nicht durch die Ner- ven gewirket werden. §. 367. N. 2. §. 387. 5. „Die nervigten Bewegungen (Seelenwirkungen) „hoͤren mit dem Leben auf; die angebornen, (Nervenwir- „kungen) dauren noch nach dem Tode eine Zeitlang fort; „jene hebt das Binden des Nerven, die Verletzung des Ge- „hirns, auf, dieſe nicht, ſondern ſie erfolgen auch ohne das „Gehirn; Theile, die keine Empfindung haben, werden „beweget; andre, die empfinden, werden nicht beweget. „Der Wille erreget und hemmet die Nervenbewegungen, „(Seelen- B b 2

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/411>, abgerufen am 22.11.2024.