Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
reden hat ihren Ursprung aus der ganz allgemeinen Erfah-
rung, daß bey allen Vorstellungen, die uns entweder
gefallen, oder misfallen, die Bewegung des Herzens, und
überhaupt die von den Physiologen eigentlich so benamten
Lebensbewegungen, merklich verändert werden. Man
saget von einer angenehmen äußern Empfindung einer
Speise, eines Getränks, einer Arzney, daß sie ans Herz
komme, das Herz erquicke, stärke. Eine schöne Aus-
sicht, eine Musik, erheitert die Seele und ermuntert das
Herz. Der Kitzel verändert das Athemholen convulsivisch
und erreget Lachen und den ganzen Umlauf des Bluts.
Der Schmerz machet ein heftiges Fieber und erreget
Seufzen, Stöhnen und Weinen. Ein Trost, ein Zu-
spruch, der uns gefällt, erquicket unser Herz; eine Ermah-
nung, die unsern Beyfall erhält, geht uns zu Herzen; bey
der Erinnerung einer grausamen That empöret sich unser
Herz; bey der Vorhersehung einer großen Freude schlägt
uns das Herz freyer und leichter. Kurz, jede sinnliche
oder verständige Vorstellung, die Lust oder Unlust in der
Seele erwecket, verändert die Bewegung des Herzens und
den Pulsschlag, an welchem auch das Athemholen Theil
nimmt, und hat dadurch einen großen Einfluß in die gan-
ze thierische Oeconomie, welcher einer trocknen Erkenntniß,
einer gleichgültigen äußern Empfindung, Einbildung, Vor-
hersehung und Ueberlegung gänzlich mangelt. Es ist also
ein allgemeines Grundgesetz der thierischen Natur, daß alle
Triebfedern des Gemüths eine besondere Seelenwirkung
mit den übrigen Seelenwirkungen der Vorstellungen verei-
nigen, welche darinn besteht, daß sie die Verrichtungen
der zu den Lebensbewegungen bestimmten mechanischen Ma-
schinen verändern. Da aber die sinnlichen Reizungen,
das ist, die Lust und Unlust der äußern Sinne, §. 80.
und der sinnlichen Vorstellungen, Einbildungen, Vorher-
sehungen, §. 88. ihrer Natur nach stärkere Triebfedern
des Gemüths, als die Bewegungsgründe, sind, §. 53.
88. so ist die Wirkung jener in die Lebensbewegungen über-

haupt

I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
reden hat ihren Urſprung aus der ganz allgemeinen Erfah-
rung, daß bey allen Vorſtellungen, die uns entweder
gefallen, oder misfallen, die Bewegung des Herzens, und
uͤberhaupt die von den Phyſiologen eigentlich ſo benamten
Lebensbewegungen, merklich veraͤndert werden. Man
ſaget von einer angenehmen aͤußern Empfindung einer
Speiſe, eines Getraͤnks, einer Arzney, daß ſie ans Herz
komme, das Herz erquicke, ſtaͤrke. Eine ſchoͤne Aus-
ſicht, eine Muſik, erheitert die Seele und ermuntert das
Herz. Der Kitzel veraͤndert das Athemholen convulſiviſch
und erreget Lachen und den ganzen Umlauf des Bluts.
Der Schmerz machet ein heftiges Fieber und erreget
Seufzen, Stoͤhnen und Weinen. Ein Troſt, ein Zu-
ſpruch, der uns gefaͤllt, erquicket unſer Herz; eine Ermah-
nung, die unſern Beyfall erhaͤlt, geht uns zu Herzen; bey
der Erinnerung einer grauſamen That empoͤret ſich unſer
Herz; bey der Vorherſehung einer großen Freude ſchlaͤgt
uns das Herz freyer und leichter. Kurz, jede ſinnliche
oder verſtaͤndige Vorſtellung, die Luſt oder Unluſt in der
Seele erwecket, veraͤndert die Bewegung des Herzens und
den Pulsſchlag, an welchem auch das Athemholen Theil
nimmt, und hat dadurch einen großen Einfluß in die gan-
ze thieriſche Oeconomie, welcher einer trocknen Erkenntniß,
einer gleichguͤltigen aͤußern Empfindung, Einbildung, Vor-
herſehung und Ueberlegung gaͤnzlich mangelt. Es iſt alſo
ein allgemeines Grundgeſetz der thieriſchen Natur, daß alle
Triebfedern des Gemuͤths eine beſondere Seelenwirkung
mit den uͤbrigen Seelenwirkungen der Vorſtellungen verei-
nigen, welche darinn beſteht, daß ſie die Verrichtungen
der zu den Lebensbewegungen beſtimmten mechaniſchen Ma-
ſchinen veraͤndern. Da aber die ſinnlichen Reizungen,
das iſt, die Luſt und Unluſt der aͤußern Sinne, §. 80.
und der ſinnlichen Vorſtellungen, Einbildungen, Vorher-
ſehungen, §. 88. ihrer Natur nach ſtaͤrkere Triebfedern
des Gemuͤths, als die Bewegungsgruͤnde, ſind, §. 53.
88. ſo iſt die Wirkung jener in die Lebensbewegungen uͤber-

haupt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0252" n="228"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.</hi></fw><lb/>
reden hat ihren Ur&#x017F;prung aus der ganz allgemeinen Erfah-<lb/>
rung, daß bey allen Vor&#x017F;tellungen, die uns entweder<lb/>
gefallen, oder misfallen, die Bewegung des Herzens, und<lb/>
u&#x0364;berhaupt die von den Phy&#x017F;iologen eigentlich &#x017F;o benamten<lb/><hi rendition="#fr">Lebensbewegungen,</hi> merklich vera&#x0364;ndert werden. Man<lb/>
&#x017F;aget von einer angenehmen a&#x0364;ußern Empfindung einer<lb/>
Spei&#x017F;e, eines Getra&#x0364;nks, einer Arzney, daß &#x017F;ie ans Herz<lb/>
komme, das Herz erquicke, &#x017F;ta&#x0364;rke. Eine &#x017F;cho&#x0364;ne Aus-<lb/>
&#x017F;icht, eine Mu&#x017F;ik, erheitert die Seele und ermuntert das<lb/>
Herz. Der Kitzel vera&#x0364;ndert das Athemholen convul&#x017F;ivi&#x017F;ch<lb/>
und erreget Lachen und den ganzen Umlauf des Bluts.<lb/>
Der Schmerz machet ein heftiges Fieber und erreget<lb/>
Seufzen, Sto&#x0364;hnen und Weinen. Ein Tro&#x017F;t, ein Zu-<lb/>
&#x017F;pruch, der uns gefa&#x0364;llt, erquicket un&#x017F;er Herz; eine Ermah-<lb/>
nung, die un&#x017F;ern Beyfall erha&#x0364;lt, geht uns zu Herzen; bey<lb/>
der Erinnerung einer grau&#x017F;amen That empo&#x0364;ret &#x017F;ich un&#x017F;er<lb/>
Herz; bey der Vorher&#x017F;ehung einer großen Freude &#x017F;chla&#x0364;gt<lb/>
uns das Herz freyer und leichter. Kurz, jede &#x017F;innliche<lb/>
oder ver&#x017F;ta&#x0364;ndige Vor&#x017F;tellung, die Lu&#x017F;t oder Unlu&#x017F;t in der<lb/>
Seele erwecket, vera&#x0364;ndert die Bewegung des Herzens und<lb/>
den Puls&#x017F;chlag, an welchem auch das Athemholen Theil<lb/>
nimmt, und hat dadurch einen großen Einfluß in die gan-<lb/>
ze thieri&#x017F;che Oeconomie, welcher einer trocknen Erkenntniß,<lb/>
einer gleichgu&#x0364;ltigen a&#x0364;ußern Empfindung, Einbildung, Vor-<lb/>
her&#x017F;ehung und Ueberlegung ga&#x0364;nzlich mangelt. Es i&#x017F;t al&#x017F;o<lb/>
ein allgemeines Grundge&#x017F;etz der thieri&#x017F;chen Natur, daß alle<lb/>
Triebfedern des Gemu&#x0364;ths eine be&#x017F;ondere Seelenwirkung<lb/>
mit den u&#x0364;brigen Seelenwirkungen der Vor&#x017F;tellungen verei-<lb/>
nigen, welche darinn be&#x017F;teht, daß &#x017F;ie die Verrichtungen<lb/>
der zu den Lebensbewegungen be&#x017F;timmten mechani&#x017F;chen Ma-<lb/>
&#x017F;chinen vera&#x0364;ndern. Da aber die &#x017F;innlichen Reizungen,<lb/>
das i&#x017F;t, die Lu&#x017F;t und Unlu&#x017F;t der a&#x0364;ußern Sinne, §. 80.<lb/>
und der &#x017F;innlichen Vor&#x017F;tellungen, Einbildungen, Vorher-<lb/>
&#x017F;ehungen, §. 88. ihrer Natur nach &#x017F;ta&#x0364;rkere Triebfedern<lb/>
des Gemu&#x0364;ths, als die Bewegungsgru&#x0364;nde, &#x017F;ind, §. 53.<lb/>
88. &#x017F;o i&#x017F;t die Wirkung jener in die Lebensbewegungen u&#x0364;ber-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">haupt</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0252] I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan. reden hat ihren Urſprung aus der ganz allgemeinen Erfah- rung, daß bey allen Vorſtellungen, die uns entweder gefallen, oder misfallen, die Bewegung des Herzens, und uͤberhaupt die von den Phyſiologen eigentlich ſo benamten Lebensbewegungen, merklich veraͤndert werden. Man ſaget von einer angenehmen aͤußern Empfindung einer Speiſe, eines Getraͤnks, einer Arzney, daß ſie ans Herz komme, das Herz erquicke, ſtaͤrke. Eine ſchoͤne Aus- ſicht, eine Muſik, erheitert die Seele und ermuntert das Herz. Der Kitzel veraͤndert das Athemholen convulſiviſch und erreget Lachen und den ganzen Umlauf des Bluts. Der Schmerz machet ein heftiges Fieber und erreget Seufzen, Stoͤhnen und Weinen. Ein Troſt, ein Zu- ſpruch, der uns gefaͤllt, erquicket unſer Herz; eine Ermah- nung, die unſern Beyfall erhaͤlt, geht uns zu Herzen; bey der Erinnerung einer grauſamen That empoͤret ſich unſer Herz; bey der Vorherſehung einer großen Freude ſchlaͤgt uns das Herz freyer und leichter. Kurz, jede ſinnliche oder verſtaͤndige Vorſtellung, die Luſt oder Unluſt in der Seele erwecket, veraͤndert die Bewegung des Herzens und den Pulsſchlag, an welchem auch das Athemholen Theil nimmt, und hat dadurch einen großen Einfluß in die gan- ze thieriſche Oeconomie, welcher einer trocknen Erkenntniß, einer gleichguͤltigen aͤußern Empfindung, Einbildung, Vor- herſehung und Ueberlegung gaͤnzlich mangelt. Es iſt alſo ein allgemeines Grundgeſetz der thieriſchen Natur, daß alle Triebfedern des Gemuͤths eine beſondere Seelenwirkung mit den uͤbrigen Seelenwirkungen der Vorſtellungen verei- nigen, welche darinn beſteht, daß ſie die Verrichtungen der zu den Lebensbewegungen beſtimmten mechaniſchen Ma- ſchinen veraͤndern. Da aber die ſinnlichen Reizungen, das iſt, die Luſt und Unluſt der aͤußern Sinne, §. 80. und der ſinnlichen Vorſtellungen, Einbildungen, Vorher- ſehungen, §. 88. ihrer Natur nach ſtaͤrkere Triebfedern des Gemuͤths, als die Bewegungsgruͤnde, ſind, §. 53. 88. ſo iſt die Wirkung jener in die Lebensbewegungen uͤber- haupt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/252
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/252>, abgerufen am 02.06.2024.