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[N. N.]: Der vollkommene rechtschaffene Welt-Mann. Frankfurt (Main), 1680.

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Welt-Mann.
zu diesem Vorhaben wünschete/ thun mög-
te/ schaffte sie noch eines an die Hand/
welches auch sehr hefftig war/ und nachdem
sie eines mit dem andern wohl vermischet/
ließ sie es ihrem Mann hinterschlucken; a-
ber weil die Beschaffenheiten dieser beyden
Giffte sich gegeneinander widerlich be-
fanden/ so diente eines dem andern vor ein
Gegen-Gifft/ und retteten also diesem
Menschen das Leben/ welcher gestorben wä-
re/ wann seine Frau nur halb so unmensch-
lich gewesen wäre/ als sie war. So last uns
dann gegen eine allzuhefftige Passion eine
andere widerige Passion zuhülffe ruffen/ und
derselben nachdrücklich uns bedienen/ ohne
daß wir uns gegen die Bewegung/ die
uns gefällt/ und die uns dennoch schadet/
im geringsten einlassen.

Die Leute/ die der Gefahr/ so sie nicht
kennen/ unter die Augen gehen/ kan man
nicht kühn heissen. Ein Blinder/ der ge-
rade gegen das Mundloch eines Geschü-
zes/ welches man lösen will/ zugehet/ ver-
dienet mehr Mitleiden als Lob/ weil es gar
gewiß ist/ daß die warhaffte Kühnheit dar-
in bestehet/ daß man der Gefahr nicht nur
ohne Furcht/ sondern auch mit einem Ver-
trauen in die Augen siehet/ und daß man sie

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D 2

Welt-Mann.
zu dieſem Vorhaben wuͤnſchete/ thun moͤg-
te/ ſchaffte ſie noch eines an die Hand/
welches auch ſehr hefftig war/ und nachdem
ſie eines mit dem andern wohl vermiſchet/
ließ ſie es ihrem Mann hinterſchlucken; a-
ber weil die Beſchaffenheiten dieſer beyden
Giffte ſich gegeneinander widerlich be-
fanden/ ſo diente eines dem andern vor ein
Gegen-Gifft/ und retteten alſo dieſem
Menſchen das Leben/ welcher geſtorben waͤ-
re/ wann ſeine Frau nur halb ſo unmenſch-
lich geweſen waͤre/ als ſie war. So laſt uns
dann gegen eine allzuhefftige Paſſion eine
andere widerige Paſſion zuhuͤlffe ruffen/ und
derſelben nachdruͤcklich uns bedienen/ ohne
daß wir uns gegen die Bewegung/ die
uns gefaͤllt/ und die uns dennoch ſchadet/
im geringſten einlaſſen.

Die Leute/ die der Gefahr/ ſo ſie nicht
kennen/ unter die Augen gehen/ kan man
nicht kuͤhn heiſſen. Ein Blinder/ der ge-
rade gegen das Mundloch eines Geſchuͤ-
zes/ welches man loͤſen will/ zugehet/ ver-
dienet mehr Mitleiden als Lob/ weil es gar
gewiß iſt/ daß die warhaffte Kuͤhnheit dar-
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trauen in die Augen ſiehet/ und daß man ſie

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D 2
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[75/0091] Welt-Mann. zu dieſem Vorhaben wuͤnſchete/ thun moͤg- te/ ſchaffte ſie noch eines an die Hand/ welches auch ſehr hefftig war/ und nachdem ſie eines mit dem andern wohl vermiſchet/ ließ ſie es ihrem Mann hinterſchlucken; a- ber weil die Beſchaffenheiten dieſer beyden Giffte ſich gegeneinander widerlich be- fanden/ ſo diente eines dem andern vor ein Gegen-Gifft/ und retteten alſo dieſem Menſchen das Leben/ welcher geſtorben waͤ- re/ wann ſeine Frau nur halb ſo unmenſch- lich geweſen waͤre/ als ſie war. So laſt uns dann gegen eine allzuhefftige Paſſion eine andere widerige Paſſion zuhuͤlffe ruffen/ und derſelben nachdruͤcklich uns bedienen/ ohne daß wir uns gegen die Bewegung/ die uns gefaͤllt/ und die uns dennoch ſchadet/ im geringſten einlaſſen. Die Leute/ die der Gefahr/ ſo ſie nicht kennen/ unter die Augen gehen/ kan man nicht kuͤhn heiſſen. Ein Blinder/ der ge- rade gegen das Mundloch eines Geſchuͤ- zes/ welches man loͤſen will/ zugehet/ ver- dienet mehr Mitleiden als Lob/ weil es gar gewiß iſt/ daß die warhaffte Kuͤhnheit dar- in beſtehet/ daß man der Gefahr nicht nur ohne Furcht/ ſondern auch mit einem Ver- trauen in die Augen ſiehet/ und daß man ſie ent- D 2

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Zitationshilfe: [N. N.]: Der vollkommene rechtschaffene Welt-Mann. Frankfurt (Main), 1680, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unbekannt_weltmann_1680/91>, abgerufen am 25.11.2024.