Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.Meer, unsichres, vielbewegtes, Ohne Grund und ohne Schranken! Wohl auf deiner regen Wüste Mag die irre Sehnsucht schwanken. Fern von Tripolis verschlagen, Irrt die Barke mit dem Sänger; Aeußrem Sturm und innrem Drängen Widersteht Rudell nicht länger. Schwer erkranket liegt er nieder, Aber südwärts schaut er immer, Bis sich hebt am letzten Rand Ein Pallast im Morgenschimmer. Und der Himmel hat Erbarmen Mit des kranken Sängers Flehen, In den Port von Tripolis Fliegt das Schiff mit günst'gem Wehen. Kaum vernimmt die schöne Gräfin, Daß so edler Gast gekommen, Der allein um ihretwillen Ueber's weite Meer geschwommen: Alsobald mit ihren Frauen Steigt sie nieder, unerbeten, Als Rudello, schwanken Ganges, Eben das Gestad betreten. Schon will sie die Hand ihm reichen, Doch ihm dünkt, der Boden schwinde. In des Führers Arme sinkt er, Haucht sein Leben in die Winde. Ihren Sänger ehrt die Herrin Durch ein prächtiges Begängniß, Und ein Grabmal von Porphyr Lehrt sein trauriges Verhängniß. Uhlands Gedichte. 16
Meer, unſichres, vielbewegtes, Ohne Grund und ohne Schranken! Wohl auf deiner regen Wüſte Mag die irre Sehnſucht ſchwanken. Fern von Tripolis verſchlagen, Irrt die Barke mit dem Sänger; Aeußrem Sturm und innrem Drängen Widerſteht Rudell nicht länger. Schwer erkranket liegt er nieder, Aber ſüdwärts ſchaut er immer, Bis ſich hebt am letzten Rand Ein Pallaſt im Morgenſchimmer. Und der Himmel hat Erbarmen Mit des kranken Sängers Flehen, In den Port von Tripolis Fliegt das Schiff mit günſt’gem Wehen. Kaum vernimmt die ſchöne Gräfin, Daß ſo edler Gaſt gekommen, Der allein um ihretwillen Ueber’s weite Meer geſchwommen: Alſobald mit ihren Frauen Steigt ſie nieder, unerbeten, Als Rudello, ſchwanken Ganges, Eben das Geſtad betreten. Schon will ſie die Hand ihm reichen, Doch ihm dünkt, der Boden ſchwinde. In des Führers Arme ſinkt er, Haucht ſein Leben in die Winde. Ihren Sänger ehrt die Herrin Durch ein prächtiges Begängniß, Und ein Grabmal von Porphyr Lehrt ſein trauriges Verhängniß. Uhlands Gedichte. 16
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0247" n="241"/> <l>Meer, unſichres, vielbewegtes,</l><lb/> <l>Ohne Grund und ohne Schranken!</l><lb/> <l>Wohl auf deiner regen Wüſte</l><lb/> <l>Mag die irre Sehnſucht ſchwanken.</l><lb/> <l>Fern von Tripolis verſchlagen,</l><lb/> <l>Irrt die Barke mit dem Sänger;</l><lb/> <l>Aeußrem Sturm und innrem Drängen</l><lb/> <l>Widerſteht Rudell nicht länger.</l><lb/> <l>Schwer erkranket liegt er nieder,</l><lb/> <l>Aber ſüdwärts ſchaut er immer,</l><lb/> <l>Bis ſich hebt am letzten Rand</l><lb/> <l>Ein Pallaſt im Morgenſchimmer.</l><lb/> <l>Und der Himmel hat Erbarmen</l><lb/> <l>Mit des kranken Sängers Flehen,</l><lb/> <l>In den Port von Tripolis</l><lb/> <l>Fliegt das Schiff mit günſt’gem Wehen.</l><lb/> <l>Kaum vernimmt die ſchöne Gräfin,</l><lb/> <l>Daß ſo edler Gaſt gekommen,</l><lb/> <l>Der allein um ihretwillen</l><lb/> <l>Ueber’s weite Meer geſchwommen:</l><lb/> <l>Alſobald mit ihren Frauen</l><lb/> <l>Steigt ſie nieder, unerbeten,</l><lb/> <l>Als Rudello, ſchwanken Ganges,</l><lb/> <l>Eben das Geſtad betreten.</l><lb/> <l>Schon will ſie die Hand ihm reichen,</l><lb/> <l>Doch ihm dünkt, der Boden ſchwinde.</l><lb/> <l>In des Führers Arme ſinkt er,</l><lb/> <l>Haucht ſein Leben in die Winde.</l><lb/> <l>Ihren Sänger ehrt die Herrin</l><lb/> <l>Durch ein prächtiges Begängniß,</l><lb/> <l>Und ein Grabmal von Porphyr</l><lb/> <l>Lehrt ſein trauriges Verhängniß.</l><lb/> <fw place="bottom" type="sig">Uhlands Gedichte. 16</fw><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [241/0247]
Meer, unſichres, vielbewegtes,
Ohne Grund und ohne Schranken!
Wohl auf deiner regen Wüſte
Mag die irre Sehnſucht ſchwanken.
Fern von Tripolis verſchlagen,
Irrt die Barke mit dem Sänger;
Aeußrem Sturm und innrem Drängen
Widerſteht Rudell nicht länger.
Schwer erkranket liegt er nieder,
Aber ſüdwärts ſchaut er immer,
Bis ſich hebt am letzten Rand
Ein Pallaſt im Morgenſchimmer.
Und der Himmel hat Erbarmen
Mit des kranken Sängers Flehen,
In den Port von Tripolis
Fliegt das Schiff mit günſt’gem Wehen.
Kaum vernimmt die ſchöne Gräfin,
Daß ſo edler Gaſt gekommen,
Der allein um ihretwillen
Ueber’s weite Meer geſchwommen:
Alſobald mit ihren Frauen
Steigt ſie nieder, unerbeten,
Als Rudello, ſchwanken Ganges,
Eben das Geſtad betreten.
Schon will ſie die Hand ihm reichen,
Doch ihm dünkt, der Boden ſchwinde.
In des Führers Arme ſinkt er,
Haucht ſein Leben in die Winde.
Ihren Sänger ehrt die Herrin
Durch ein prächtiges Begängniß,
Und ein Grabmal von Porphyr
Lehrt ſein trauriges Verhängniß.
Uhlands Gedichte. 16
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/247 |
Zitationshilfe: | Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/247>, abgerufen am 17.07.2024. |