Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815. Einsiedler. Das Jahr nicht kennend, das der Welt ihn gab, Hat er schon längst auf sechzig sich geschätzt, Doch neigt das Jahr sich wieder, denkt er stets: Ich hab' ein Jährlein leicht zuviel gezählt; So tritt er über sechzig nie hinaus. Eckart. Es liegt ja doch am Ende wenig dran. Einsiedler. Kein Wunder, daß die Zeit ihm stille stand Und daß er meinet, Alles steh' im Alten; Denn kein Ereigniß zeichnet' ihm die Tage, Seitdem der sel'ge Herzog hier gejagt, Noch hört er Kunde von dem Lauf der Welt. Den Wechsel selbst der Jahreszeiten läßt Der Tannenwälder ewig Dunkelgrün, Der Felsen ewig frühlingslose Oede In unsrer Wildniß weniger bemerken. Eckart. Ganz recht! ich hab' es niemals so bedacht. Einsiedler. Ihr Theuersten! des Menschen Leben ist Ein kurzes Blühen und ein langes Welken. Durch diesen einfach langen Wechsel zieht Der Jahreszeiten schneller, bunter Tausch, Und schafft dem Menschen, der, dazwischen stehend, Nicht folgen kann, so manigfaches Weh. Denn wann der Herbst das Feld entblümt, entlaubt, Da trübt sich selbst des frischen Jünglings Sinn, Er muß das Alter kosten vor der Zeit. Einſiedler. Das Jahr nicht kennend, das der Welt ihn gab, Hat er ſchon längſt auf ſechzig ſich geſchätzt, Doch neigt das Jahr ſich wieder, denkt er ſtets: Ich hab’ ein Jährlein leicht zuviel gezählt; So tritt er über ſechzig nie hinaus. Eckart. Es liegt ja doch am Ende wenig dran. Einſiedler. Kein Wunder, daß die Zeit ihm ſtille ſtand Und daß er meinet, Alles ſteh’ im Alten; Denn kein Ereigniß zeichnet’ ihm die Tage, Seitdem der ſel’ge Herzog hier gejagt, Noch hört er Kunde von dem Lauf der Welt. Den Wechſel ſelbſt der Jahreszeiten läßt Der Tannenwälder ewig Dunkelgrün, Der Felſen ewig frühlingsloſe Oede In unſrer Wildniß weniger bemerken. Eckart. Ganz recht! ich hab’ es niemals ſo bedacht. Einſiedler. Ihr Theuerſten! des Menſchen Leben iſt Ein kurzes Blühen und ein langes Welken. Durch dieſen einfach langen Wechſel zieht Der Jahreszeiten ſchneller, bunter Tauſch, Und ſchafft dem Menſchen, der, dazwiſchen ſtehend, Nicht folgen kann, ſo manigfaches Weh. Denn wann der Herbſt das Feld entblümt, entlaubt, Da trübt ſich ſelbſt des friſchen Jünglings Sinn, Er muß das Alter koſten vor der Zeit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0140" n="134"/> <sp who="#EINS"> <speaker><hi rendition="#g">Einſiedler</hi>.</speaker><lb/> <p>Das Jahr nicht kennend, das der Welt ihn gab,<lb/> Hat er ſchon längſt auf ſechzig ſich geſchätzt,<lb/> Doch neigt das Jahr ſich wieder, denkt er ſtets:<lb/> Ich hab’ ein Jährlein leicht zuviel gezählt;<lb/> So tritt er über ſechzig nie hinaus.</p> </sp><lb/> <sp who="#ECK"> <speaker><hi rendition="#g">Eckart</hi>.</speaker><lb/> <p>Es liegt ja doch am Ende wenig dran.</p> </sp><lb/> <sp who="#EINS"> <speaker><hi rendition="#g">Einſiedler</hi>.</speaker><lb/> <p>Kein Wunder, daß die Zeit ihm ſtille ſtand<lb/> Und daß er meinet, Alles ſteh’ im Alten;<lb/> Denn kein Ereigniß zeichnet’ ihm die Tage,<lb/> Seitdem der ſel’ge Herzog hier gejagt,<lb/> Noch hört er Kunde von dem Lauf der Welt.<lb/> Den Wechſel ſelbſt der Jahreszeiten läßt<lb/> Der Tannenwälder ewig Dunkelgrün,<lb/> Der Felſen ewig frühlingsloſe Oede<lb/> In unſrer Wildniß weniger bemerken.</p> </sp><lb/> <sp who="#ECK"> <speaker><hi rendition="#g">Eckart</hi>.</speaker><lb/> <p>Ganz recht! ich hab’ es niemals ſo bedacht.</p> </sp><lb/> <sp who="#EINS"> <speaker><hi rendition="#g">Einſiedler</hi>.</speaker><lb/> <p>Ihr Theuerſten! des Menſchen Leben iſt<lb/> Ein kurzes Blühen und ein langes Welken.<lb/> Durch dieſen einfach langen Wechſel zieht<lb/> Der Jahreszeiten ſchneller, bunter Tauſch,<lb/> Und ſchafft dem Menſchen, der, dazwiſchen ſtehend,<lb/> Nicht folgen kann, ſo manigfaches Weh.<lb/> Denn wann der Herbſt das Feld entblümt, entlaubt,<lb/> Da trübt ſich ſelbſt des friſchen Jünglings Sinn,<lb/> Er muß das Alter koſten vor der Zeit.<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [134/0140]
Einſiedler.
Das Jahr nicht kennend, das der Welt ihn gab,
Hat er ſchon längſt auf ſechzig ſich geſchätzt,
Doch neigt das Jahr ſich wieder, denkt er ſtets:
Ich hab’ ein Jährlein leicht zuviel gezählt;
So tritt er über ſechzig nie hinaus.
Eckart.
Es liegt ja doch am Ende wenig dran.
Einſiedler.
Kein Wunder, daß die Zeit ihm ſtille ſtand
Und daß er meinet, Alles ſteh’ im Alten;
Denn kein Ereigniß zeichnet’ ihm die Tage,
Seitdem der ſel’ge Herzog hier gejagt,
Noch hört er Kunde von dem Lauf der Welt.
Den Wechſel ſelbſt der Jahreszeiten läßt
Der Tannenwälder ewig Dunkelgrün,
Der Felſen ewig frühlingsloſe Oede
In unſrer Wildniß weniger bemerken.
Eckart.
Ganz recht! ich hab’ es niemals ſo bedacht.
Einſiedler.
Ihr Theuerſten! des Menſchen Leben iſt
Ein kurzes Blühen und ein langes Welken.
Durch dieſen einfach langen Wechſel zieht
Der Jahreszeiten ſchneller, bunter Tauſch,
Und ſchafft dem Menſchen, der, dazwiſchen ſtehend,
Nicht folgen kann, ſo manigfaches Weh.
Denn wann der Herbſt das Feld entblümt, entlaubt,
Da trübt ſich ſelbſt des friſchen Jünglings Sinn,
Er muß das Alter koſten vor der Zeit.
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Zitationshilfe: | Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/140>, abgerufen am 16.07.2024. |