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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822.

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mehr zum Beweise des Gegentheils anwenden.
Ist die Psyche nichts ohne den Körper, so kann
sie nur im gesunden Zustande des letztern mit
voller Energie wirken. Besitzt sie eine von
diesem unabhängige Selbstthätigkeit, so lässt sich
einsehen, wie sie da, wo ihre Wirksamkeit we-
niger auf das Organ gerichtet ist, freyer in der
Ideenwelt ihre Flügel schwingen kann.

Wichtiger sind die Gründe, die sich von
der, mit der Ausbildung und dem Altern des
Gehirns in gleichem Verhältniss fortschreitenden
Zu- und Abnahme der Geisteskräfte, von der
Zerrüttung der letztern bey Verletzungen des
Gehirns, und von der Verschiedenheit der Bil-
dung dieses Eingeweides bey den verschiedenen
Thierarten hernehmen lassen. Indess auch diese
Thatsachen lassen sehr verschiedene Folgerungen
zu. Es ist eine Annahme, die keiner Erfahrung
widerspricht, womit sich im Gegentheil manche
Erscheinungen des Schlafwandels in Ueberein-
stimmung bringen lassen, dass der Mensch in
seinem irdischen Zustande ein zweyfaches Le-
ben führt, ein Leben in der Sinnenwelt wäh-
rend des Wachens, und ein anderes in der
Welt der Ideen während des tiefen, von Träu-
men freyen Schlafs. Die Mittelstufe zwischen
beyden ist das Träumen. Aus dem einen Da-
seyn findet keine Erinnerung in dem andern,

wie

mehr zum Beweise des Gegentheils anwenden.
Ist die Psyche nichts ohne den Körper, so kann
sie nur im gesunden Zustande des letztern mit
voller Energie wirken. Besitzt sie eine von
diesem unabhängige Selbstthätigkeit, so läſst sich
einsehen, wie sie da, wo ihre Wirksamkeit we-
niger auf das Organ gerichtet ist, freyer in der
Ideenwelt ihre Flügel schwingen kann.

Wichtiger sind die Gründe, die sich von
der, mit der Ausbildung und dem Altern des
Gehirns in gleichem Verhältniſs fortschreitenden
Zu- und Abnahme der Geisteskräfte, von der
Zerrüttung der letztern bey Verletzungen des
Gehirns, und von der Verschiedenheit der Bil-
dung dieses Eingeweides bey den verschiedenen
Thierarten hernehmen lassen. Indeſs auch diese
Thatsachen lassen sehr verschiedene Folgerungen
zu. Es ist eine Annahme, die keiner Erfahrung
widerspricht, womit sich im Gegentheil manche
Erscheinungen des Schlafwandels in Ueberein-
stimmung bringen lassen, daſs der Mensch in
seinem irdischen Zustande ein zweyfaches Le-
ben führt, ein Leben in der Sinnenwelt wäh-
rend des Wachens, und ein anderes in der
Welt der Ideen während des tiefen, von Träu-
men freyen Schlafs. Die Mittelstufe zwischen
beyden ist das Träumen. Aus dem einen Da-
seyn findet keine Erinnerung in dem andern,

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[70/0082] mehr zum Beweise des Gegentheils anwenden. Ist die Psyche nichts ohne den Körper, so kann sie nur im gesunden Zustande des letztern mit voller Energie wirken. Besitzt sie eine von diesem unabhängige Selbstthätigkeit, so läſst sich einsehen, wie sie da, wo ihre Wirksamkeit we- niger auf das Organ gerichtet ist, freyer in der Ideenwelt ihre Flügel schwingen kann. Wichtiger sind die Gründe, die sich von der, mit der Ausbildung und dem Altern des Gehirns in gleichem Verhältniſs fortschreitenden Zu- und Abnahme der Geisteskräfte, von der Zerrüttung der letztern bey Verletzungen des Gehirns, und von der Verschiedenheit der Bil- dung dieses Eingeweides bey den verschiedenen Thierarten hernehmen lassen. Indeſs auch diese Thatsachen lassen sehr verschiedene Folgerungen zu. Es ist eine Annahme, die keiner Erfahrung widerspricht, womit sich im Gegentheil manche Erscheinungen des Schlafwandels in Ueberein- stimmung bringen lassen, daſs der Mensch in seinem irdischen Zustande ein zweyfaches Le- ben führt, ein Leben in der Sinnenwelt wäh- rend des Wachens, und ein anderes in der Welt der Ideen während des tiefen, von Träu- men freyen Schlafs. Die Mittelstufe zwischen beyden ist das Träumen. Aus dem einen Da- seyn findet keine Erinnerung in dem andern, wie

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/82>, abgerufen am 02.05.2024.