Füssen ins Wasser gesteckt immer wieder auf- taucht, hat keinen Begriff von der Erfahrung in der Physiologie. Der Arzt kann nur auf dem Wege der Induktion zu Resultaten gelangen, und für die Sicherheit seiner Erfahrungen kann ihm nur die Beständigkeit der Erscheinungen bey ver- schiedenen Individuen und unter verschiedenen Umständen bürgen. Nach diesen Kennzeichen geprüft, stehen viele Erfahrungen über den Som- nambulismus so fest, wie irgend eine der Heil- kunde. Wer die zahllose Menge der vorhande- nen magnetistischen Beobachtungen grösstentheils für leere Spreu erklärt, hat gewiss das Recht auf seiner Seite; wer dem thierischen Magnetis- mus als Heilmittel einen weit eingeschränktern Werth beylegt, als demselben zugeschrieben ist, hat ebenfalls wohl nicht Unrecht; wer aber alle Erscheinungen jenes Zustandes bezweifelt, oder aus den dürftigen Lehren eines psychologischen Compendiums erklären zu können glaubt, würde nicht glauben, wenn er auch selber zum Hell- seher gemacht würde, oder hat von der physi- schen und geistigen Natur des Menschen sehr enge Begriffe. Man hat gemeint, jene Erschei- nungen erklärt zu haben, wenn man sie für Wirkungen einer exaltirten Einbildungskraft aus- gab. Allerdings sind sie dies zum Theil auch, nur nicht Wirkungen der beschränkten Kraft, die gewöhnlich Einbildungskraft heisst, sondern einer
Kraft,
Füſsen ins Wasser gesteckt immer wieder auf- taucht, hat keinen Begriff von der Erfahrung in der Physiologie. Der Arzt kann nur auf dem Wege der Induktion zu Resultaten gelangen, und für die Sicherheit seiner Erfahrungen kann ihm nur die Beständigkeit der Erscheinungen bey ver- schiedenen Individuen und unter verschiedenen Umständen bürgen. Nach diesen Kennzeichen geprüft, stehen viele Erfahrungen über den Som- nambulismus so fest, wie irgend eine der Heil- kunde. Wer die zahllose Menge der vorhande- nen magnetistischen Beobachtungen gröſstentheils für leere Spreu erklärt, hat gewiſs das Recht auf seiner Seite; wer dem thierischen Magnetis- mus als Heilmittel einen weit eingeschränktern Werth beylegt, als demselben zugeschrieben ist, hat ebenfalls wohl nicht Unrecht; wer aber alle Erscheinungen jenes Zustandes bezweifelt, oder aus den dürftigen Lehren eines psychologischen Compendiums erklären zu können glaubt, würde nicht glauben, wenn er auch selber zum Hell- seher gemacht würde, oder hat von der physi- schen und geistigen Natur des Menschen sehr enge Begriffe. Man hat gemeint, jene Erschei- nungen erklärt zu haben, wenn man sie für Wirkungen einer exaltirten Einbildungskraft aus- gab. Allerdings sind sie dies zum Theil auch, nur nicht Wirkungen der beschränkten Kraft, die gewöhnlich Einbildungskraft heiſst, sondern einer
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Füſsen ins Wasser gesteckt immer wieder auf-
taucht, hat keinen Begriff von der Erfahrung in
der Physiologie. Der Arzt kann nur auf dem
Wege der Induktion zu Resultaten gelangen, und
für die Sicherheit seiner Erfahrungen kann ihm
nur die Beständigkeit der Erscheinungen bey ver-
schiedenen Individuen und unter verschiedenen
Umständen bürgen. Nach diesen Kennzeichen
geprüft, stehen viele Erfahrungen über den Som-
nambulismus so fest, wie irgend eine der Heil-
kunde. Wer die zahllose Menge der vorhande-
nen magnetistischen Beobachtungen gröſstentheils
für leere Spreu erklärt, hat gewiſs das Recht
auf seiner Seite; wer dem thierischen Magnetis-
mus als Heilmittel einen weit eingeschränktern
Werth beylegt, als demselben zugeschrieben ist,
hat ebenfalls wohl nicht Unrecht; wer aber alle
Erscheinungen jenes Zustandes bezweifelt, oder
aus den dürftigen Lehren eines psychologischen
Compendiums erklären zu können glaubt, würde
nicht glauben, wenn er auch selber zum Hell-
seher gemacht würde, oder hat von der physi-
schen und geistigen Natur des Menschen sehr
enge Begriffe. Man hat gemeint, jene Erschei-
nungen erklärt zu haben, wenn man sie für
Wirkungen einer exaltirten Einbildungskraft aus-
gab. Allerdings sind sie dies zum Theil auch,
nur nicht Wirkungen der beschränkten Kraft, die
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/52>, abgerufen am 24.11.2024.
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