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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822.

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Entfernung ist, desto kurzsichtiger muss das
Auge seyn. Es lässt sich zwar einwenden: eine
grössere Empfänglichkeit der Netzhaut für sicht-
bare Eindrücke könne ersetzen, was diesen
Eindrücken an absoluter Stärke abgeht. Allein
die reitzbarere Retina kann nur von dem Ein-
druck des Lichts und der Farben überhaupt
leichter als die weniger erregbare gerührt wer-
den; zur deutlichen Unterscheidung der Formen
und räumlichen Verhältnisse der Gegenstände
wird immer eine vollkommnere Organisation
des äussern Auges die erste Bedingung seyn.
Jene grössere Empfänglichkeit wird bey hellem
Lichte diese Unterscheidung vielmehr hindern,
als befördern. Das reitzbarere Auge vermag
nur in der Dämmerung oder in der Dunkelheit
die Gegenstände deutlich wahrzunehmen, und,
da unter diesen Umständen von fernern Gegen-
ständen keine Wirkung auf das Auge möglich
ist, so muss es immer kurzsichtig seyn. In den
vorstehenden Tafeln nehmen daher auch die
zur Nachtzeit ihrer Nahrung nachgehenden, oder
in einem wenig erleuchteten Element lebenden
Thiere die Stellen der Kurzsichtigen ein. Nur
die Eule macht hiervon eine merkwürdige Aus-
nahme. Sie bedarf zu ihrer Lebensweise der
Presbyopie. Sie wird aber immer nur in der
Dämmerung oder beym Mondlichte Gebrauch
davon machen können, und nur zu dieser Zeit,

nicht

Entfernung ist, desto kurzsichtiger muſs das
Auge seyn. Es läſst sich zwar einwenden: eine
gröſsere Empfänglichkeit der Netzhaut für sicht-
bare Eindrücke könne ersetzen, was diesen
Eindrücken an absoluter Stärke abgeht. Allein
die reitzbarere Retina kann nur von dem Ein-
druck des Lichts und der Farben überhaupt
leichter als die weniger erregbare gerührt wer-
den; zur deutlichen Unterscheidung der Formen
und räumlichen Verhältnisse der Gegenstände
wird immer eine vollkommnere Organisation
des äuſsern Auges die erste Bedingung seyn.
Jene gröſsere Empfänglichkeit wird bey hellem
Lichte diese Unterscheidung vielmehr hindern,
als befördern. Das reitzbarere Auge vermag
nur in der Dämmerung oder in der Dunkelheit
die Gegenstände deutlich wahrzunehmen, und,
da unter diesen Umständen von fernern Gegen-
ständen keine Wirkung auf das Auge möglich
ist, so muſs es immer kurzsichtig seyn. In den
vorstehenden Tafeln nehmen daher auch die
zur Nachtzeit ihrer Nahrung nachgehenden, oder
in einem wenig erleuchteten Element lebenden
Thiere die Stellen der Kurzsichtigen ein. Nur
die Eule macht hiervon eine merkwürdige Aus-
nahme. Sie bedarf zu ihrer Lebensweise der
Presbyopie. Sie wird aber immer nur in der
Dämmerung oder beym Mondlichte Gebrauch
davon machen können, und nur zu dieser Zeit,

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[462/0484] Entfernung ist, desto kurzsichtiger muſs das Auge seyn. Es läſst sich zwar einwenden: eine gröſsere Empfänglichkeit der Netzhaut für sicht- bare Eindrücke könne ersetzen, was diesen Eindrücken an absoluter Stärke abgeht. Allein die reitzbarere Retina kann nur von dem Ein- druck des Lichts und der Farben überhaupt leichter als die weniger erregbare gerührt wer- den; zur deutlichen Unterscheidung der Formen und räumlichen Verhältnisse der Gegenstände wird immer eine vollkommnere Organisation des äuſsern Auges die erste Bedingung seyn. Jene gröſsere Empfänglichkeit wird bey hellem Lichte diese Unterscheidung vielmehr hindern, als befördern. Das reitzbarere Auge vermag nur in der Dämmerung oder in der Dunkelheit die Gegenstände deutlich wahrzunehmen, und, da unter diesen Umständen von fernern Gegen- ständen keine Wirkung auf das Auge möglich ist, so muſs es immer kurzsichtig seyn. In den vorstehenden Tafeln nehmen daher auch die zur Nachtzeit ihrer Nahrung nachgehenden, oder in einem wenig erleuchteten Element lebenden Thiere die Stellen der Kurzsichtigen ein. Nur die Eule macht hiervon eine merkwürdige Aus- nahme. Sie bedarf zu ihrer Lebensweise der Presbyopie. Sie wird aber immer nur in der Dämmerung oder beym Mondlichte Gebrauch davon machen können, und nur zu dieser Zeit, nicht

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/484>, abgerufen am 17.05.2024.