hund u. s. w. sich unter gleichen Umständen so ganz verschieden benehmen?
In allen diesen Eigenschaften ist zwar der Mensch verschieden von dem Thier, doch auch nicht so verschieden, dass alle Aehnlichkeit zwi- schen beyden aufgehoben wäre. Er besitzt, gleich dem Thier, angeborne Triebe, und diese äussern sich bey ihm um so heftiger, je mehr das moralische Gefühl bey ihm unentwickelt bleibt. Es giebt Thiere, welche morden um zu morden, verwüsten um zu verwüsten, und da- mit Werkzeuge zu höhern Zwecken der physi- schen Weltordnung sind. Das Menschenge- schlecht bringt nicht selten ähnliche Unglückliche hervor, die, obgleich Auswürfe der moralischen Welt, doch mit ihren Trieben dem Organismus der Natur dienen. Diese Fälle gehören zwar unter die Seelenkrankheiten. Sie beweisen aber darum nicht weniger eine Aehnlichkeit des Men- schen mit den Thieren in geistiger Hinsicht. Ein solches lebendiges und regelmässiges Er- wachen jener Bilder, die wir Lebensideale ge- nannt haben, wie mit mehrern Trieben der Thiere verbunden ist, findet zwar beym Men- schen nicht statt. Doch Jeder wird mit Anlagen und Neigungen geboren, zwischen welchen und jenen Trieben der Unterschied nicht so gross ist, wie er obenhin angesehen scheinen mag.
Jeder
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hund u. s. w. sich unter gleichen Umständen so ganz verschieden benehmen?
In allen diesen Eigenschaften ist zwar der Mensch verschieden von dem Thier, doch auch nicht so verschieden, daſs alle Aehnlichkeit zwi- schen beyden aufgehoben wäre. Er besitzt, gleich dem Thier, angeborne Triebe, und diese äuſsern sich bey ihm um so heftiger, je mehr das moralische Gefühl bey ihm unentwickelt bleibt. Es giebt Thiere, welche morden um zu morden, verwüsten um zu verwüsten, und da- mit Werkzeuge zu höhern Zwecken der physi- schen Weltordnung sind. Das Menschenge- schlecht bringt nicht selten ähnliche Unglückliche hervor, die, obgleich Auswürfe der moralischen Welt, doch mit ihren Trieben dem Organismus der Natur dienen. Diese Fälle gehören zwar unter die Seelenkrankheiten. Sie beweisen aber darum nicht weniger eine Aehnlichkeit des Men- schen mit den Thieren in geistiger Hinsicht. Ein solches lebendiges und regelmäſsiges Er- wachen jener Bilder, die wir Lebensideale ge- nannt haben, wie mit mehrern Trieben der Thiere verbunden ist, findet zwar beym Men- schen nicht statt. Doch Jeder wird mit Anlagen und Neigungen geboren, zwischen welchen und jenen Trieben der Unterschied nicht so groſs ist, wie er obenhin angesehen scheinen mag.
Jeder
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hund u. s. w. sich unter gleichen Umständen
so ganz verschieden benehmen?
In allen diesen Eigenschaften ist zwar der
Mensch verschieden von dem Thier, doch auch
nicht so verschieden, daſs alle Aehnlichkeit zwi-
schen beyden aufgehoben wäre. Er besitzt,
gleich dem Thier, angeborne Triebe, und diese
äuſsern sich bey ihm um so heftiger, je mehr
das moralische Gefühl bey ihm unentwickelt
bleibt. Es giebt Thiere, welche morden um zu
morden, verwüsten um zu verwüsten, und da-
mit Werkzeuge zu höhern Zwecken der physi-
schen Weltordnung sind. Das Menschenge-
schlecht bringt nicht selten ähnliche Unglückliche
hervor, die, obgleich Auswürfe der moralischen
Welt, doch mit ihren Trieben dem Organismus
der Natur dienen. Diese Fälle gehören zwar
unter die Seelenkrankheiten. Sie beweisen aber
darum nicht weniger eine Aehnlichkeit des Men-
schen mit den Thieren in geistiger Hinsicht.
Ein solches lebendiges und regelmäſsiges Er-
wachen jener Bilder, die wir Lebensideale ge-
nannt haben, wie mit mehrern Trieben der
Thiere verbunden ist, findet zwar beym Men-
schen nicht statt. Doch Jeder wird mit Anlagen
und Neigungen geboren, zwischen welchen und
jenen Trieben der Unterschied nicht so groſs
ist, wie er obenhin angesehen scheinen mag.
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/31>, abgerufen am 21.11.2024.
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