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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822.

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die Qualitäten der im Speichel aufgelösten Sub-
stanzen. Der letztere ist wohl durch die Ver-
bindung der Zunge mit dem fünften Hirnner-
venpaar bedingt, welches der höhern sensitiven
Sphäre des Gehirns naher als das neunte und
zwölfte Paar entspringt und mit den Nerven
der Verdauung nicht in unmittelbarer Verbin-
dung steht. Der subjektive Geschmack hingegen
scheint mehr von dem Zungenschlundkopfnerven
und dem Zungenfleischnerven abzuhängen, wel-
che ihren Entstehungsort näher dem Ursprunge
der Nerven des vegetativen Lebens haben und
mit dem System sowohl der herumschweifenden
Nerven, als des sympathischen Nerven durch
Verbindungszweige unmittelbar verflochten sind.
Möglich ist es auch, dass, nach Autenrieth's
Vermuthung, der Glossopharyngaeus für andere
Geschmackseindrücke als der Zungenast des
Trigeminus organisirt ist. Doch finde ich in
der Empfänglichkeit der verschiedenen Stellen
der Zunge für verschiedenartige Einwirkungen
so wenig Uebereinstimmung bey verschiedenen
Menschen, dass ich den Erfahrungen, worauf
sich Autenrieth zum Beweise seiner Meinung
beruft, wenig Gewicht beylegen kann. Ueber-
haupt geben alle Versuche über den Einfluss
verschiedener Substanzen auf einzelne Stellen
der Zunge unsichere Resultate, wenn man sie
bey geöffnetem Munde auf der ausgestreckten

Zunge

die Qualitäten der im Speichel aufgelösten Sub-
stanzen. Der letztere ist wohl durch die Ver-
bindung der Zunge mit dem fünften Hirnner-
venpaar bedingt, welches der höhern sensitiven
Sphäre des Gehirns naher als das neunte und
zwölfte Paar entspringt und mit den Nerven
der Verdauung nicht in unmittelbarer Verbin-
dung steht. Der subjektive Geschmack hingegen
scheint mehr von dem Zungenschlundkopfnerven
und dem Zungenfleischnerven abzuhängen, wel-
che ihren Entstehungsort näher dem Ursprunge
der Nerven des vegetativen Lebens haben und
mit dem System sowohl der herumschweifenden
Nerven, als des sympathischen Nerven durch
Verbindungszweige unmittelbar verflochten sind.
Möglich ist es auch, daſs, nach Autenrieth’s
Vermuthung, der Glossopharyngæus für andere
Geschmackseindrücke als der Zungenast des
Trigeminus organisirt ist. Doch finde ich in
der Empfänglichkeit der verschiedenen Stellen
der Zunge für verschiedenartige Einwirkungen
so wenig Uebereinstimmung bey verschiedenen
Menschen, daſs ich den Erfahrungen, worauf
sich Autenrieth zum Beweise seiner Meinung
beruft, wenig Gewicht beylegen kann. Ueber-
haupt geben alle Versuche über den Einfluſs
verschiedener Substanzen auf einzelne Stellen
der Zunge unsichere Resultate, wenn man sie
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[240/0258] die Qualitäten der im Speichel aufgelösten Sub- stanzen. Der letztere ist wohl durch die Ver- bindung der Zunge mit dem fünften Hirnner- venpaar bedingt, welches der höhern sensitiven Sphäre des Gehirns naher als das neunte und zwölfte Paar entspringt und mit den Nerven der Verdauung nicht in unmittelbarer Verbin- dung steht. Der subjektive Geschmack hingegen scheint mehr von dem Zungenschlundkopfnerven und dem Zungenfleischnerven abzuhängen, wel- che ihren Entstehungsort näher dem Ursprunge der Nerven des vegetativen Lebens haben und mit dem System sowohl der herumschweifenden Nerven, als des sympathischen Nerven durch Verbindungszweige unmittelbar verflochten sind. Möglich ist es auch, daſs, nach Autenrieth’s Vermuthung, der Glossopharyngæus für andere Geschmackseindrücke als der Zungenast des Trigeminus organisirt ist. Doch finde ich in der Empfänglichkeit der verschiedenen Stellen der Zunge für verschiedenartige Einwirkungen so wenig Uebereinstimmung bey verschiedenen Menschen, daſs ich den Erfahrungen, worauf sich Autenrieth zum Beweise seiner Meinung beruft, wenig Gewicht beylegen kann. Ueber- haupt geben alle Versuche über den Einfluſs verschiedener Substanzen auf einzelne Stellen der Zunge unsichere Resultate, wenn man sie bey geöffnetem Munde auf der ausgestreckten Zunge

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/258>, abgerufen am 17.05.2024.