Es giebt nur zwey Wege zur Erklärung dieser Anomalien. Man muss entweder voraus- setzen, dass bey den einzelnen Individuen des Menschengeschlechts und der ihm zunächst ste- henden Thiere eben so grosse Abweichungen in der Verbindung der Sehenerven herrschen, wie bey den mancherley Arten der Fische, deren einige sich über einander hinlegende, andere sich nicht kreuzende Sehenerven haben; oder es ist anzunehmen, dass im Chiasma dieser Ner- ven einige Fasern mit einander verflochten sind, andere sich kreuzen, und noch andere durch das Chiasma ohne Ablenkung von ihrem geraden Wege zum Auge ihrer Seite gehen. Die erstere Hypothese lässt sich mit Einschränkung ver- theidigen. Es ist allerdings möglich, dass bey verschiedenen Menschen Abweichungen im Ver- lauf jener Fasern statt finden. Aber es ist un- wahrscheinlich, dass diese Verschiedenheiten be- deutend seyn können. Durch mikroskopische Untersuchungen des Innern horizontal durch- schnittener Verbindungsstellen der Sehenerven an menschlichen Leichen entdeckte dagegen schon Vicq-D'Azyru) einen Lauf der Fasern dieser
Ner-
Erfahrungen enthalten sind, findet man in J. F. Meckel's Handb. der menschl. Anatomie, Th. 3. S. 745 fg. gesammelt.
u) Mem. de l' Acad. des sc. de Paris. A. 1781. p. 554.
VI. Bd. I
Es giebt nur zwey Wege zur Erklärung dieser Anomalien. Man muſs entweder voraus- setzen, daſs bey den einzelnen Individuen des Menschengeschlechts und der ihm zunächst ste- henden Thiere eben so groſse Abweichungen in der Verbindung der Sehenerven herrschen, wie bey den mancherley Arten der Fische, deren einige sich über einander hinlegende, andere sich nicht kreuzende Sehenerven haben; oder es ist anzunehmen, daſs im Chiasma dieser Ner- ven einige Fasern mit einander verflochten sind, andere sich kreuzen, und noch andere durch das Chiasma ohne Ablenkung von ihrem geraden Wege zum Auge ihrer Seite gehen. Die erstere Hypothese läſst sich mit Einschränkung ver- theidigen. Es ist allerdings möglich, daſs bey verschiedenen Menschen Abweichungen im Ver- lauf jener Fasern statt finden. Aber es ist un- wahrscheinlich, daſs diese Verschiedenheiten be- deutend seyn können. Durch mikroskopische Untersuchungen des Innern horizontal durch- schnittener Verbindungsstellen der Sehenerven an menschlichen Leichen entdeckte dagegen schon Vicq-D’Azyru) einen Lauf der Fasern dieser
Ner-
Erfahrungen enthalten sind, findet man in J. F. Meckel’s Handb. der menschl. Anatomie, Th. 3. S. 745 fg. gesammelt.
u) Mém. de l’ Acad. des sc. de Paris. A. 1781. p. 554.
VI. Bd. I
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Es giebt nur zwey Wege zur Erklärung
dieser Anomalien. Man muſs entweder voraus-
setzen, daſs bey den einzelnen Individuen des
Menschengeschlechts und der ihm zunächst ste-
henden Thiere eben so groſse Abweichungen in
der Verbindung der Sehenerven herrschen, wie
bey den mancherley Arten der Fische, deren
einige sich über einander hinlegende, andere
sich nicht kreuzende Sehenerven haben; oder es
ist anzunehmen, daſs im Chiasma dieser Ner-
ven einige Fasern mit einander verflochten sind,
andere sich kreuzen, und noch andere durch
das Chiasma ohne Ablenkung von ihrem geraden
Wege zum Auge ihrer Seite gehen. Die erstere
Hypothese läſst sich mit Einschränkung ver-
theidigen. Es ist allerdings möglich, daſs bey
verschiedenen Menschen Abweichungen im Ver-
lauf jener Fasern statt finden. Aber es ist un-
wahrscheinlich, daſs diese Verschiedenheiten be-
deutend seyn können. Durch mikroskopische
Untersuchungen des Innern horizontal durch-
schnittener Verbindungsstellen der Sehenerven an
menschlichen Leichen entdeckte dagegen schon
Vicq-D’Azyr u) einen Lauf der Fasern dieser
Ner-
t)
u) Mém. de l’ Acad. des sc. de Paris. A. 1781. p. 554.
t) Erfahrungen enthalten sind, findet man in J. F.
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S. 745 fg. gesammelt.
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/145>, abgerufen am 02.05.2024.
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