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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 5. Göttingen, 1818.

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der letztern muss von einer andern Ursache ab-
hängen, einer Wirkung des Lebenden auf das
Lebende und besonders verwandter Wesen auf
einander, vermöge welcher vielleicht auch ohne
sinnliche Eindrücke jener Uebergang der Epilepsie
und anderer Nervenübel von Menschen auf an-
dere eintreten kann. Wer ohne Voraussetzung
einer solchen, von dem denkenden Princip ver-
schiedenen Ursache jene Thatsachen zu begreifen
glaubt, der erkläre, wie selbst der Anblick von
leichten Augenentzündungen, wobey nicht die
mindeste geistige Rührung vorgeht, in manchen
Menschen die nehmliche Krankheit veranlasst.

Wir leiten überhaupt vielleicht zu Vieles aus
blossen psychologischen Gründen ab, dessen Haupt-
ursache in jener Sympathie und Synergie der or-
ganischen Individuen liegt. Die wunderbarsten
und verwickeltsten aller willkührlichen Bewegun-
gen, diejenigen, wodurch die Sprache hervorge-
bracht wird, lernt der Mensch in der Periode
des unbewussten Lebens. Es ist, sagt man, der
Nachahmungstrieb, vermöge welchem die erste
Bildung der Sprachtöne geschieht. Aber jeder
Trieb, der ohne Bewusstseyn durch den Orga-
nismus auf die äussere Welt wirkt, ist nicht
rein geistiger Art, sondern mit in der Organi-
sation begründet. Er ist weit stärker bey dem
blos sinnlichen, als bey dem geistigern Men-

schen.

der letztern muſs von einer andern Ursache ab-
hängen, einer Wirkung des Lebenden auf das
Lebende und besonders verwandter Wesen auf
einander, vermöge welcher vielleicht auch ohne
sinnliche Eindrücke jener Uebergang der Epilepsie
und anderer Nervenübel von Menschen auf an-
dere eintreten kann. Wer ohne Voraussetzung
einer solchen, von dem denkenden Princip ver-
schiedenen Ursache jene Thatsachen zu begreifen
glaubt, der erkläre, wie selbst der Anblick von
leichten Augenentzündungen, wobey nicht die
mindeste geistige Rührung vorgeht, in manchen
Menschen die nehmliche Krankheit veranlaſst.

Wir leiten überhaupt vielleicht zu Vieles aus
bloſsen psychologischen Gründen ab, dessen Haupt-
ursache in jener Sympathie und Synergie der or-
ganischen Individuen liegt. Die wunderbarsten
und verwickeltsten aller willkührlichen Bewegun-
gen, diejenigen, wodurch die Sprache hervorge-
bracht wird, lernt der Mensch in der Periode
des unbewuſsten Lebens. Es ist, sagt man, der
Nachahmungstrieb, vermöge welchem die erste
Bildung der Sprachtöne geschieht. Aber jeder
Trieb, der ohne Bewuſstseyn durch den Orga-
nismus auf die äuſsere Welt wirkt, ist nicht
rein geistiger Art, sondern mit in der Organi-
sation begründet. Er ist weit stärker bey dem
blos sinnlichen, als bey dem geistigern Men-

schen.
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[459/0471] der letztern muſs von einer andern Ursache ab- hängen, einer Wirkung des Lebenden auf das Lebende und besonders verwandter Wesen auf einander, vermöge welcher vielleicht auch ohne sinnliche Eindrücke jener Uebergang der Epilepsie und anderer Nervenübel von Menschen auf an- dere eintreten kann. Wer ohne Voraussetzung einer solchen, von dem denkenden Princip ver- schiedenen Ursache jene Thatsachen zu begreifen glaubt, der erkläre, wie selbst der Anblick von leichten Augenentzündungen, wobey nicht die mindeste geistige Rührung vorgeht, in manchen Menschen die nehmliche Krankheit veranlaſst. Wir leiten überhaupt vielleicht zu Vieles aus bloſsen psychologischen Gründen ab, dessen Haupt- ursache in jener Sympathie und Synergie der or- ganischen Individuen liegt. Die wunderbarsten und verwickeltsten aller willkührlichen Bewegun- gen, diejenigen, wodurch die Sprache hervorge- bracht wird, lernt der Mensch in der Periode des unbewuſsten Lebens. Es ist, sagt man, der Nachahmungstrieb, vermöge welchem die erste Bildung der Sprachtöne geschieht. Aber jeder Trieb, der ohne Bewuſstseyn durch den Orga- nismus auf die äuſsere Welt wirkt, ist nicht rein geistiger Art, sondern mit in der Organi- sation begründet. Er ist weit stärker bey dem blos sinnlichen, als bey dem geistigern Men- schen.

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 5. Göttingen, 1818, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie05_1818/471>, abgerufen am 06.05.2024.