Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

scheinungen", sagt er, "sind nur ein Analogon,
"nur ein scheinbares Leben. Uns ist kein inneres
"reelles Princip bekannt, als die Vorstellungen, an
"denen unsere Sinne nichts Aeusseres wahrnehmen,
"und an denen sie doch was Wirkliches vorstellen".
Allein wir sehen, dass der Herzschlag, die wurm-
förmige Bewegung der Gedärme, und überhaupt
jede thierische Bewegung eine Zeitlang unter Um-
ständen fortdauert, wo keine Einwirkung von Vor-
stellungen auf dieselben mehr statt finden kann.
Sind jene Bewegungen nur ein Analogon des Le-
bens, so frägt sich: was ist denn dieses Analogon?
und so ist das Bedürfniss einer Erklärung nur auf-
geschoben, nicht weggeräumt.

Inzwischen sollte grade jener Doppelsinn uns
nicht zum Leitfaden dienen können, eine richtigere
Erklärung des Lebens zu finden? Der schlichte
Menschenverstand, der die Bedeutung und den Ge-
brauch der Wörter festsetzte, belegte nie zwey ver-
schiedene Subjekte mit einerley Prädikat, wenn
sich ihm nicht Analogien zwischen beyden, ob-
gleich freylich meist nur in dämmernder Ferne,
zeigten. Klären wir also jene Dämmerung auf!
Vielleicht finden wir auf diesem Wege, was wir
suchen.

Der Charakter des geistigen Lebens ist Will-
kühr. Ist also das physische Leben ein Analogon
des geistigen, so muss sich in den Erscheinungen

dessel-

scheinungen”, sagt er, “sind nur ein Analogon,
„nur ein scheinbares Leben. Uns ist kein inneres
„reelles Princip bekannt, als die Vorstellungen, an
„denen unsere Sinne nichts Aeusseres wahrnehmen,
„und an denen sie doch was Wirkliches vorstellen”.
Allein wir sehen, daſs der Herzschlag, die wurm-
förmige Bewegung der Gedärme, und überhaupt
jede thierische Bewegung eine Zeitlang unter Um-
ständen fortdauert, wo keine Einwirkung von Vor-
stellungen auf dieselben mehr statt finden kann.
Sind jene Bewegungen nur ein Analogon des Le-
bens, so frägt sich: was ist denn dieses Analogon?
und so ist das Bedürfniſs einer Erklärung nur auf-
geschoben, nicht weggeräumt.

Inzwischen sollte grade jener Doppelsinn uns
nicht zum Leitfaden dienen können, eine richtigere
Erklärung des Lebens zu finden? Der schlichte
Menschenverstand, der die Bedeutung und den Ge-
brauch der Wörter festsetzte, belegte nie zwey ver-
schiedene Subjekte mit einerley Prädikat, wenn
sich ihm nicht Analogien zwischen beyden, ob-
gleich freylich meist nur in dämmernder Ferne,
zeigten. Klären wir also jene Dämmerung auf!
Vielleicht finden wir auf diesem Wege, was wir
suchen.

Der Charakter des geistigen Lebens ist Will-
kühr. Ist also das physische Leben ein Analogon
des geistigen, so muſs sich in den Erscheinungen

dessel-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="22"/>
scheinungen&#x201D;, sagt er, &#x201C;sind nur ein Analogon,<lb/>
&#x201E;nur ein scheinbares Leben. Uns ist kein inneres<lb/>
&#x201E;reelles Princip bekannt, als die Vorstellungen, an<lb/>
&#x201E;denen unsere Sinne nichts Aeusseres wahrnehmen,<lb/>
&#x201E;und an denen sie doch was Wirkliches vorstellen&#x201D;.<lb/>
Allein wir sehen, da&#x017F;s der Herzschlag, die wurm-<lb/>
förmige Bewegung der Gedärme, und überhaupt<lb/>
jede thierische Bewegung eine Zeitlang unter Um-<lb/>
ständen fortdauert, wo keine Einwirkung von Vor-<lb/>
stellungen auf dieselben mehr statt finden kann.<lb/>
Sind jene Bewegungen nur ein Analogon des Le-<lb/>
bens, so frägt sich: was ist denn dieses Analogon?<lb/>
und so ist das Bedürfni&#x017F;s einer Erklärung nur auf-<lb/>
geschoben, nicht weggeräumt.</p><lb/>
          <p>Inzwischen sollte grade jener Doppelsinn uns<lb/>
nicht zum Leitfaden dienen können, eine richtigere<lb/>
Erklärung des Lebens zu finden? Der schlichte<lb/>
Menschenverstand, der die Bedeutung und den Ge-<lb/>
brauch der Wörter festsetzte, belegte nie zwey ver-<lb/>
schiedene Subjekte mit einerley Prädikat, wenn<lb/>
sich ihm nicht Analogien zwischen beyden, ob-<lb/>
gleich freylich meist nur in dämmernder Ferne,<lb/>
zeigten. Klären wir also jene Dämmerung auf!<lb/>
Vielleicht finden wir auf diesem Wege, was wir<lb/>
suchen.</p><lb/>
          <p>Der Charakter des geistigen Lebens ist Will-<lb/>
kühr. Ist also das physische Leben ein Analogon<lb/>
des geistigen, so mu&#x017F;s sich in den Erscheinungen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dessel-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0042] scheinungen”, sagt er, “sind nur ein Analogon, „nur ein scheinbares Leben. Uns ist kein inneres „reelles Princip bekannt, als die Vorstellungen, an „denen unsere Sinne nichts Aeusseres wahrnehmen, „und an denen sie doch was Wirkliches vorstellen”. Allein wir sehen, daſs der Herzschlag, die wurm- förmige Bewegung der Gedärme, und überhaupt jede thierische Bewegung eine Zeitlang unter Um- ständen fortdauert, wo keine Einwirkung von Vor- stellungen auf dieselben mehr statt finden kann. Sind jene Bewegungen nur ein Analogon des Le- bens, so frägt sich: was ist denn dieses Analogon? und so ist das Bedürfniſs einer Erklärung nur auf- geschoben, nicht weggeräumt. Inzwischen sollte grade jener Doppelsinn uns nicht zum Leitfaden dienen können, eine richtigere Erklärung des Lebens zu finden? Der schlichte Menschenverstand, der die Bedeutung und den Ge- brauch der Wörter festsetzte, belegte nie zwey ver- schiedene Subjekte mit einerley Prädikat, wenn sich ihm nicht Analogien zwischen beyden, ob- gleich freylich meist nur in dämmernder Ferne, zeigten. Klären wir also jene Dämmerung auf! Vielleicht finden wir auf diesem Wege, was wir suchen. Der Charakter des geistigen Lebens ist Will- kühr. Ist also das physische Leben ein Analogon des geistigen, so muſs sich in den Erscheinungen dessel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/42
Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/42>, abgerufen am 19.04.2024.