und begreift man unter jenem Ausdrucke zugleich die Mischung der Theile, so ist die obige Definition einerley mit der Stahlischen, und daher denselben Einwürfen, wie diese, ausgesetzt.
Ausser den beyden angeführten Schwürigkeiten giebt es nun noch ein Drittes, was der Auffindung einer zureichenden Erklärung des Lebens Hinder- nisse in den Weg legt. In allen Sprachen nehmlich wird Leben nicht bloss von der Körper-, sondern auch von der Geisterwelt gebraucht (h). Auch in den Häusern des Orkus, ruft schon Homer aus, lebt die Seele noch, obgleich kein Leichnam dahin kömmt! Hierdurch verführt, verwechseln wir ge- wöhnlich leben und beseelt seyn mit einan- der. Der Ursprung dieser Verwirrung ist leicht zu entdecken. In uns selbst finden wir ein gewisses Etwas, das wir Seele nennen, dessen Wesen im Empfinden, Denken und Wollen besteht, das vom Körper afficirt wird, und wieder zurück auf den Körper wirkt. Wir nehmen ferner wahr, dass die Wirkungen desselben auf den Körper gewisse Be-
we-
(h) Sehr richtig sagt schon Vater: Vita est vocabu- lum nimis ambiguum, et tribuitur spiritibus non minus ac corporibus (Vateri physiol. experim. p. 348). Seine gleich darauf folgende Erklärung des Lebens aber, quod sit motus intestinus et automati- cus, quo corpora generata et viventia nutriuntur et augmentantur, enthält, wie man leicht sieht, einen Cirkel im Erklären.
und begreift man unter jenem Ausdrucke zugleich die Mischung der Theile, so ist die obige Definition einerley mit der Stahlischen, und daher denselben Einwürfen, wie diese, ausgesetzt.
Ausser den beyden angeführten Schwürigkeiten giebt es nun noch ein Drittes, was der Auffindung einer zureichenden Erklärung des Lebens Hinder- nisse in den Weg legt. In allen Sprachen nehmlich wird Leben nicht bloſs von der Körper-, sondern auch von der Geisterwelt gebraucht (h). Auch in den Häusern des Orkus, ruft schon Homer aus, lebt die Seele noch, obgleich kein Leichnam dahin kömmt! Hierdurch verführt, verwechseln wir ge- wöhnlich leben und beseelt seyn mit einan- der. Der Ursprung dieser Verwirrung ist leicht zu entdecken. In uns selbst finden wir ein gewisses Etwas, das wir Seele nennen, dessen Wesen im Empfinden, Denken und Wollen besteht, das vom Körper afficirt wird, und wieder zurück auf den Körper wirkt. Wir nehmen ferner wahr, daſs die Wirkungen desselben auf den Körper gewisse Be-
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(h) Sehr richtig sagt schon Vater: Vita est vocabu- lum nimis ambiguum, et tribuitur spiritibus non minus ac corporibus (Vateri physiol. experim. p. 348). Seine gleich darauf folgende Erklärung des Lebens aber, quod sit motus intestinus et automati- cus, quo corpora generata et viventia nutriuntur et augmentantur, enthält, wie man leicht sieht, einen Cirkel im Erklären.
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und begreift man unter jenem Ausdrucke zugleich
die Mischung der Theile, so ist die obige Definition
einerley mit der Stahlischen, und daher denselben
Einwürfen, wie diese, ausgesetzt.
Ausser den beyden angeführten Schwürigkeiten
giebt es nun noch ein Drittes, was der Auffindung
einer zureichenden Erklärung des Lebens Hinder-
nisse in den Weg legt. In allen Sprachen nehmlich
wird Leben nicht bloſs von der Körper-, sondern
auch von der Geisterwelt gebraucht (h). Auch in
den Häusern des Orkus, ruft schon Homer aus,
lebt die Seele noch, obgleich kein Leichnam dahin
kömmt! Hierdurch verführt, verwechseln wir ge-
wöhnlich leben und beseelt seyn mit einan-
der. Der Ursprung dieser Verwirrung ist leicht zu
entdecken. In uns selbst finden wir ein gewisses
Etwas, das wir Seele nennen, dessen Wesen im
Empfinden, Denken und Wollen besteht, das vom
Körper afficirt wird, und wieder zurück auf den
Körper wirkt. Wir nehmen ferner wahr, daſs die
Wirkungen desselben auf den Körper gewisse Be-
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(h) Sehr richtig sagt schon Vater: Vita est vocabu-
lum nimis ambiguum, et tribuitur spiritibus non
minus ac corporibus (Vateri physiol. experim. p.
348). Seine gleich darauf folgende Erklärung des
Lebens aber, quod sit motus intestinus et automati-
cus, quo corpora generata et viventia nutriuntur et
augmentantur, enthält, wie man leicht sieht, einen
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/40>, abgerufen am 21.11.2024.
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