verschieden seyn, je nachdem sich der Organismus im Fortschreiten zur vita maxima, oder in der Pe- riode des Alters befindet. Im erstern Zeitpunkte wird jede Verminderung der Lebensfähigkeit der Materie durch den Einfluss der belebenden Poten- zen wieder gut gemacht, so lange jene nur nicht eine gewisse Gränze überschreitet. In der letztern Periode hingegen findet keine Einwirkung der be- lebenden Potenzen weiter statt. Jeder Verlust, den die Materie an Lebensfähigkeit erleidet, ist hier un- ersetzbar. Der Organismus steigt desto schneller zur vita minima wieder herab, je mehr er sich den lebenswidrigen Potenzen aussetzt, desto langsa- mer, je mehr er sie vermeidet. Er würde ein ewi- ges Alter leben, wenn er sich ihnen ganz entzie- hen könnte. Allein wenn auch einzelne Einwir- kungen der Aussenwelt für den lebenden Organis- mus zufällig sind, so ist doch keine Möglichkeit für ihn, sich allen ganz zu entziehen. Seine Frey- heit ist beschränkt, und daher auch jene Zufällig- keit. Er kann den Einfluss der lebenswidrigen Potenzen einigermaassen vermeiden, und sein Alter verlängern, aber nicht jenen ganz aufheben, und nicht dem Tode ganz entfliehen.
Nimmt man die natürliche Krankheit des Alters aus, so giebt es nach diesen Voraussetzungen zwey Quellen von Krankheiten: die von verminderter, oder aufgehobener Einwirkung der belebenden Po-
tenzen
verschieden seyn, je nachdem sich der Organismus im Fortschreiten zur vita maxima, oder in der Pe- riode des Alters befindet. Im erstern Zeitpunkte wird jede Verminderung der Lebensfähigkeit der Materie durch den Einfluſs der belebenden Poten- zen wieder gut gemacht, so lange jene nur nicht eine gewisse Gränze überschreitet. In der letztern Periode hingegen findet keine Einwirkung der be- lebenden Potenzen weiter statt. Jeder Verlust, den die Materie an Lebensfähigkeit erleidet, ist hier un- ersetzbar. Der Organismus steigt desto schneller zur vita minima wieder herab, je mehr er sich den lebenswidrigen Potenzen aussetzt, desto langsa- mer, je mehr er sie vermeidet. Er würde ein ewi- ges Alter leben, wenn er sich ihnen ganz entzie- hen könnte. Allein wenn auch einzelne Einwir- kungen der Aussenwelt für den lebenden Organis- mus zufällig sind, so ist doch keine Möglichkeit für ihn, sich allen ganz zu entziehen. Seine Frey- heit ist beschränkt, und daher auch jene Zufällig- keit. Er kann den Einfluſs der lebenswidrigen Potenzen einigermaaſsen vermeiden, und sein Alter verlängern, aber nicht jenen ganz aufheben, und nicht dem Tode ganz entfliehen.
Nimmt man die natürliche Krankheit des Alters aus, so giebt es nach diesen Voraussetzungen zwey Quellen von Krankheiten: die von verminderter, oder aufgehobener Einwirkung der belebenden Po-
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[88/0108]
verschieden seyn, je nachdem sich der Organismus
im Fortschreiten zur vita maxima, oder in der Pe-
riode des Alters befindet. Im erstern Zeitpunkte
wird jede Verminderung der Lebensfähigkeit der
Materie durch den Einfluſs der belebenden Poten-
zen wieder gut gemacht, so lange jene nur nicht
eine gewisse Gränze überschreitet. In der letztern
Periode hingegen findet keine Einwirkung der be-
lebenden Potenzen weiter statt. Jeder Verlust, den
die Materie an Lebensfähigkeit erleidet, ist hier un-
ersetzbar. Der Organismus steigt desto schneller
zur vita minima wieder herab, je mehr er sich den
lebenswidrigen Potenzen aussetzt, desto langsa-
mer, je mehr er sie vermeidet. Er würde ein ewi-
ges Alter leben, wenn er sich ihnen ganz entzie-
hen könnte. Allein wenn auch einzelne Einwir-
kungen der Aussenwelt für den lebenden Organis-
mus zufällig sind, so ist doch keine Möglichkeit
für ihn, sich allen ganz zu entziehen. Seine Frey-
heit ist beschränkt, und daher auch jene Zufällig-
keit. Er kann den Einfluſs der lebenswidrigen
Potenzen einigermaaſsen vermeiden, und sein Alter
verlängern, aber nicht jenen ganz aufheben, und
nicht dem Tode ganz entfliehen.
Nimmt man die natürliche Krankheit des Alters
aus, so giebt es nach diesen Voraussetzungen zwey
Quellen von Krankheiten: die von verminderter,
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/108>, abgerufen am 04.12.2024.
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