der letztern ist die Erzeugung eines neuen Indivi- duums. Aber warum steigt nun dieses Individuum zur vita maxima herauf, indem das, wovon es erzeugt wurde, zur vita minima zurückkehrt? Wodurch wird der Einfluss der belebenden Poten- zen von dem ältern abgelenkt, und auf das jüngere geleitet? Hierauf lässt sich blos bey der Annahme der Evolutionstheorie antworten, und man sieht also, in welches System der Biologie diese gehört. Die Thätigkeit der belebenden Potenzen ist immer auf die Produktion eines neuen Individuums gerich- tet. Jeder lebende Organismus ist nur die Schaale, die ein künftiges Geschlecht einschliesst. Jene lebt nur durch dieses. Aber dieser Kern ist nur ein Kern in Beziehung auf jene Schaale. Auch in ihm ar- beitet schon die Natur auf die Produktion eines neu- en Kerns, und in Beziehung auf den letztern ist er wieder nur eine Schaale, und so geht diese Involu- tion ins Unendliche. Soll hierbey eine Evolution möglich seyn, ohne dass die belebenden Potenzen mit gleicher Intension immerfort extensiv wirken, so darf die Thätigkeit derselben nur bis zu einem gewissen Zeitpunkte mit auf die Schaale gerichtet seyn. Das neue Individuum muss diese durchbre- chen, sobald es eine bestimmte Stufe der Ausbil- dung erreicht hat, und von dieser Zeit an muss jene Thätigkeit sich von der Schaale abwenden, und ausschliesslich dem Kerne widmen. Diese Theorie beantwortet indess nur das Warum? Das
Wie?
der letztern ist die Erzeugung eines neuen Indivi- duums. Aber warum steigt nun dieses Individuum zur vita maxima herauf, indem das, wovon es erzeugt wurde, zur vita minima zurückkehrt? Wodurch wird der Einfluſs der belebenden Poten- zen von dem ältern abgelenkt, und auf das jüngere geleitet? Hierauf läſst sich blos bey der Annahme der Evolutionstheorie antworten, und man sieht also, in welches System der Biologie diese gehört. Die Thätigkeit der belebenden Potenzen ist immer auf die Produktion eines neuen Individuums gerich- tet. Jeder lebende Organismus ist nur die Schaale, die ein künftiges Geschlecht einschlieſst. Jene lebt nur durch dieses. Aber dieser Kern ist nur ein Kern in Beziehung auf jene Schaale. Auch in ihm ar- beitet schon die Natur auf die Produktion eines neu- en Kerns, und in Beziehung auf den letztern ist er wieder nur eine Schaale, und so geht diese Involu- tion ins Unendliche. Soll hierbey eine Evolution möglich seyn, ohne daſs die belebenden Potenzen mit gleicher Intension immerfort extensiv wirken, so darf die Thätigkeit derselben nur bis zu einem gewissen Zeitpunkte mit auf die Schaale gerichtet seyn. Das neue Individuum muſs diese durchbre- chen, sobald es eine bestimmte Stufe der Ausbil- dung erreicht hat, und von dieser Zeit an muſs jene Thätigkeit sich von der Schaale abwenden, und ausschlieſslich dem Kerne widmen. Diese Theorie beantwortet indeſs nur das Warum? Das
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der letztern ist die Erzeugung eines neuen Indivi-
duums. Aber warum steigt nun dieses Individuum
zur vita maxima herauf, indem das, wovon es
erzeugt wurde, zur vita minima zurückkehrt?
Wodurch wird der Einfluſs der belebenden Poten-
zen von dem ältern abgelenkt, und auf das jüngere
geleitet? Hierauf läſst sich blos bey der Annahme
der Evolutionstheorie antworten, und man sieht
also, in welches System der Biologie diese gehört.
Die Thätigkeit der belebenden Potenzen ist immer
auf die Produktion eines neuen Individuums gerich-
tet. Jeder lebende Organismus ist nur die Schaale, die
ein künftiges Geschlecht einschlieſst. Jene lebt nur
durch dieses. Aber dieser Kern ist nur ein Kern
in Beziehung auf jene Schaale. Auch in ihm ar-
beitet schon die Natur auf die Produktion eines neu-
en Kerns, und in Beziehung auf den letztern ist er
wieder nur eine Schaale, und so geht diese Involu-
tion ins Unendliche. Soll hierbey eine Evolution
möglich seyn, ohne daſs die belebenden Potenzen
mit gleicher Intension immerfort extensiv wirken,
so darf die Thätigkeit derselben nur bis zu einem
gewissen Zeitpunkte mit auf die Schaale gerichtet
seyn. Das neue Individuum muſs diese durchbre-
chen, sobald es eine bestimmte Stufe der Ausbil-
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und ausschlieſslich dem Kerne widmen. Diese
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/106>, abgerufen am 04.12.2024.
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