Treuer, Gottlieb Samuel: Die Unveränderliche Tugend Des weyland Durchlauchtigsten Fürsten und Herren, Herren Anthon Ulrichs, Hertzoges zu Braunschweig und Lüneburg. Helmstedt, [1714].Sterbe-Bette vergossen. Wir hatten nicht Zeit an uns zu gedencken / wenn wir IHN vor Augen hatten / uud wir waren nicht bey uns selbst / wenn unsre Sehnsucht den bekümmerten Geist zu seinen Füßen gezogen. Unser Leben schiene an das seinige zu hangen / und da ER uns verlassen wollte / konte IHN unser Hertz ohnmöglich verlassen. Als ER das von der Göttlichen Hand gesteckte gemeine Ziel der Sterblichkeit erreichet hatte / so rieffen wir IHM mit wünschendem Munde ein Plus ultra nach dem andern zu: aber ER ließ öffentlich von sich hören: Nun spüre Er augenscheinlich / daß sein Ende heran nahe / weil die Kräffte auf einmal brächen. Weder unser Verlangen noch unsre Liebe wollte uns vergönnen / solche betrübte Meinung zu fassen. Wir sahen IHN / aber nicht / was ER sahe und bemerckten keine hiezu dienende Veränderungen in seinem Gesichte / das der Röhte des Himmels zu vergleichen war / durch welche ein weißer Strahl der Sonnen herfür bricht. Deßwegen hoffeten wir / der Höchste würde unsere Wünsche erhöret und IHM von unserem Alter einige Jahre zugeleget haben. Das Verhängniß selbst schiene auch scheu zu tragen / ein solches Bild zu zernichten / woran der Himmel so viel Wunder gewiesen. Ja die Natur / so Ihr Recht forderte / probirte nur erst / ob es möglich wäre / daß es fallen könnte / und der Tod schickte viele seiner Schwachheiten vorauff / ehe er selbst zu kommen sich gleichsam getrauete. Es überfiel IHN manchesmal eiue unvermuhtete Entkräfftung / aber sie gieng vorüber / wie ein geschwindes Wetter / welches die Lufft reiniget / und einen desto hellern Sonnenschein nach sich ziehet. Ein solcher Anfall war nichts als eine plötzliche Gelegenheit zu einem Triumphe / der desto herrlicher war / je weniger es das Ansehen dazu hatte. Wenn die Poeten die Gnade hatten / hievon zu tichten / so verglichen sie unsren Hertzog mit Hercule, welcher der vielköpffichten Schlangen einen Halß nach dem andern abgeschlagen / mit jenem Riesen Antaeo, welcher zwar auf die zitternde Erde geworffen ward / aber eben dadurch neue Kräffte bekam / mit dem Phoebo, der nach einer kurtzen Nacht mit desto hellern Strahlen den neblichten Horizont betritt. Wer aber ohne dieser Schmincke redete / muste bekennen / daß da der Hertzog allenthalben etwas außerordentliches wiese / ER auch mit mehr / als menschlichen Kräfften von der gütigen Natur beschencket sey / die sein Temperament von tausend andern durch solche Stärcke unterschieden hatte. Bey dergleichen Zustand fiel und stieg unsre ängstliche Hoffnung / und wir achteten eine Gefahr nicht mehr / die so leicht und geschwinde konte gehoben werden. Doch damahls geriethen wir in ein tieffes Nachsinnen / als der Hertzog anfieng Anstalt zu seiner Grufft zu machen. ER besuchte selbst vor einigen Monathen den schauerigen Platz / wo die verwahrete Asche seiner Durchlauchtigsten Vorfahren ruhet, und die Erklärung seines Vorsatzes hieß: Ich muß den Ort sehen / wohin man mich bald legen wird. ER konnte an einen solchen Ort ohne Furcht stehen / woran wir ohne Furcht nicht gedencken konnten / weil uns immer dabey einfiel / was wir seiner verhaßten Finsterniß würden anvertrauen müssen. IHM deuchtete / wie Er da ruhen werde / und uns / mit was vor Unruhe unsre Hertzen da würden ächtzen müssen. Kaum war das geschehen / so kam ein starcker Anfall nach dem andern / und ob sie gleich unsren HERREN gewaltig angriffen / so wiesen sie doch nirgends solche Macht / als in unsrer Seelen. Bis- Sterbe-Bette vergossen. Wir hatten nicht Zeit an uns zu gedencken / wenn wir IHN vor Augen hatten / uud wir waren nicht bey uns selbst / wenn unsre Sehnsucht den bekümmerten Geist zu seinen Füßen gezogen. Unser Leben schiene an das seinige zu hangen / und da ER uns verlassen wollte / konte IHN unser Hertz ohnmöglich verlassen. Als ER das von der Göttlichen Hand gesteckte gemeine Ziel der Sterblichkeit erreichet hatte / so rieffen wir IHM mit wünschendem Munde ein Plus ultra nach dem andern zu: aber ER ließ öffentlich von sich hören: Nun spüre Er augenscheinlich / daß sein Ende heran nahe / weil die Kräffte auf einmal brächen. Weder unser Verlangen noch unsre Liebe wollte uns vergönnen / solche betrübte Meinung zu fassen. Wir sahen IHN / aber nicht / was ER sahe und bemerckten keine hiezu dienende Veränderungen in seinem Gesichte / das der Röhte des Himmels zu vergleichen war / durch welche ein weißer Strahl der Sonnen herfür bricht. Deßwegen hoffeten wir / der Höchste würde unsere Wünsche erhöret und IHM von unserem Alter einige Jahre zugeleget haben. Das Verhängniß selbst schiene auch scheu zu tragen / ein solches Bild zu zernichten / woran der Himmel so viel Wunder gewiesen. Ja die Natur / so Ihr Recht forderte / probirte nur erst / ob es möglich wäre / daß es fallen könnte / und der Tod schickte viele seiner Schwachheiten vorauff / ehe er selbst zu kommen sich gleichsam getrauete. Es überfiel IHN manchesmal eiue unvermuhtete Entkräfftung / aber sie gieng vorüber / wie ein geschwindes Wetter / welches die Lufft reiniget / und einen desto hellern Sonnenschein nach sich ziehet. Ein solcher Anfall war nichts als eine plötzliche Gelegenheit zu einem Triumphe / der desto herrlicher war / je weniger es das Ansehen dazu hatte. Wenn die Poeten die Gnade hatten / hievon zu tichten / so verglichen sie unsren Hertzog mit Hercule, welcher der vielköpffichten Schlangen einen Halß nach dem andern abgeschlagen / mit jenem Riesen Antaeo, welcher zwar auf die zitternde Erde geworffen ward / aber eben dadurch neue Kräffte bekam / mit dem Phoebo, der nach einer kurtzen Nacht mit desto hellern Strahlen den neblichten Horizont betritt. Wer aber ohne dieser Schmincke redete / muste bekennen / daß da der Hertzog allenthalben etwas außerordentliches wiese / ER auch mit mehr / als menschlichen Kräfften von der gütigen Natur beschencket sey / die sein Temperament von tausend andern durch solche Stärcke unterschieden hatte. Bey dergleichen Zustand fiel und stieg unsre ängstliche Hoffnung / und wir achteten eine Gefahr nicht mehr / die so leicht und geschwinde konte gehoben werden. Doch damahls geriethen wir in ein tieffes Nachsinnen / als der Hertzog anfieng Anstalt zu seiner Grufft zu machen. ER besuchte selbst vor einigen Monathen den schauerigen Platz / wo die verwahrete Asche seiner Durchlauchtigsten Vorfahren ruhet, und die Erklärung seines Vorsatzes hieß: Ich muß den Ort sehen / wohin man mich bald legen wird. ER konnte an einen solchen Ort ohne Furcht stehen / woran wir ohne Furcht nicht gedencken konnten / weil uns immer dabey einfiel / was wir seiner verhaßten Finsterniß würden anvertrauen müssen. IHM deuchtete / wie Er da ruhen werde / und uns / mit was vor Unruhe unsre Hertzen da würden ächtzen müssen. Kaum war das geschehen / so kam ein starcker Anfall nach dem andern / und ob sie gleich unsren HERREN gewaltig angriffen / so wiesen sie doch nirgends solche Macht / als in unsrer Seelen. Bis- <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0009" n="9"/> Sterbe-Bette vergossen. Wir hatten nicht Zeit an uns zu gedencken / wenn wir IHN vor Augen hatten / uud wir waren nicht bey uns selbst / wenn unsre Sehnsucht den bekümmerten Geist zu seinen Füßen gezogen. Unser Leben schiene an das seinige zu hangen / und da ER uns verlassen wollte / konte IHN unser Hertz ohnmöglich verlassen. Als ER das von der Göttlichen Hand gesteckte gemeine Ziel der Sterblichkeit erreichet hatte / so rieffen wir IHM mit wünschendem Munde ein <hi rendition="#i">Plus ultra</hi> nach dem andern zu: aber ER ließ öffentlich von sich hören: Nun spüre Er augenscheinlich / daß sein Ende heran nahe / weil die Kräffte auf einmal brächen. Weder unser Verlangen noch unsre Liebe wollte uns vergönnen / solche betrübte Meinung zu fassen. Wir sahen IHN / aber nicht / was ER sahe und bemerckten keine hiezu dienende Veränderungen in seinem Gesichte / das der Röhte des Himmels zu vergleichen war / durch welche ein weißer Strahl der Sonnen herfür bricht. Deßwegen hoffeten wir / der Höchste würde unsere Wünsche erhöret und IHM von unserem Alter einige Jahre zugeleget haben.</p> <p>Das Verhängniß selbst schiene auch scheu zu tragen / ein solches Bild zu zernichten / woran der Himmel so viel Wunder gewiesen. Ja die Natur / so Ihr Recht forderte / probirte nur erst / ob es möglich wäre / daß es fallen könnte / und der Tod schickte viele seiner Schwachheiten vorauff / ehe er selbst zu kommen sich gleichsam getrauete. Es überfiel IHN manchesmal eiue unvermuhtete Entkräfftung / aber sie gieng vorüber / wie ein geschwindes Wetter / welches die Lufft reiniget / und einen desto hellern Sonnenschein nach sich ziehet. Ein solcher Anfall war nichts als eine plötzliche Gelegenheit zu einem Triumphe / der desto herrlicher war / je weniger es das Ansehen dazu hatte. Wenn die Poeten die Gnade hatten / hievon zu tichten / so verglichen sie unsren Hertzog mit Hercule, welcher der vielköpffichten Schlangen einen Halß nach dem andern abgeschlagen / mit jenem Riesen Antaeo, welcher zwar auf die zitternde Erde geworffen ward / aber eben dadurch neue Kräffte bekam / mit dem Phoebo, der nach einer kurtzen Nacht mit desto hellern Strahlen den neblichten Horizont betritt. Wer aber ohne dieser Schmincke redete / muste bekennen / daß da der Hertzog allenthalben etwas außerordentliches wiese / ER auch mit mehr / als menschlichen Kräfften von der gütigen Natur beschencket sey / die sein Temperament von tausend andern durch solche Stärcke unterschieden hatte.</p> <p>Bey dergleichen Zustand fiel und stieg unsre ängstliche Hoffnung / und wir achteten eine Gefahr nicht mehr / die so leicht und geschwinde konte gehoben werden. Doch damahls geriethen wir in ein tieffes Nachsinnen / als der Hertzog anfieng Anstalt zu seiner Grufft zu machen. ER besuchte selbst vor einigen Monathen den schauerigen Platz / wo die verwahrete Asche seiner Durchlauchtigsten Vorfahren ruhet, und die Erklärung seines Vorsatzes hieß: Ich muß den Ort sehen / wohin man mich bald legen wird. ER konnte an einen solchen Ort ohne Furcht stehen / woran wir ohne Furcht nicht gedencken konnten / weil uns immer dabey einfiel / was wir seiner verhaßten Finsterniß würden anvertrauen müssen. IHM deuchtete / wie Er da ruhen werde / und uns / mit was vor Unruhe unsre Hertzen da würden ächtzen müssen. Kaum war das geschehen / so kam ein starcker Anfall nach dem andern / und ob sie gleich unsren HERREN gewaltig angriffen / so wiesen sie doch nirgends solche Macht / als in unsrer Seelen. Bis- </p> </body> </text> </TEI> [9/0009]
Sterbe-Bette vergossen. Wir hatten nicht Zeit an uns zu gedencken / wenn wir IHN vor Augen hatten / uud wir waren nicht bey uns selbst / wenn unsre Sehnsucht den bekümmerten Geist zu seinen Füßen gezogen. Unser Leben schiene an das seinige zu hangen / und da ER uns verlassen wollte / konte IHN unser Hertz ohnmöglich verlassen. Als ER das von der Göttlichen Hand gesteckte gemeine Ziel der Sterblichkeit erreichet hatte / so rieffen wir IHM mit wünschendem Munde ein Plus ultra nach dem andern zu: aber ER ließ öffentlich von sich hören: Nun spüre Er augenscheinlich / daß sein Ende heran nahe / weil die Kräffte auf einmal brächen. Weder unser Verlangen noch unsre Liebe wollte uns vergönnen / solche betrübte Meinung zu fassen. Wir sahen IHN / aber nicht / was ER sahe und bemerckten keine hiezu dienende Veränderungen in seinem Gesichte / das der Röhte des Himmels zu vergleichen war / durch welche ein weißer Strahl der Sonnen herfür bricht. Deßwegen hoffeten wir / der Höchste würde unsere Wünsche erhöret und IHM von unserem Alter einige Jahre zugeleget haben.
Das Verhängniß selbst schiene auch scheu zu tragen / ein solches Bild zu zernichten / woran der Himmel so viel Wunder gewiesen. Ja die Natur / so Ihr Recht forderte / probirte nur erst / ob es möglich wäre / daß es fallen könnte / und der Tod schickte viele seiner Schwachheiten vorauff / ehe er selbst zu kommen sich gleichsam getrauete. Es überfiel IHN manchesmal eiue unvermuhtete Entkräfftung / aber sie gieng vorüber / wie ein geschwindes Wetter / welches die Lufft reiniget / und einen desto hellern Sonnenschein nach sich ziehet. Ein solcher Anfall war nichts als eine plötzliche Gelegenheit zu einem Triumphe / der desto herrlicher war / je weniger es das Ansehen dazu hatte. Wenn die Poeten die Gnade hatten / hievon zu tichten / so verglichen sie unsren Hertzog mit Hercule, welcher der vielköpffichten Schlangen einen Halß nach dem andern abgeschlagen / mit jenem Riesen Antaeo, welcher zwar auf die zitternde Erde geworffen ward / aber eben dadurch neue Kräffte bekam / mit dem Phoebo, der nach einer kurtzen Nacht mit desto hellern Strahlen den neblichten Horizont betritt. Wer aber ohne dieser Schmincke redete / muste bekennen / daß da der Hertzog allenthalben etwas außerordentliches wiese / ER auch mit mehr / als menschlichen Kräfften von der gütigen Natur beschencket sey / die sein Temperament von tausend andern durch solche Stärcke unterschieden hatte.
Bey dergleichen Zustand fiel und stieg unsre ängstliche Hoffnung / und wir achteten eine Gefahr nicht mehr / die so leicht und geschwinde konte gehoben werden. Doch damahls geriethen wir in ein tieffes Nachsinnen / als der Hertzog anfieng Anstalt zu seiner Grufft zu machen. ER besuchte selbst vor einigen Monathen den schauerigen Platz / wo die verwahrete Asche seiner Durchlauchtigsten Vorfahren ruhet, und die Erklärung seines Vorsatzes hieß: Ich muß den Ort sehen / wohin man mich bald legen wird. ER konnte an einen solchen Ort ohne Furcht stehen / woran wir ohne Furcht nicht gedencken konnten / weil uns immer dabey einfiel / was wir seiner verhaßten Finsterniß würden anvertrauen müssen. IHM deuchtete / wie Er da ruhen werde / und uns / mit was vor Unruhe unsre Hertzen da würden ächtzen müssen. Kaum war das geschehen / so kam ein starcker Anfall nach dem andern / und ob sie gleich unsren HERREN gewaltig angriffen / so wiesen sie doch nirgends solche Macht / als in unsrer Seelen. Bis-
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Zitationshilfe: | Treuer, Gottlieb Samuel: Die Unveränderliche Tugend Des weyland Durchlauchtigsten Fürsten und Herren, Herren Anthon Ulrichs, Hertzoges zu Braunschweig und Lüneburg. Helmstedt, [1714], S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treuer_tugend_1714/9>, abgerufen am 16.02.2025. |