dern sei. Das Alles sagte er, wie er selbst gestand, unbeauftragt und unvorbereitet.*)
So geschah das Seltsame: die friedfertigste aller Großmächte, die im Oriente gar kein eigenes Interesse zu wahren hatte, gab jetzt durch den Mund ihres Gesandten selber den verhängnißvollen Rath, welcher unfehl- bar einen Waffengang im Mittelmeer, vielleicht sogar einen europäischen Krieg heraufbeschwören mußte. Palmerston athmete auf. Der Gedanke, daß man ohne Rußlands Waffenhilfe, ohne offenbare Kränkung Frank- reichs zum Ziele gelangen könne, leuchtete seinen ängstlichen Amtsgenossen ein. Schon am 8. Juli konnte er den Vertretern der Ostmächte mit- theilen, daß er die Mehrheit im Cabinet gewonnen und dem türkischen Gesandten versprochen habe, England werde den Sultan mit den Waffen unterstützen.**) Für die Vorbereitung des Kampfes hatte Englands pu- nische Treue bereits gesorgt. Britische Agenten bereisten als Kaufleute verkleidet mit wohlgefüllten Beuteln die syrischen Gebirge und hetzten das Volk wider den gestrengen Pascha auf -- eine offenkundige Thatsache, welche Palmerston späterhin mit gewohnter Dreistigkeit in Abrede stellte. Schon im Juli stand der ganze Libanon in Waffen. Nachher ließ auch Metternich, wie er dem Grafen Maltzan selbst erzählte, einen Sendboten zu den Maroniten abgehen, um ihnen Freiheit des christlichen Glaubens, Sicherheit von Hab und Leben zu verbürgen, falls sie für den Sultan gegen den rebellischen Pascha kämpften.***) Wenn Mehemed also zugleich durch die Aufständischen im Lande, durch die britische Flotte an der Küste bedrängt wurde, dann mußte seine Macht in Syrien rasch zusammen- brechen. Frohen Muthes schritten die vier Mächte zum Abschluß. Die Conferenzen drängten sich in rascher Folge, jetzt auch an den Wochentagen. Bülow empfing von allen Seiten Glückwünsche wegen seines klugen Rathes und wiederholte mit Selbstgefühl die Worte: Be quick and bold! Man dachte, sobald man fertig sei den Pariser Hof um nachträgliche Zustimmung oder doch um mittelbaren Beistand zu bitten.+) Der Oesterreicher Neu- mann versprach sofort, österreichische Kriegsschiffe sollten mit den britischen zusammenwirken. Brunnow war die Liebenswürdigkeit selbst; denn der Petersburger Hof hatte begreiflicherweise nichts dawider, wenn die befreun- deten Mächte auf ihre Kosten seine Geschäfte führen wollten.
Am 15. Juli unterzeichneten die Gesandten der vier Mächte mit Shekib Pascha einen Vertrag, der nachher in der Presse den etwas über-
*) Dieser merkwürdige Vorfall ist schon i. J. 1849 in den "Politischen Briefen und Charakteristiken aus der deutschen Gegenwart" (von Usedom) S. 270 ziemlich genau erzählt, aber noch von keinem Historiker beachtet worden. Usedom's Mittheilungen werden bestätigt und ergänzt durch Bülow's Bericht v. 3. Juli und Bülow's Schreiben an Maltzan v. 9. Juli 1840.
**) Bülow's Bericht, 10. Juli 1840.
***) Maltzan's Bericht, 7. Sept. 1840.
+) Bülow's Bericht, 14. Juli 1840.
Londoner Vertrag v. 15. Juli 1840.
dern ſei. Das Alles ſagte er, wie er ſelbſt geſtand, unbeauftragt und unvorbereitet.*)
So geſchah das Seltſame: die friedfertigſte aller Großmächte, die im Oriente gar kein eigenes Intereſſe zu wahren hatte, gab jetzt durch den Mund ihres Geſandten ſelber den verhängnißvollen Rath, welcher unfehl- bar einen Waffengang im Mittelmeer, vielleicht ſogar einen europäiſchen Krieg heraufbeſchwören mußte. Palmerſton athmete auf. Der Gedanke, daß man ohne Rußlands Waffenhilfe, ohne offenbare Kränkung Frank- reichs zum Ziele gelangen könne, leuchtete ſeinen ängſtlichen Amtsgenoſſen ein. Schon am 8. Juli konnte er den Vertretern der Oſtmächte mit- theilen, daß er die Mehrheit im Cabinet gewonnen und dem türkiſchen Geſandten verſprochen habe, England werde den Sultan mit den Waffen unterſtützen.**) Für die Vorbereitung des Kampfes hatte Englands pu- niſche Treue bereits geſorgt. Britiſche Agenten bereiſten als Kaufleute verkleidet mit wohlgefüllten Beuteln die ſyriſchen Gebirge und hetzten das Volk wider den geſtrengen Paſcha auf — eine offenkundige Thatſache, welche Palmerſton ſpäterhin mit gewohnter Dreiſtigkeit in Abrede ſtellte. Schon im Juli ſtand der ganze Libanon in Waffen. Nachher ließ auch Metternich, wie er dem Grafen Maltzan ſelbſt erzählte, einen Sendboten zu den Maroniten abgehen, um ihnen Freiheit des chriſtlichen Glaubens, Sicherheit von Hab und Leben zu verbürgen, falls ſie für den Sultan gegen den rebelliſchen Paſcha kämpften.***) Wenn Mehemed alſo zugleich durch die Aufſtändiſchen im Lande, durch die britiſche Flotte an der Küſte bedrängt wurde, dann mußte ſeine Macht in Syrien raſch zuſammen- brechen. Frohen Muthes ſchritten die vier Mächte zum Abſchluß. Die Conferenzen drängten ſich in raſcher Folge, jetzt auch an den Wochentagen. Bülow empfing von allen Seiten Glückwünſche wegen ſeines klugen Rathes und wiederholte mit Selbſtgefühl die Worte: Be quick and bold! Man dachte, ſobald man fertig ſei den Pariſer Hof um nachträgliche Zuſtimmung oder doch um mittelbaren Beiſtand zu bitten.†) Der Oeſterreicher Neu- mann verſprach ſofort, öſterreichiſche Kriegsſchiffe ſollten mit den britiſchen zuſammenwirken. Brunnow war die Liebenswürdigkeit ſelbſt; denn der Petersburger Hof hatte begreiflicherweiſe nichts dawider, wenn die befreun- deten Mächte auf ihre Koſten ſeine Geſchäfte führen wollten.
Am 15. Juli unterzeichneten die Geſandten der vier Mächte mit Shekib Paſcha einen Vertrag, der nachher in der Preſſe den etwas über-
*) Dieſer merkwürdige Vorfall iſt ſchon i. J. 1849 in den „Politiſchen Briefen und Charakteriſtiken aus der deutſchen Gegenwart“ (von Uſedom) S. 270 ziemlich genau erzählt, aber noch von keinem Hiſtoriker beachtet worden. Uſedom’s Mittheilungen werden beſtätigt und ergänzt durch Bülow’s Bericht v. 3. Juli und Bülow’s Schreiben an Maltzan v. 9. Juli 1840.
**) Bülow’s Bericht, 10. Juli 1840.
***) Maltzan’s Bericht, 7. Sept. 1840.
†) Bülow’s Bericht, 14. Juli 1840.
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Londoner Vertrag v. 15. Juli 1840.
dern ſei. Das Alles ſagte er, wie er ſelbſt geſtand, unbeauftragt und
unvorbereitet. *)
So geſchah das Seltſame: die friedfertigſte aller Großmächte, die im
Oriente gar kein eigenes Intereſſe zu wahren hatte, gab jetzt durch den
Mund ihres Geſandten ſelber den verhängnißvollen Rath, welcher unfehl-
bar einen Waffengang im Mittelmeer, vielleicht ſogar einen europäiſchen
Krieg heraufbeſchwören mußte. Palmerſton athmete auf. Der Gedanke,
daß man ohne Rußlands Waffenhilfe, ohne offenbare Kränkung Frank-
reichs zum Ziele gelangen könne, leuchtete ſeinen ängſtlichen Amtsgenoſſen
ein. Schon am 8. Juli konnte er den Vertretern der Oſtmächte mit-
theilen, daß er die Mehrheit im Cabinet gewonnen und dem türkiſchen
Geſandten verſprochen habe, England werde den Sultan mit den Waffen
unterſtützen. **) Für die Vorbereitung des Kampfes hatte Englands pu-
niſche Treue bereits geſorgt. Britiſche Agenten bereiſten als Kaufleute
verkleidet mit wohlgefüllten Beuteln die ſyriſchen Gebirge und hetzten das
Volk wider den geſtrengen Paſcha auf — eine offenkundige Thatſache,
welche Palmerſton ſpäterhin mit gewohnter Dreiſtigkeit in Abrede ſtellte.
Schon im Juli ſtand der ganze Libanon in Waffen. Nachher ließ auch
Metternich, wie er dem Grafen Maltzan ſelbſt erzählte, einen Sendboten
zu den Maroniten abgehen, um ihnen Freiheit des chriſtlichen Glaubens,
Sicherheit von Hab und Leben zu verbürgen, falls ſie für den Sultan
gegen den rebelliſchen Paſcha kämpften. ***) Wenn Mehemed alſo zugleich
durch die Aufſtändiſchen im Lande, durch die britiſche Flotte an der Küſte
bedrängt wurde, dann mußte ſeine Macht in Syrien raſch zuſammen-
brechen. Frohen Muthes ſchritten die vier Mächte zum Abſchluß. Die
Conferenzen drängten ſich in raſcher Folge, jetzt auch an den Wochentagen.
Bülow empfing von allen Seiten Glückwünſche wegen ſeines klugen Rathes
und wiederholte mit Selbſtgefühl die Worte: Be quick and bold! Man
dachte, ſobald man fertig ſei den Pariſer Hof um nachträgliche Zuſtimmung
oder doch um mittelbaren Beiſtand zu bitten. †) Der Oeſterreicher Neu-
mann verſprach ſofort, öſterreichiſche Kriegsſchiffe ſollten mit den britiſchen
zuſammenwirken. Brunnow war die Liebenswürdigkeit ſelbſt; denn der
Petersburger Hof hatte begreiflicherweiſe nichts dawider, wenn die befreun-
deten Mächte auf ihre Koſten ſeine Geſchäfte führen wollten.
Am 15. Juli unterzeichneten die Geſandten der vier Mächte mit
Shekib Paſcha einen Vertrag, der nachher in der Preſſe den etwas über-
*) Dieſer merkwürdige Vorfall iſt ſchon i. J. 1849 in den „Politiſchen Briefen und
Charakteriſtiken aus der deutſchen Gegenwart“ (von Uſedom) S. 270 ziemlich genau
erzählt, aber noch von keinem Hiſtoriker beachtet worden. Uſedom’s Mittheilungen werden
beſtätigt und ergänzt durch Bülow’s Bericht v. 3. Juli und Bülow’s Schreiben an
Maltzan v. 9. Juli 1840.
**) Bülow’s Bericht, 10. Juli 1840.
***) Maltzan’s Bericht, 7. Sept. 1840.
†) Bülow’s Bericht, 14. Juli 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/91>, abgerufen am 23.11.2024.
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