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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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XXVI. Zur Geschichte der Burschenschaft.
Werthschätzung. Wir begreifen, daß die gegenwärtige Zeit mehr das Studium der Moral
und Politik erfordere, als das der Metaphysik.

16. Wir gestehen, nicht zu begreifen, warum noch jetzt in manchen Theilen Deutsch-
lands die Abgaben eben so hoch sind, als die Abgaben an den siegreichen Fremden waren,
zur Zeit unserer Knechtschaft.

17. Wir versprechen, daß, wenn einige von uns künftig Staatsämter bekleiden
werden, kein einziger von uns jemals irgend ein Amt annehmen wolle, welches einer
geheimen Polizey diene, noch eine Stelle bei der Gensdarmerie, noch eine Stelle in einer
außerordentlichen, widergesetzlichen, richterlichen Commißion, noch das Amt eines Bücher-
censors, noch jemals sich dazu brauchen laßen wolle, das Siegel fremder Briefe zu er-
brechen, den Fall des Krieges ausgenommen.

18. Wir versprechen, wenn wir künftig in Aemter gelangen, das Unsrige zu thun,
um freiere Gemeindeverwaltungen einzuführen, um sichere Polizey, ohne Gensdarmerie,
einzurichten, um gleiche Münze und Gewicht und beßere Wege und Postordnung in
Deutschland zu schaffen.

19. Wir erklären, daß wir uns gänzlich enthalten wollen der Titel: Edelgeboren,
Hochedelgeboren, Wohlgeboren, so wie auch, daß wir die Namen Mamsell und Madame
nicht gebrauchen wollen von Frauenzimmern, die unbescholtenen Rufes sind.

20. Wir erkennen, daß die Deutschen berechtigt sind, anderen Völkern das, was
sie uns thun, zu vergelten, und daß für das Verhältniß der Völker der oberste Grund-
satz ist: Maaß für Maaß, so im Krieg, so in diplomatischen Verhandlungen, so in
Handelsverhältnißen.

21. Ebendeswegen erkennen und erklären wir, daß es nicht mit der Gerechtigkeit
übereinstimmt, wenn eine äußere fremde Gewalt die Regierungsform eines Volkes be-
stimmen will.

22. Wir erkennen, daß Deutschland als Wahlreich unglücklich geworden, daß Erb-
reich große Uebel entfernt. Aber so wie die Krone das Eigenthum einer Familie sey,
so sey jedes Eigenthum heilig. Die Krone giebt das höchste Recht, weil sie die höchste
Pflicht auferlegt. Recht und Pflicht müßen immer gleichen Schritt gehen. Wo Recht
behauptet wird, ohne Pflicht, da ist Vorrecht, das ist, Unrecht. Wo Bevorrechtete sind,
da sind auch Beeinträchtigte. Der Fürst hat aber das Recht der Krone, weil er die
Pflicht hat, zu sorgen, daß kein Bürger durch den andern beeinträchtigt werde. Wenn
alle Bürger die Pflicht haben, die Waffen für das Vaterland zu tragen und diese Pflicht
erfüllen, so gebührt auch allen das Recht, welches mit Erfüllung dieser Pflicht ver-
bunden sein soll.

23. Wir wollen uns eines friedfertigen Wandels befleißigen und die Streitigkeiten
untereinander so viel wie möglich schiedsrichterlich entscheiden laßen. Wir erkennen, daß
weder ernstlicher Zweikampf um kleinlicher Ursachen willen, noch spielender Zweikampf
wegen schwerer Kränkungen rühmlich ist. Wir versichern, daß wir keiner geheimen Ge-
sellschaft irgend einer Art angehören wollen, noch die Errichtung einer geheimen Gesell-
schaft auf einer hohen Schule dulden wollen.

24. Wir erkennen es für eine der hauptsächlichsten Pflichten jedes deutschen Mannes
und Jünglings, die eben jetzt dringender ist als je: die Wahrheit zu sagen und laut zu
sagen, weil und so lange die versprochenen regelmäßigen Wege, auf welchen die Fürsten
die Wahrheit über den Zustand der Völker erfahren können, noch nicht eröffnet sind,
und weil wir keine geheimen Gesellschaften eingehen wollen.

25. Wir empfehlen der Weisheit der Regierungen die Betrachtung der Frage: ob
nicht die größten Schwierigkeiten und Gefahren vermindert würden, wenn der Adel
wiederum begrenzt würde auf den ältesten des Geschlechts. Ein Edelmann zeugt Einen
Edelmann. Wir beschwören die Fürsten, sich nicht allein mit solchen Rathgebern zu
umringen, welche vom Kastengeist beherrscht, und dadurch unwillig und unfähig werden,
über die billigen Wünsche und Verlangen des Volkes die Wahrheit zu melden.


XXVI. Zur Geſchichte der Burſchenſchaft.
Werthſchätzung. Wir begreifen, daß die gegenwärtige Zeit mehr das Studium der Moral
und Politik erfordere, als das der Metaphyſik.

16. Wir geſtehen, nicht zu begreifen, warum noch jetzt in manchen Theilen Deutſch-
lands die Abgaben eben ſo hoch ſind, als die Abgaben an den ſiegreichen Fremden waren,
zur Zeit unſerer Knechtſchaft.

17. Wir verſprechen, daß, wenn einige von uns künftig Staatsämter bekleiden
werden, kein einziger von uns jemals irgend ein Amt annehmen wolle, welches einer
geheimen Polizey diene, noch eine Stelle bei der Gensdarmerie, noch eine Stelle in einer
außerordentlichen, widergeſetzlichen, richterlichen Commißion, noch das Amt eines Bücher-
cenſors, noch jemals ſich dazu brauchen laßen wolle, das Siegel fremder Briefe zu er-
brechen, den Fall des Krieges ausgenommen.

18. Wir verſprechen, wenn wir künftig in Aemter gelangen, das Unſrige zu thun,
um freiere Gemeindeverwaltungen einzuführen, um ſichere Polizey, ohne Gensdarmerie,
einzurichten, um gleiche Münze und Gewicht und beßere Wege und Poſtordnung in
Deutſchland zu ſchaffen.

19. Wir erklären, daß wir uns gänzlich enthalten wollen der Titel: Edelgeboren,
Hochedelgeboren, Wohlgeboren, ſo wie auch, daß wir die Namen Mamſell und Madame
nicht gebrauchen wollen von Frauenzimmern, die unbeſcholtenen Rufes ſind.

20. Wir erkennen, daß die Deutſchen berechtigt ſind, anderen Völkern das, was
ſie uns thun, zu vergelten, und daß für das Verhältniß der Völker der oberſte Grund-
ſatz iſt: Maaß für Maaß, ſo im Krieg, ſo in diplomatiſchen Verhandlungen, ſo in
Handelsverhältnißen.

21. Ebendeswegen erkennen und erklären wir, daß es nicht mit der Gerechtigkeit
übereinſtimmt, wenn eine äußere fremde Gewalt die Regierungsform eines Volkes be-
ſtimmen will.

22. Wir erkennen, daß Deutſchland als Wahlreich unglücklich geworden, daß Erb-
reich große Uebel entfernt. Aber ſo wie die Krone das Eigenthum einer Familie ſey,
ſo ſey jedes Eigenthum heilig. Die Krone giebt das höchſte Recht, weil ſie die höchſte
Pflicht auferlegt. Recht und Pflicht müßen immer gleichen Schritt gehen. Wo Recht
behauptet wird, ohne Pflicht, da iſt Vorrecht, das iſt, Unrecht. Wo Bevorrechtete ſind,
da ſind auch Beeinträchtigte. Der Fürſt hat aber das Recht der Krone, weil er die
Pflicht hat, zu ſorgen, daß kein Bürger durch den andern beeinträchtigt werde. Wenn
alle Bürger die Pflicht haben, die Waffen für das Vaterland zu tragen und dieſe Pflicht
erfüllen, ſo gebührt auch allen das Recht, welches mit Erfüllung dieſer Pflicht ver-
bunden ſein ſoll.

23. Wir wollen uns eines friedfertigen Wandels befleißigen und die Streitigkeiten
untereinander ſo viel wie möglich ſchiedsrichterlich entſcheiden laßen. Wir erkennen, daß
weder ernſtlicher Zweikampf um kleinlicher Urſachen willen, noch ſpielender Zweikampf
wegen ſchwerer Kränkungen rühmlich iſt. Wir verſichern, daß wir keiner geheimen Ge-
ſellſchaft irgend einer Art angehören wollen, noch die Errichtung einer geheimen Geſell-
ſchaft auf einer hohen Schule dulden wollen.

24. Wir erkennen es für eine der hauptſächlichſten Pflichten jedes deutſchen Mannes
und Jünglings, die eben jetzt dringender iſt als je: die Wahrheit zu ſagen und laut zu
ſagen, weil und ſo lange die verſprochenen regelmäßigen Wege, auf welchen die Fürſten
die Wahrheit über den Zuſtand der Völker erfahren können, noch nicht eröffnet ſind,
und weil wir keine geheimen Geſellſchaften eingehen wollen.

25. Wir empfehlen der Weisheit der Regierungen die Betrachtung der Frage: ob
nicht die größten Schwierigkeiten und Gefahren vermindert würden, wenn der Adel
wiederum begrenzt würde auf den älteſten des Geſchlechts. Ein Edelmann zeugt Einen
Edelmann. Wir beſchwören die Fürſten, ſich nicht allein mit ſolchen Rathgebern zu
umringen, welche vom Kaſtengeiſt beherrſcht, und dadurch unwillig und unfähig werden,
über die billigen Wünſche und Verlangen des Volkes die Wahrheit zu melden.


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[752/0766] XXVI. Zur Geſchichte der Burſchenſchaft. Werthſchätzung. Wir begreifen, daß die gegenwärtige Zeit mehr das Studium der Moral und Politik erfordere, als das der Metaphyſik. 16. Wir geſtehen, nicht zu begreifen, warum noch jetzt in manchen Theilen Deutſch- lands die Abgaben eben ſo hoch ſind, als die Abgaben an den ſiegreichen Fremden waren, zur Zeit unſerer Knechtſchaft. 17. Wir verſprechen, daß, wenn einige von uns künftig Staatsämter bekleiden werden, kein einziger von uns jemals irgend ein Amt annehmen wolle, welches einer geheimen Polizey diene, noch eine Stelle bei der Gensdarmerie, noch eine Stelle in einer außerordentlichen, widergeſetzlichen, richterlichen Commißion, noch das Amt eines Bücher- cenſors, noch jemals ſich dazu brauchen laßen wolle, das Siegel fremder Briefe zu er- brechen, den Fall des Krieges ausgenommen. 18. Wir verſprechen, wenn wir künftig in Aemter gelangen, das Unſrige zu thun, um freiere Gemeindeverwaltungen einzuführen, um ſichere Polizey, ohne Gensdarmerie, einzurichten, um gleiche Münze und Gewicht und beßere Wege und Poſtordnung in Deutſchland zu ſchaffen. 19. Wir erklären, daß wir uns gänzlich enthalten wollen der Titel: Edelgeboren, Hochedelgeboren, Wohlgeboren, ſo wie auch, daß wir die Namen Mamſell und Madame nicht gebrauchen wollen von Frauenzimmern, die unbeſcholtenen Rufes ſind. 20. Wir erkennen, daß die Deutſchen berechtigt ſind, anderen Völkern das, was ſie uns thun, zu vergelten, und daß für das Verhältniß der Völker der oberſte Grund- ſatz iſt: Maaß für Maaß, ſo im Krieg, ſo in diplomatiſchen Verhandlungen, ſo in Handelsverhältnißen. 21. Ebendeswegen erkennen und erklären wir, daß es nicht mit der Gerechtigkeit übereinſtimmt, wenn eine äußere fremde Gewalt die Regierungsform eines Volkes be- ſtimmen will. 22. Wir erkennen, daß Deutſchland als Wahlreich unglücklich geworden, daß Erb- reich große Uebel entfernt. Aber ſo wie die Krone das Eigenthum einer Familie ſey, ſo ſey jedes Eigenthum heilig. Die Krone giebt das höchſte Recht, weil ſie die höchſte Pflicht auferlegt. Recht und Pflicht müßen immer gleichen Schritt gehen. Wo Recht behauptet wird, ohne Pflicht, da iſt Vorrecht, das iſt, Unrecht. Wo Bevorrechtete ſind, da ſind auch Beeinträchtigte. Der Fürſt hat aber das Recht der Krone, weil er die Pflicht hat, zu ſorgen, daß kein Bürger durch den andern beeinträchtigt werde. Wenn alle Bürger die Pflicht haben, die Waffen für das Vaterland zu tragen und dieſe Pflicht erfüllen, ſo gebührt auch allen das Recht, welches mit Erfüllung dieſer Pflicht ver- bunden ſein ſoll. 23. Wir wollen uns eines friedfertigen Wandels befleißigen und die Streitigkeiten untereinander ſo viel wie möglich ſchiedsrichterlich entſcheiden laßen. Wir erkennen, daß weder ernſtlicher Zweikampf um kleinlicher Urſachen willen, noch ſpielender Zweikampf wegen ſchwerer Kränkungen rühmlich iſt. Wir verſichern, daß wir keiner geheimen Ge- ſellſchaft irgend einer Art angehören wollen, noch die Errichtung einer geheimen Geſell- ſchaft auf einer hohen Schule dulden wollen. 24. Wir erkennen es für eine der hauptſächlichſten Pflichten jedes deutſchen Mannes und Jünglings, die eben jetzt dringender iſt als je: die Wahrheit zu ſagen und laut zu ſagen, weil und ſo lange die verſprochenen regelmäßigen Wege, auf welchen die Fürſten die Wahrheit über den Zuſtand der Völker erfahren können, noch nicht eröffnet ſind, und weil wir keine geheimen Geſellſchaften eingehen wollen. 25. Wir empfehlen der Weisheit der Regierungen die Betrachtung der Frage: ob nicht die größten Schwierigkeiten und Gefahren vermindert würden, wenn der Adel wiederum begrenzt würde auf den älteſten des Geſchlechts. Ein Edelmann zeugt Einen Edelmann. Wir beſchwören die Fürſten, ſich nicht allein mit ſolchen Rathgebern zu umringen, welche vom Kaſtengeiſt beherrſcht, und dadurch unwillig und unfähig werden, über die billigen Wünſche und Verlangen des Volkes die Wahrheit zu melden.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 752. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/766>, abgerufen am 23.11.2024.