Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.XXVI. Zur Geschichte der Burschenschaft. lebte, dem Mörder das Geld für die letzte Reise gegeben, auch ein Packet mit Papieren,die nachher zum Theil in den Zeitungen erschienen, von Sand zur Aufbewahrung er- halten hatte. Besonders auffällig war dabei der Umstand, daß Sand, der sonst alle seine kleinen Schulden peinlich genau in ein besonderes Schuldbüchlein eintrug, diesen letzten und größten Schuldposten nicht verzeichnet hatte. Follen wußte wieder, Dank seinem schwachen Gedächtniß, nichts Sicheres anzugeben. Sand aber versicherte in den Mannheimer Verhören, daß er das Reisegeld von Asmis empfangen und diesem auch das Packet übergeben hätte. Das war dem armen Asmis doch zu arg. In höchster Erregung, unter strömenden Thränen betheuerte er wieder und wieder: ich kann das nicht zugeben, "selbst wenn ich Sand einen Gefallen damit thäte." Die Verzweiflung des ehrlichen Jungen war offenbar ungeheuchelt, und die Commission gerieth jetzt endlich auf die Muthmaßung, welche minder gemüthliche Leute wohl schon früher gefaßt hätten: daß die Eingeweihten mit ihrem Lügenspiele nur bezweckten, den Kopf ihres Häuptlings Follen um jeden Preis aus der Schlinge zu ziehen. Am 28. Mai schrieb sie daher an die Mannheimer Commission: "Könnte Sand nicht vielleicht den Verdacht von An- deren, die nach seiner Ansicht als kluge umsichtige Männer bei wichtigen Gelegenheiten für Deutschland brauchbar und von Bedeutung werden könnten, abwenden wollen und vorziehen, einen gewöhnlichen unbedeutenden Menschen, von dem er künftig nichts Großes erwartet, vorzuschieben?" Oder Sand hoffe vielleicht, Asmis würde die Schuld freiwillig auf sich nehmen -- was bei dessen Schwärmerei nicht unmöglich sei -- und Asmis hätte die Absicht nur nicht verstanden?! Unterdessen wurde Follen, da sein hartnäckiges Lügen und seine beispiellose Ge- XXVI. Zur Geſchichte der Burſchenſchaft. lebte, dem Mörder das Geld für die letzte Reiſe gegeben, auch ein Packet mit Papieren,die nachher zum Theil in den Zeitungen erſchienen, von Sand zur Aufbewahrung er- halten hatte. Beſonders auffällig war dabei der Umſtand, daß Sand, der ſonſt alle ſeine kleinen Schulden peinlich genau in ein beſonderes Schuldbüchlein eintrug, dieſen letzten und größten Schuldpoſten nicht verzeichnet hatte. Follen wußte wieder, Dank ſeinem ſchwachen Gedächtniß, nichts Sicheres anzugeben. Sand aber verſicherte in den Mannheimer Verhören, daß er das Reiſegeld von Asmis empfangen und dieſem auch das Packet übergeben hätte. Das war dem armen Asmis doch zu arg. In höchſter Erregung, unter ſtrömenden Thränen betheuerte er wieder und wieder: ich kann das nicht zugeben, „ſelbſt wenn ich Sand einen Gefallen damit thäte.“ Die Verzweiflung des ehrlichen Jungen war offenbar ungeheuchelt, und die Commiſſion gerieth jetzt endlich auf die Muthmaßung, welche minder gemüthliche Leute wohl ſchon früher gefaßt hätten: daß die Eingeweihten mit ihrem Lügenſpiele nur bezweckten, den Kopf ihres Häuptlings Follen um jeden Preis aus der Schlinge zu ziehen. Am 28. Mai ſchrieb ſie daher an die Mannheimer Commiſſion: „Könnte Sand nicht vielleicht den Verdacht von An- deren, die nach ſeiner Anſicht als kluge umſichtige Männer bei wichtigen Gelegenheiten für Deutſchland brauchbar und von Bedeutung werden könnten, abwenden wollen und vorziehen, einen gewöhnlichen unbedeutenden Menſchen, von dem er künftig nichts Großes erwartet, vorzuſchieben?“ Oder Sand hoffe vielleicht, Asmis würde die Schuld freiwillig auf ſich nehmen — was bei deſſen Schwärmerei nicht unmöglich ſei — und Asmis hätte die Abſicht nur nicht verſtanden?! Unterdeſſen wurde Follen, da ſein hartnäckiges Lügen und ſeine beiſpielloſe Ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0761" n="747"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXVI.</hi> Zur Geſchichte der Burſchenſchaft.</fw><lb/> lebte, dem Mörder das Geld für die letzte Reiſe gegeben, auch ein Packet mit Papieren,<lb/> die nachher zum Theil in den Zeitungen erſchienen, von Sand zur Aufbewahrung er-<lb/> halten hatte. Beſonders auffällig war dabei der Umſtand, daß Sand, der ſonſt alle<lb/> ſeine kleinen Schulden peinlich genau in ein beſonderes Schuldbüchlein eintrug, dieſen<lb/> letzten und größten Schuldpoſten nicht verzeichnet hatte. Follen wußte wieder, Dank<lb/> ſeinem ſchwachen Gedächtniß, nichts Sicheres anzugeben. Sand aber verſicherte in den<lb/> Mannheimer Verhören, daß er das Reiſegeld von Asmis empfangen und dieſem auch<lb/> das Packet übergeben hätte. Das war dem armen Asmis doch zu arg. In höchſter<lb/> Erregung, unter ſtrömenden Thränen betheuerte er wieder und wieder: ich kann das<lb/> nicht zugeben, „ſelbſt wenn ich Sand einen Gefallen damit thäte.“ Die Verzweiflung<lb/> des ehrlichen Jungen war offenbar ungeheuchelt, und die Commiſſion gerieth jetzt endlich<lb/> auf die Muthmaßung, welche minder gemüthliche Leute wohl ſchon früher gefaßt hätten:<lb/> daß die Eingeweihten mit ihrem Lügenſpiele nur bezweckten, den Kopf ihres Häuptlings<lb/> Follen um jeden Preis aus der Schlinge zu ziehen. Am 28. Mai ſchrieb ſie daher an<lb/> die Mannheimer Commiſſion: „Könnte Sand nicht vielleicht den Verdacht von An-<lb/> deren, die nach ſeiner Anſicht als kluge umſichtige Männer bei wichtigen Gelegenheiten<lb/> für Deutſchland brauchbar und von Bedeutung werden könnten, abwenden wollen und<lb/> vorziehen, einen gewöhnlichen unbedeutenden Menſchen, von dem er künftig nichts Großes<lb/> erwartet, vorzuſchieben?“ Oder Sand hoffe vielleicht, Asmis würde die Schuld freiwillig<lb/> auf ſich nehmen — was bei deſſen Schwärmerei nicht unmöglich ſei — und Asmis hätte<lb/> die Abſicht nur nicht verſtanden?!</p><lb/> <p>Unterdeſſen wurde Follen, da ſein hartnäckiges Lügen und ſeine beiſpielloſe Ge-<lb/> dächtnißſchwäche doch verdächtig ſchienen, am Morgen des 11. Mai endlich verhaftet und<lb/> nach Weimar abgeführt, wo die Commiſſion jetzt tagte. Bei einer zweiten Hausſuchung<lb/> fand man einen langen, überſchwänglichen Brief von Sand’s Mutter an Follen. Die<lb/> unglückliche, verblendete Frau verglich „unſeren reinen, großen Märtyrer“ mit Martin<lb/> Luther und ſchrieb: „In vieler Hinſicht hat er auch gewiß mit dieſem ehrwürdigen Re-<lb/> formator in gleichem Schritt aber nur verſchieden gewirkt.“ Das Grab in Mannheim<lb/> wollte ſie mit Blumen ſchmücken laſſen „bis vielleicht einſt Deutſchland dankbar eine<lb/> Säule ſetzt“ [was bekanntlich ſeitdem geſchehen iſt]. Zu Follen ſagte ſie: „Gott ſegne<lb/> es Ihnen, der Sie ſein Leben mit ſtarker Hand ſchützen.“ Dieſe Worte bezogen ſich auf<lb/> den im Kreiſe der Unbedingten oft erwogenen thörichten Plan der gewaltſamen Befreiung<lb/> des Mörders. Follen aber erklärte zu Protocoll: das geht auf meine Abſicht, für die<lb/> That zu ſchreiben, „eine Vertheidigung dadurch, daß ſie in ſubjectiver Hinſicht, nach<lb/> Sand’s dabei gehabter Meinung dargeſtellt würde.“ In dem Verhöre vom 11. Mai<lb/> wiederholte ſich das alte Spiel; Follen’s Gedächtniß blieb unverbeſſerlich ſchwach. Als<lb/> ihm Könneritz endlich vorhielt, es ſpreche nicht zu ſeinen Gunſten, wenn er auch jetzt<lb/> noch beſtändig verſichere, „daß er ſich dieſes nicht erinnern könne,“ da erwiderte Follen<lb/> frech: „das ſei ihm ein ganz neuer eriminalrechtlicher Grundſatz,“ und proteſtirte gegen<lb/> die geſammte Unterſuchung. Der ganze Hergang beweiſt ſchlagend die Vorzüge des<lb/> öffentlich-mündlichen Verfahrens; vor einem heutigen Gerichte hätte ſich ein Mann von<lb/> Follen’s Ruf und Bildung ein ſolches Spiel auf die Dauer nicht erlauben können.<lb/> Schon Tags darauf, 12. Mai, verlangte Follen durch ein Schreiben an die Commiſſion<lb/> ſeine ſofortige Freilaſſung, da er ſeine Collegien nicht verſäumen wolle, und ſetzte mit<lb/> caſuiſtiſcher Geſchicklichkeit auseinander, man könne ihm doch höchſtens Unterlaſſung der<lb/> Anzeige vorwerfen, und dieſe ſei ſtraflos. In Folge dieſes Schreibens wurde er noch<lb/> am ſelben Tage mit Asmis confrontirt, doch wieder ließ ihn ſein Gedächtniß im Stiche.<lb/> Nun ward er freigegeben. In den ſpäteren Verhören (23. Mai, 8. 10. Juni) nochmals<lb/> das gleiche Poſſenſpiel; immer wieder hieß es, „eine genaue Erinnerung ginge ihm<lb/> nicht bei.“ Als Sand endlich Einiges von ſeinen Lügen zurücknahm, da meinte Follen,<lb/> Sand müſſe wohl nicht bei Sinnen geweſen ſein, und erbot ſich zu beſchwören, daß er<lb/> jenes Packet von Sand nie erhalten hätte — ein Eid, der ihm nach dem Grundſatze<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [747/0761]
XXVI. Zur Geſchichte der Burſchenſchaft.
lebte, dem Mörder das Geld für die letzte Reiſe gegeben, auch ein Packet mit Papieren,
die nachher zum Theil in den Zeitungen erſchienen, von Sand zur Aufbewahrung er-
halten hatte. Beſonders auffällig war dabei der Umſtand, daß Sand, der ſonſt alle
ſeine kleinen Schulden peinlich genau in ein beſonderes Schuldbüchlein eintrug, dieſen
letzten und größten Schuldpoſten nicht verzeichnet hatte. Follen wußte wieder, Dank
ſeinem ſchwachen Gedächtniß, nichts Sicheres anzugeben. Sand aber verſicherte in den
Mannheimer Verhören, daß er das Reiſegeld von Asmis empfangen und dieſem auch
das Packet übergeben hätte. Das war dem armen Asmis doch zu arg. In höchſter
Erregung, unter ſtrömenden Thränen betheuerte er wieder und wieder: ich kann das
nicht zugeben, „ſelbſt wenn ich Sand einen Gefallen damit thäte.“ Die Verzweiflung
des ehrlichen Jungen war offenbar ungeheuchelt, und die Commiſſion gerieth jetzt endlich
auf die Muthmaßung, welche minder gemüthliche Leute wohl ſchon früher gefaßt hätten:
daß die Eingeweihten mit ihrem Lügenſpiele nur bezweckten, den Kopf ihres Häuptlings
Follen um jeden Preis aus der Schlinge zu ziehen. Am 28. Mai ſchrieb ſie daher an
die Mannheimer Commiſſion: „Könnte Sand nicht vielleicht den Verdacht von An-
deren, die nach ſeiner Anſicht als kluge umſichtige Männer bei wichtigen Gelegenheiten
für Deutſchland brauchbar und von Bedeutung werden könnten, abwenden wollen und
vorziehen, einen gewöhnlichen unbedeutenden Menſchen, von dem er künftig nichts Großes
erwartet, vorzuſchieben?“ Oder Sand hoffe vielleicht, Asmis würde die Schuld freiwillig
auf ſich nehmen — was bei deſſen Schwärmerei nicht unmöglich ſei — und Asmis hätte
die Abſicht nur nicht verſtanden?!
Unterdeſſen wurde Follen, da ſein hartnäckiges Lügen und ſeine beiſpielloſe Ge-
dächtnißſchwäche doch verdächtig ſchienen, am Morgen des 11. Mai endlich verhaftet und
nach Weimar abgeführt, wo die Commiſſion jetzt tagte. Bei einer zweiten Hausſuchung
fand man einen langen, überſchwänglichen Brief von Sand’s Mutter an Follen. Die
unglückliche, verblendete Frau verglich „unſeren reinen, großen Märtyrer“ mit Martin
Luther und ſchrieb: „In vieler Hinſicht hat er auch gewiß mit dieſem ehrwürdigen Re-
formator in gleichem Schritt aber nur verſchieden gewirkt.“ Das Grab in Mannheim
wollte ſie mit Blumen ſchmücken laſſen „bis vielleicht einſt Deutſchland dankbar eine
Säule ſetzt“ [was bekanntlich ſeitdem geſchehen iſt]. Zu Follen ſagte ſie: „Gott ſegne
es Ihnen, der Sie ſein Leben mit ſtarker Hand ſchützen.“ Dieſe Worte bezogen ſich auf
den im Kreiſe der Unbedingten oft erwogenen thörichten Plan der gewaltſamen Befreiung
des Mörders. Follen aber erklärte zu Protocoll: das geht auf meine Abſicht, für die
That zu ſchreiben, „eine Vertheidigung dadurch, daß ſie in ſubjectiver Hinſicht, nach
Sand’s dabei gehabter Meinung dargeſtellt würde.“ In dem Verhöre vom 11. Mai
wiederholte ſich das alte Spiel; Follen’s Gedächtniß blieb unverbeſſerlich ſchwach. Als
ihm Könneritz endlich vorhielt, es ſpreche nicht zu ſeinen Gunſten, wenn er auch jetzt
noch beſtändig verſichere, „daß er ſich dieſes nicht erinnern könne,“ da erwiderte Follen
frech: „das ſei ihm ein ganz neuer eriminalrechtlicher Grundſatz,“ und proteſtirte gegen
die geſammte Unterſuchung. Der ganze Hergang beweiſt ſchlagend die Vorzüge des
öffentlich-mündlichen Verfahrens; vor einem heutigen Gerichte hätte ſich ein Mann von
Follen’s Ruf und Bildung ein ſolches Spiel auf die Dauer nicht erlauben können.
Schon Tags darauf, 12. Mai, verlangte Follen durch ein Schreiben an die Commiſſion
ſeine ſofortige Freilaſſung, da er ſeine Collegien nicht verſäumen wolle, und ſetzte mit
caſuiſtiſcher Geſchicklichkeit auseinander, man könne ihm doch höchſtens Unterlaſſung der
Anzeige vorwerfen, und dieſe ſei ſtraflos. In Folge dieſes Schreibens wurde er noch
am ſelben Tage mit Asmis confrontirt, doch wieder ließ ihn ſein Gedächtniß im Stiche.
Nun ward er freigegeben. In den ſpäteren Verhören (23. Mai, 8. 10. Juni) nochmals
das gleiche Poſſenſpiel; immer wieder hieß es, „eine genaue Erinnerung ginge ihm
nicht bei.“ Als Sand endlich Einiges von ſeinen Lügen zurücknahm, da meinte Follen,
Sand müſſe wohl nicht bei Sinnen geweſen ſein, und erbot ſich zu beſchwören, daß er
jenes Packet von Sand nie erhalten hätte — ein Eid, der ihm nach dem Grundſatze
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |