Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 10. Vorboten der europäischen Revolution. da die Wogen der Revolution nunmehr auch über ihm zusammen-schlugen! Länderverluste und Ländervertauschungen hatte Preußen, wie jeder große Staat, in den Wirren schwerer Kriegszeiten schon mehrmals ertragen müssen. Das aber war neu, daß ein Hohenzoller sich mitten im Frieden ein schönes Land von meineidigen Eidgenossen und einem Haufen Aufrührer ungestraft rauben ließ, daß er sich und seine Krone einer verdienten Verachtung aussetzte, die noch heute in den Hohnreden der sieglosen Sieger fortlebt. Wie oft hatte dieser König in überschwäng- lichen, fast lästerlichen Worten seinen Unterthanen die angestammte Treue gepredigt! Und was bot er selbst den Treuesten seiner Treuen in ihrer Todesnoth? Bitten und Klagen, zerknirschte Briefe, unfruchtbare Ver- wahrungen, phantastische Träume europäischer Reactionspolitik -- doch wahrlich nicht die schlichte Treue des deutschen Mannes, nicht die Treue des Königs, der den Degen des großen Friedrich's führte. Aus Schwäche hatte er den Neuenburgern die Treue nicht gehalten; und alsbald beschied ihm ein grausames Geschick, daß er selber die Untreue des Berliner Pöbels erfahren mußte. Der Sturm brach los; und wie viele Leiden und Kämpfe noch bis sich die Königsmacht der Hohenzollern nach tiefem Fall wieder frei aufrichtete. -- V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution. da die Wogen der Revolution nunmehr auch über ihm zuſammen-ſchlugen! Länderverluſte und Ländervertauſchungen hatte Preußen, wie jeder große Staat, in den Wirren ſchwerer Kriegszeiten ſchon mehrmals ertragen müſſen. Das aber war neu, daß ein Hohenzoller ſich mitten im Frieden ein ſchönes Land von meineidigen Eidgenoſſen und einem Haufen Aufrührer ungeſtraft rauben ließ, daß er ſich und ſeine Krone einer verdienten Verachtung ausſetzte, die noch heute in den Hohnreden der ſiegloſen Sieger fortlebt. Wie oft hatte dieſer König in überſchwäng- lichen, faſt läſterlichen Worten ſeinen Unterthanen die angeſtammte Treue gepredigt! Und was bot er ſelbſt den Treueſten ſeiner Treuen in ihrer Todesnoth? Bitten und Klagen, zerknirſchte Briefe, unfruchtbare Ver- wahrungen, phantaſtiſche Träume europäiſcher Reactionspolitik — doch wahrlich nicht die ſchlichte Treue des deutſchen Mannes, nicht die Treue des Königs, der den Degen des großen Friedrich’s führte. Aus Schwäche hatte er den Neuenburgern die Treue nicht gehalten; und alsbald beſchied ihm ein grauſames Geſchick, daß er ſelber die Untreue des Berliner Pöbels erfahren mußte. Der Sturm brach los; und wie viele Leiden und Kämpfe noch bis ſich die Königsmacht der Hohenzollern nach tiefem Fall wieder frei aufrichtete. — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0756" n="742"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.</fw><lb/> da die Wogen der Revolution nunmehr auch über ihm zuſammen-<lb/> ſchlugen! Länderverluſte und Ländervertauſchungen hatte Preußen, wie<lb/> jeder große Staat, in den Wirren ſchwerer Kriegszeiten ſchon mehrmals<lb/> ertragen müſſen. Das aber war neu, daß ein Hohenzoller ſich mitten<lb/> im Frieden ein ſchönes Land von meineidigen Eidgenoſſen und einem<lb/> Haufen Aufrührer ungeſtraft rauben ließ, daß er ſich und ſeine Krone<lb/> einer verdienten Verachtung ausſetzte, die noch heute in den Hohnreden<lb/> der ſiegloſen Sieger fortlebt. Wie oft hatte dieſer König in überſchwäng-<lb/> lichen, faſt läſterlichen Worten ſeinen Unterthanen die angeſtammte Treue<lb/> gepredigt! Und was bot er ſelbſt den Treueſten ſeiner Treuen in ihrer<lb/> Todesnoth? Bitten und Klagen, zerknirſchte Briefe, unfruchtbare Ver-<lb/> wahrungen, phantaſtiſche Träume europäiſcher Reactionspolitik — doch<lb/> wahrlich nicht die ſchlichte Treue des deutſchen Mannes, nicht die Treue<lb/> des Königs, der den Degen des großen Friedrich’s führte. Aus Schwäche<lb/> hatte er den Neuenburgern die Treue nicht gehalten; und alsbald beſchied<lb/> ihm ein grauſames Geſchick, daß er ſelber die Untreue des Berliner<lb/> Pöbels erfahren mußte. Der Sturm brach los; und wie viele Leiden<lb/> und Kämpfe noch bis ſich die Königsmacht der Hohenzollern nach tiefem<lb/> Fall wieder frei aufrichtete. —</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </body> </text> </TEI> [742/0756]
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
da die Wogen der Revolution nunmehr auch über ihm zuſammen-
ſchlugen! Länderverluſte und Ländervertauſchungen hatte Preußen, wie
jeder große Staat, in den Wirren ſchwerer Kriegszeiten ſchon mehrmals
ertragen müſſen. Das aber war neu, daß ein Hohenzoller ſich mitten
im Frieden ein ſchönes Land von meineidigen Eidgenoſſen und einem
Haufen Aufrührer ungeſtraft rauben ließ, daß er ſich und ſeine Krone
einer verdienten Verachtung ausſetzte, die noch heute in den Hohnreden
der ſiegloſen Sieger fortlebt. Wie oft hatte dieſer König in überſchwäng-
lichen, faſt läſterlichen Worten ſeinen Unterthanen die angeſtammte Treue
gepredigt! Und was bot er ſelbſt den Treueſten ſeiner Treuen in ihrer
Todesnoth? Bitten und Klagen, zerknirſchte Briefe, unfruchtbare Ver-
wahrungen, phantaſtiſche Träume europäiſcher Reactionspolitik — doch
wahrlich nicht die ſchlichte Treue des deutſchen Mannes, nicht die Treue
des Königs, der den Degen des großen Friedrich’s führte. Aus Schwäche
hatte er den Neuenburgern die Treue nicht gehalten; und alsbald beſchied
ihm ein grauſames Geſchick, daß er ſelber die Untreue des Berliner
Pöbels erfahren mußte. Der Sturm brach los; und wie viele Leiden
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Zitationshilfe: | Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 742. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/756>, abgerufen am 23.07.2024. |