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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Vorbereitungen zum Sonderbundskriege.
so lange der ersehnte allgemeine Vernichtungskrieg gegen die Revolution
noch unmöglich schien. Palmerston aber harrte ungeduldig des Augen-
blicks, da er der Verblendung Metternich's und Guizot's eine lächerliche
Beschämung bereiten konnte. Am Wiener Hofe wurde die Möglichkeit
einer bewaffneten Einmischung schon seit dem Jahre 1845 ernstlich er-
wogen. Metternich verdammte die Aufhebung der Aargauer Klöster kurz-
weg als einen Raub, er wünschte seinen Luzerner Getreuen feierlich Glück
zur Vertreibung der Freischaaren, und obgleich er die Berufung der Jesuiten
nach Luzern bedenklich fand, so behauptete er doch von vornherein: der
kirchliche Streit sei nur Vorwand, die wirkliche Absicht dieser schamlosen
Radicalen gehe dahin, die Schweiz unter dem Schutze ihrer Neutralität
zu einem Heerde der europäischen Anarchie zu machen, die eine und untheil-
bare helvetische Republik der jacobinischen Zeiten mit einer revolutionären
"Centralregierung" wiederherzustellen. Diesem "unterwühlenden und
brandstiftenden Systeme" traute er jede Nichtswürdigkeit zu, zumal seit
der verrufene Ochsenbein an die Spitze der Eidgenossenschaft getreten war.*)

In Wahrheit wurde der unmögliche Gedanke eines helvetischen Ein-
heitsstaates nur von einzelnen Heißspornen der Jungschweizer gehegt; die
Masse der Radicalen lebte in den föderalistischen Ideen, die hierzulande in
der Luft lagen, sie wollte die Integrität der Cantone nicht gefährden und
auch die Souveränität der Cantonalgewalten nicht zerstören, sondern, wie
nachher der Erfolg zeigte, nur ernstlich beschränken. Aber auch diese ge-
mäßigten Pläne mußten -- wie Metternich die Dinge ansah -- den
Deutschen ein gefährliches Beispiel geben. Darum war in den Wiener
Hofkreisen Jedermann für den Sonderbund begeistert. Der carlistische
Landsknecht Fürst Friedrich Schwarzenberg stellte den Urcantonen seinen
Degen zur Verfügung, und selbst der alte Erzherzog Johann, den die
deutschen Liberalen wegen seines sagenhaften Trinkspruchs als Gesinnungs-
genossen bewunderten, verlangte heftig bewaffnetes Einschreiten gegen ein
Princip, das Alles umstürze. Die Sonderbundscantone schämten sich nicht,
die Nachbarmächte um Geld und Waffen gegen ihre eigenen Landsleute
zu bitten. Bernhard Meyer -- der Blut-Bäni, wie die Schweizer ihn
nannten -- erlangte im Herbst 1846 glücklich eine Flintensendung von
König Karl Albert -- kaum ein Jahr bevor der Piemontese umschwenkte
und mit den albertinischen Reformen die italienische Revolution einleitete.
Zwei andere Waffensendungen des Wiener und des Pariser Hofes wurden
aufgefangen, auch die dem Sonderbunde durch den Viceköng Erzherzog
Rainer übermittelten 50,000 Fr. trafen nicht mehr zur rechten Zeit ein.
Zugleich ließ der Wiener Hof eine Brigade an der Vorarlbergischen Grenze
zusammenziehen, in der ausgesprochenen Absicht, die Zwölfermehrheit ent-
weder einzuschüchtern oder sie zur Theilung ihrer Streiträfte zu nöthigen.**)

*) Berichte von Canitz, 19. Jan., 12. 24. April; von Bunsen 15. März 1845.
**) Graf Arnim's Bericht, 29. Sept. 1847.

Vorbereitungen zum Sonderbundskriege.
ſo lange der erſehnte allgemeine Vernichtungskrieg gegen die Revolution
noch unmöglich ſchien. Palmerſton aber harrte ungeduldig des Augen-
blicks, da er der Verblendung Metternich’s und Guizot’s eine lächerliche
Beſchämung bereiten konnte. Am Wiener Hofe wurde die Möglichkeit
einer bewaffneten Einmiſchung ſchon ſeit dem Jahre 1845 ernſtlich er-
wogen. Metternich verdammte die Aufhebung der Aargauer Klöſter kurz-
weg als einen Raub, er wünſchte ſeinen Luzerner Getreuen feierlich Glück
zur Vertreibung der Freiſchaaren, und obgleich er die Berufung der Jeſuiten
nach Luzern bedenklich fand, ſo behauptete er doch von vornherein: der
kirchliche Streit ſei nur Vorwand, die wirkliche Abſicht dieſer ſchamloſen
Radicalen gehe dahin, die Schweiz unter dem Schutze ihrer Neutralität
zu einem Heerde der europäiſchen Anarchie zu machen, die eine und untheil-
bare helvetiſche Republik der jacobiniſchen Zeiten mit einer revolutionären
„Centralregierung“ wiederherzuſtellen. Dieſem „unterwühlenden und
brandſtiftenden Syſteme“ traute er jede Nichtswürdigkeit zu, zumal ſeit
der verrufene Ochſenbein an die Spitze der Eidgenoſſenſchaft getreten war.*)

In Wahrheit wurde der unmögliche Gedanke eines helvetiſchen Ein-
heitsſtaates nur von einzelnen Heißſpornen der Jungſchweizer gehegt; die
Maſſe der Radicalen lebte in den föderaliſtiſchen Ideen, die hierzulande in
der Luft lagen, ſie wollte die Integrität der Cantone nicht gefährden und
auch die Souveränität der Cantonalgewalten nicht zerſtören, ſondern, wie
nachher der Erfolg zeigte, nur ernſtlich beſchränken. Aber auch dieſe ge-
mäßigten Pläne mußten — wie Metternich die Dinge anſah — den
Deutſchen ein gefährliches Beiſpiel geben. Darum war in den Wiener
Hofkreiſen Jedermann für den Sonderbund begeiſtert. Der carliſtiſche
Landsknecht Fürſt Friedrich Schwarzenberg ſtellte den Urcantonen ſeinen
Degen zur Verfügung, und ſelbſt der alte Erzherzog Johann, den die
deutſchen Liberalen wegen ſeines ſagenhaften Trinkſpruchs als Geſinnungs-
genoſſen bewunderten, verlangte heftig bewaffnetes Einſchreiten gegen ein
Princip, das Alles umſtürze. Die Sonderbundscantone ſchämten ſich nicht,
die Nachbarmächte um Geld und Waffen gegen ihre eigenen Landsleute
zu bitten. Bernhard Meyer — der Blut-Bäni, wie die Schweizer ihn
nannten — erlangte im Herbſt 1846 glücklich eine Flintenſendung von
König Karl Albert — kaum ein Jahr bevor der Piemonteſe umſchwenkte
und mit den albertiniſchen Reformen die italieniſche Revolution einleitete.
Zwei andere Waffenſendungen des Wiener und des Pariſer Hofes wurden
aufgefangen, auch die dem Sonderbunde durch den Viceköng Erzherzog
Rainer übermittelten 50,000 Fr. trafen nicht mehr zur rechten Zeit ein.
Zugleich ließ der Wiener Hof eine Brigade an der Vorarlbergiſchen Grenze
zuſammenziehen, in der ausgeſprochenen Abſicht, die Zwölfermehrheit ent-
weder einzuſchüchtern oder ſie zur Theilung ihrer Streiträfte zu nöthigen.**)

*) Berichte von Canitz, 19. Jan., 12. 24. April; von Bunſen 15. März 1845.
**) Graf Arnim’s Bericht, 29. Sept. 1847.
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[729/0743] Vorbereitungen zum Sonderbundskriege. ſo lange der erſehnte allgemeine Vernichtungskrieg gegen die Revolution noch unmöglich ſchien. Palmerſton aber harrte ungeduldig des Augen- blicks, da er der Verblendung Metternich’s und Guizot’s eine lächerliche Beſchämung bereiten konnte. Am Wiener Hofe wurde die Möglichkeit einer bewaffneten Einmiſchung ſchon ſeit dem Jahre 1845 ernſtlich er- wogen. Metternich verdammte die Aufhebung der Aargauer Klöſter kurz- weg als einen Raub, er wünſchte ſeinen Luzerner Getreuen feierlich Glück zur Vertreibung der Freiſchaaren, und obgleich er die Berufung der Jeſuiten nach Luzern bedenklich fand, ſo behauptete er doch von vornherein: der kirchliche Streit ſei nur Vorwand, die wirkliche Abſicht dieſer ſchamloſen Radicalen gehe dahin, die Schweiz unter dem Schutze ihrer Neutralität zu einem Heerde der europäiſchen Anarchie zu machen, die eine und untheil- bare helvetiſche Republik der jacobiniſchen Zeiten mit einer revolutionären „Centralregierung“ wiederherzuſtellen. Dieſem „unterwühlenden und brandſtiftenden Syſteme“ traute er jede Nichtswürdigkeit zu, zumal ſeit der verrufene Ochſenbein an die Spitze der Eidgenoſſenſchaft getreten war. *) In Wahrheit wurde der unmögliche Gedanke eines helvetiſchen Ein- heitsſtaates nur von einzelnen Heißſpornen der Jungſchweizer gehegt; die Maſſe der Radicalen lebte in den föderaliſtiſchen Ideen, die hierzulande in der Luft lagen, ſie wollte die Integrität der Cantone nicht gefährden und auch die Souveränität der Cantonalgewalten nicht zerſtören, ſondern, wie nachher der Erfolg zeigte, nur ernſtlich beſchränken. Aber auch dieſe ge- mäßigten Pläne mußten — wie Metternich die Dinge anſah — den Deutſchen ein gefährliches Beiſpiel geben. Darum war in den Wiener Hofkreiſen Jedermann für den Sonderbund begeiſtert. Der carliſtiſche Landsknecht Fürſt Friedrich Schwarzenberg ſtellte den Urcantonen ſeinen Degen zur Verfügung, und ſelbſt der alte Erzherzog Johann, den die deutſchen Liberalen wegen ſeines ſagenhaften Trinkſpruchs als Geſinnungs- genoſſen bewunderten, verlangte heftig bewaffnetes Einſchreiten gegen ein Princip, das Alles umſtürze. Die Sonderbundscantone ſchämten ſich nicht, die Nachbarmächte um Geld und Waffen gegen ihre eigenen Landsleute zu bitten. Bernhard Meyer — der Blut-Bäni, wie die Schweizer ihn nannten — erlangte im Herbſt 1846 glücklich eine Flintenſendung von König Karl Albert — kaum ein Jahr bevor der Piemonteſe umſchwenkte und mit den albertiniſchen Reformen die italieniſche Revolution einleitete. Zwei andere Waffenſendungen des Wiener und des Pariſer Hofes wurden aufgefangen, auch die dem Sonderbunde durch den Viceköng Erzherzog Rainer übermittelten 50,000 Fr. trafen nicht mehr zur rechten Zeit ein. Zugleich ließ der Wiener Hof eine Brigade an der Vorarlbergiſchen Grenze zuſammenziehen, in der ausgeſprochenen Abſicht, die Zwölfermehrheit ent- weder einzuſchüchtern oder ſie zur Theilung ihrer Streiträfte zu nöthigen. **) *) Berichte von Canitz, 19. Jan., 12. 24. April; von Bunſen 15. März 1845. **) Graf Arnim’s Bericht, 29. Sept. 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 729. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/743>, abgerufen am 22.11.2024.