Wilhelm ließ sich durch die legitimistische Seelenangst der befreundeten Höfe dermaßen bethören, daß er gar nicht mehr bemerkte, wie nahe seine eigenen deutschen Bundesreformpläne sich mit den allerdings derberen Gedanken der schweizerischen Radicalen berührten.
Zu allem Unheil ward der politische Parteikampf noch vergiftet durch die confessionelle Feindschaft, die hier, in dem Lande althistorischer Parität, nur Verderben stiften konnte. Da der clericalen Partei seit dem Kölnischen Bischofsstreite überall in der Welt die Schwingen gewachsen waren, so wagten die katholischen Freiämter des überwiegend protestantischen Cantons Aargau einen Aufruhr. Der Aufstand mißlang, und zur Strafe wurden die mit den Rebellen eng verbündeten Mannsklöster des Cantons ge- schlossen. Damit verletzten die Radicalen zuerst die Bundesverfassung, welche den Bestand der Klöster ausdrücklich gewährleistete. Der ganz von der clericalen Demokratie beherrschte Canton Luzern antwortete alsbald durch eine muthwillige Herausforderung: er berief die Jesuiten, die aller- dings schon in Freiburg und anderen Cantonen angesiedelt aber in der pro- testantischen Schweiz unbeschreiblich verhaßt waren. Diese That gab das Signal zum Bürgerkriege, obgleich sie dem Buchstaben der Bundesverfassung nicht widersprach. Während der nächsten Jahre begann sich die Eidgenossen- schaft in zwei Feldlager zu scheiden. In Genf, in der Waadt, in Bern, in Solothurn, in Zürich gelangte die radicale Partei zur Herrschaft, während in Wallis die Clericalen mit Luzerns Beihilfe einen blutigen Sieg errangen. Von den benachbarten radicalen Cantonen unterstützt versuchte die unzu- friedene Luzerner Minderheit durch zwei Freischaarenzüge das Priester- regiment zu stürzen (1844/45), und nachher wurde der Führer der Luzerner clericalen Volkspartei, der Bauer Leu durch einen gedungenen Mörder umgebracht. Den zweiten dieser Freischaarenzüge führte Anwalt Ochsen- bein von Bern, ein Radicaler vom rohesten Schlage, der sich allem An- schein nach in das Treiben der demagogischen Flüchtlinge sehr tief ein- gelassen hatte. Er entblödete sich nicht, in einer Druckschrift den Bundes- friedensbruch zu verherrlichen als "eine so großartige Erscheinung, wie sich einer ähnlichen keine andere Nation rühmen könne"; er sah in allen diesen Bürgerkämpfen nur den ewigen "Widerstreit zwischen dem geschicht- lichen und dem Vernunftrecht, den Kampf zwischen geistiger Knechtschaft und freiem geistigem Aufschwung." Ochsenbein wurde von dem eid- genössischen Generalstabe, dem er als Hauptmann angehörte, verdienter- maßen aus den Listen gestrichen, doch gleich darauf (1846) war er erwählter Stadtschultheiß von Bern und als solcher Vorsitzender der Eidgenossenschaft, da Bern für die nächsten zwei Jahre Vorort der Schweiz wurde.
Unterdessen hatten die sieben katholischen Cantone der inneren Schweiz einen Sonderbund geschlossen, angeblich nur zum Schutze der Bundes- verfassung und der Cantonalsouveränität. In Wahrheit widersprach der Sonderbund dem Bundesrechte, das alle der Eidgenossenschaft oder ein-
Der Sonderbund.
Wilhelm ließ ſich durch die legitimiſtiſche Seelenangſt der befreundeten Höfe dermaßen bethören, daß er gar nicht mehr bemerkte, wie nahe ſeine eigenen deutſchen Bundesreformpläne ſich mit den allerdings derberen Gedanken der ſchweizeriſchen Radicalen berührten.
Zu allem Unheil ward der politiſche Parteikampf noch vergiftet durch die confeſſionelle Feindſchaft, die hier, in dem Lande althiſtoriſcher Parität, nur Verderben ſtiften konnte. Da der clericalen Partei ſeit dem Kölniſchen Biſchofsſtreite überall in der Welt die Schwingen gewachſen waren, ſo wagten die katholiſchen Freiämter des überwiegend proteſtantiſchen Cantons Aargau einen Aufruhr. Der Aufſtand mißlang, und zur Strafe wurden die mit den Rebellen eng verbündeten Mannsklöſter des Cantons ge- ſchloſſen. Damit verletzten die Radicalen zuerſt die Bundesverfaſſung, welche den Beſtand der Klöſter ausdrücklich gewährleiſtete. Der ganz von der clericalen Demokratie beherrſchte Canton Luzern antwortete alsbald durch eine muthwillige Herausforderung: er berief die Jeſuiten, die aller- dings ſchon in Freiburg und anderen Cantonen angeſiedelt aber in der pro- teſtantiſchen Schweiz unbeſchreiblich verhaßt waren. Dieſe That gab das Signal zum Bürgerkriege, obgleich ſie dem Buchſtaben der Bundesverfaſſung nicht widerſprach. Während der nächſten Jahre begann ſich die Eidgenoſſen- ſchaft in zwei Feldlager zu ſcheiden. In Genf, in der Waadt, in Bern, in Solothurn, in Zürich gelangte die radicale Partei zur Herrſchaft, während in Wallis die Clericalen mit Luzerns Beihilfe einen blutigen Sieg errangen. Von den benachbarten radicalen Cantonen unterſtützt verſuchte die unzu- friedene Luzerner Minderheit durch zwei Freiſchaarenzüge das Prieſter- regiment zu ſtürzen (1844/45), und nachher wurde der Führer der Luzerner clericalen Volkspartei, der Bauer Leu durch einen gedungenen Mörder umgebracht. Den zweiten dieſer Freiſchaarenzüge führte Anwalt Ochſen- bein von Bern, ein Radicaler vom roheſten Schlage, der ſich allem An- ſchein nach in das Treiben der demagogiſchen Flüchtlinge ſehr tief ein- gelaſſen hatte. Er entblödete ſich nicht, in einer Druckſchrift den Bundes- friedensbruch zu verherrlichen als „eine ſo großartige Erſcheinung, wie ſich einer ähnlichen keine andere Nation rühmen könne“; er ſah in allen dieſen Bürgerkämpfen nur den ewigen „Widerſtreit zwiſchen dem geſchicht- lichen und dem Vernunftrecht, den Kampf zwiſchen geiſtiger Knechtſchaft und freiem geiſtigem Aufſchwung.“ Ochſenbein wurde von dem eid- genöſſiſchen Generalſtabe, dem er als Hauptmann angehörte, verdienter- maßen aus den Liſten geſtrichen, doch gleich darauf (1846) war er erwählter Stadtſchultheiß von Bern und als ſolcher Vorſitzender der Eidgenoſſenſchaft, da Bern für die nächſten zwei Jahre Vorort der Schweiz wurde.
Unterdeſſen hatten die ſieben katholiſchen Cantone der inneren Schweiz einen Sonderbund geſchloſſen, angeblich nur zum Schutze der Bundes- verfaſſung und der Cantonalſouveränität. In Wahrheit widerſprach der Sonderbund dem Bundesrechte, das alle der Eidgenoſſenſchaft oder ein-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0741"n="727"/><fwplace="top"type="header">Der Sonderbund.</fw><lb/>
Wilhelm ließ ſich durch die legitimiſtiſche Seelenangſt der befreundeten Höfe<lb/>
dermaßen bethören, daß er gar nicht mehr bemerkte, wie nahe ſeine eigenen<lb/>
deutſchen Bundesreformpläne ſich mit den allerdings derberen Gedanken<lb/>
der ſchweizeriſchen Radicalen berührten.</p><lb/><p>Zu allem Unheil ward der politiſche Parteikampf noch vergiftet durch<lb/>
die confeſſionelle Feindſchaft, die hier, in dem Lande althiſtoriſcher Parität,<lb/>
nur Verderben ſtiften konnte. Da der clericalen Partei ſeit dem Kölniſchen<lb/>
Biſchofsſtreite überall in der Welt die Schwingen gewachſen waren, ſo<lb/>
wagten die katholiſchen Freiämter des überwiegend proteſtantiſchen Cantons<lb/>
Aargau einen Aufruhr. Der Aufſtand mißlang, und zur Strafe wurden<lb/>
die mit den Rebellen eng verbündeten Mannsklöſter des Cantons ge-<lb/>ſchloſſen. Damit verletzten die Radicalen zuerſt die Bundesverfaſſung,<lb/>
welche den Beſtand der Klöſter ausdrücklich gewährleiſtete. Der ganz von<lb/>
der clericalen Demokratie beherrſchte Canton Luzern antwortete alsbald<lb/>
durch eine muthwillige Herausforderung: er berief die Jeſuiten, die aller-<lb/>
dings ſchon in Freiburg und anderen Cantonen angeſiedelt aber in der pro-<lb/>
teſtantiſchen Schweiz unbeſchreiblich verhaßt waren. Dieſe That gab das<lb/>
Signal zum Bürgerkriege, obgleich ſie dem Buchſtaben der Bundesverfaſſung<lb/>
nicht widerſprach. Während der nächſten Jahre begann ſich die Eidgenoſſen-<lb/>ſchaft in zwei Feldlager zu ſcheiden. In Genf, in der Waadt, in Bern,<lb/>
in Solothurn, in Zürich gelangte die radicale Partei zur Herrſchaft, während<lb/>
in Wallis die Clericalen mit Luzerns Beihilfe einen blutigen Sieg errangen.<lb/>
Von den benachbarten radicalen Cantonen unterſtützt verſuchte die unzu-<lb/>
friedene Luzerner Minderheit durch zwei Freiſchaarenzüge das Prieſter-<lb/>
regiment zu ſtürzen (1844/45), und nachher wurde der Führer der Luzerner<lb/>
clericalen Volkspartei, der Bauer Leu durch einen gedungenen Mörder<lb/>
umgebracht. Den zweiten dieſer Freiſchaarenzüge führte Anwalt Ochſen-<lb/>
bein von Bern, ein Radicaler vom roheſten Schlage, der ſich allem An-<lb/>ſchein nach in das Treiben der demagogiſchen Flüchtlinge ſehr tief ein-<lb/>
gelaſſen hatte. Er entblödete ſich nicht, in einer Druckſchrift den Bundes-<lb/>
friedensbruch zu verherrlichen als „eine ſo großartige Erſcheinung, wie<lb/>ſich einer ähnlichen keine andere Nation rühmen könne“; er ſah in allen<lb/>
dieſen Bürgerkämpfen nur den ewigen „Widerſtreit zwiſchen dem geſchicht-<lb/>
lichen und dem Vernunftrecht, den Kampf zwiſchen geiſtiger Knechtſchaft<lb/>
und freiem geiſtigem Aufſchwung.“ Ochſenbein wurde von dem eid-<lb/>
genöſſiſchen Generalſtabe, dem er als Hauptmann angehörte, verdienter-<lb/>
maßen aus den Liſten geſtrichen, doch gleich darauf (1846) war er erwählter<lb/>
Stadtſchultheiß von Bern und als ſolcher Vorſitzender der Eidgenoſſenſchaft,<lb/>
da Bern für die nächſten zwei Jahre Vorort der Schweiz wurde.</p><lb/><p>Unterdeſſen hatten die ſieben katholiſchen Cantone der inneren Schweiz<lb/>
einen Sonderbund geſchloſſen, angeblich nur zum Schutze der Bundes-<lb/>
verfaſſung und der Cantonalſouveränität. In Wahrheit widerſprach der<lb/>
Sonderbund dem Bundesrechte, das alle der Eidgenoſſenſchaft oder ein-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[727/0741]
Der Sonderbund.
Wilhelm ließ ſich durch die legitimiſtiſche Seelenangſt der befreundeten Höfe
dermaßen bethören, daß er gar nicht mehr bemerkte, wie nahe ſeine eigenen
deutſchen Bundesreformpläne ſich mit den allerdings derberen Gedanken
der ſchweizeriſchen Radicalen berührten.
Zu allem Unheil ward der politiſche Parteikampf noch vergiftet durch
die confeſſionelle Feindſchaft, die hier, in dem Lande althiſtoriſcher Parität,
nur Verderben ſtiften konnte. Da der clericalen Partei ſeit dem Kölniſchen
Biſchofsſtreite überall in der Welt die Schwingen gewachſen waren, ſo
wagten die katholiſchen Freiämter des überwiegend proteſtantiſchen Cantons
Aargau einen Aufruhr. Der Aufſtand mißlang, und zur Strafe wurden
die mit den Rebellen eng verbündeten Mannsklöſter des Cantons ge-
ſchloſſen. Damit verletzten die Radicalen zuerſt die Bundesverfaſſung,
welche den Beſtand der Klöſter ausdrücklich gewährleiſtete. Der ganz von
der clericalen Demokratie beherrſchte Canton Luzern antwortete alsbald
durch eine muthwillige Herausforderung: er berief die Jeſuiten, die aller-
dings ſchon in Freiburg und anderen Cantonen angeſiedelt aber in der pro-
teſtantiſchen Schweiz unbeſchreiblich verhaßt waren. Dieſe That gab das
Signal zum Bürgerkriege, obgleich ſie dem Buchſtaben der Bundesverfaſſung
nicht widerſprach. Während der nächſten Jahre begann ſich die Eidgenoſſen-
ſchaft in zwei Feldlager zu ſcheiden. In Genf, in der Waadt, in Bern,
in Solothurn, in Zürich gelangte die radicale Partei zur Herrſchaft, während
in Wallis die Clericalen mit Luzerns Beihilfe einen blutigen Sieg errangen.
Von den benachbarten radicalen Cantonen unterſtützt verſuchte die unzu-
friedene Luzerner Minderheit durch zwei Freiſchaarenzüge das Prieſter-
regiment zu ſtürzen (1844/45), und nachher wurde der Führer der Luzerner
clericalen Volkspartei, der Bauer Leu durch einen gedungenen Mörder
umgebracht. Den zweiten dieſer Freiſchaarenzüge führte Anwalt Ochſen-
bein von Bern, ein Radicaler vom roheſten Schlage, der ſich allem An-
ſchein nach in das Treiben der demagogiſchen Flüchtlinge ſehr tief ein-
gelaſſen hatte. Er entblödete ſich nicht, in einer Druckſchrift den Bundes-
friedensbruch zu verherrlichen als „eine ſo großartige Erſcheinung, wie
ſich einer ähnlichen keine andere Nation rühmen könne“; er ſah in allen
dieſen Bürgerkämpfen nur den ewigen „Widerſtreit zwiſchen dem geſchicht-
lichen und dem Vernunftrecht, den Kampf zwiſchen geiſtiger Knechtſchaft
und freiem geiſtigem Aufſchwung.“ Ochſenbein wurde von dem eid-
genöſſiſchen Generalſtabe, dem er als Hauptmann angehörte, verdienter-
maßen aus den Liſten geſtrichen, doch gleich darauf (1846) war er erwählter
Stadtſchultheiß von Bern und als ſolcher Vorſitzender der Eidgenoſſenſchaft,
da Bern für die nächſten zwei Jahre Vorort der Schweiz wurde.
Unterdeſſen hatten die ſieben katholiſchen Cantone der inneren Schweiz
einen Sonderbund geſchloſſen, angeblich nur zum Schutze der Bundes-
verfaſſung und der Cantonalſouveränität. In Wahrheit widerſprach der
Sonderbund dem Bundesrechte, das alle der Eidgenoſſenſchaft oder ein-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 727. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/741>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.