Nirgends wußte man das besser als im Hauptquartiere des Feld- marschalls Radetzky. Der greise, im menschlichen Verkehre stets liebens- würdige Kriegsmann behandelte das schöne Doppelkönigreich, das er für seinen Kaiser behüten sollte, schlechthin als Feindesland; weder er noch seine Offiziere wollten in den Italienern jemals Mitbürger und Lands- leute sehen, und auch General Ficquelmont, der im Sommer 1847 zur Unterstützung des schwachen Vicekönigs, des Erzherzogs Rainer nach Mai- land gesendet wurde, stimmte mit dem Feldmarschall dahin überein, daß hierzulande nur Waffen und wieder Waffen helfen könnten. Trotz der Umtriebe der Agenten Mazzini's begannen sich selbst in diesem geknechteten Volke gemäßigte Parteien zu bilden, und Giusti sagte, so oft er die Glocken des Mailänder Doms zum Begräbniß oder zur Taufe läuten hörte: "ein Brigant stirbt, ein Liberaler wird geboren." Alle diese Selbstbesinnung, all das tiefe patriotische Leid der Lombarden war den heimathlosen Lands- knechten des k. k. Heeres nur lächerlich, selbst der feingebildete General Schönhals beschimpfte die Wälschen als Verräther und Feiglinge. "Nicht die Stärke der Nationen -- so schrieb Radetzky in diesen Tagen dem preußischen General Wrangel -- sondern die Schwäche der Fürsten er- zeugt die Revolution. Der hochgefeierte Pius ist ein schwacher, eitler Pfaffe, vielleicht ein guter Mensch, sonst nichts."
Die Masse des Volks fühlte von dem Drucke der Fremdherrschaft wenig. Was sollten aber die Signoren empfinden? Ein scheußliches Spionenwesen vergiftete jedes Haus, die gefangenen Verschwörer wurden grausam mißhandelt, die Presse geknebelt, die Brutalität der stockprügel- seligen Beamten erschien eben so unleidlich wie der hochmüthige Wach- stubenton der Truppen, jedes nationale Gefühl ward grundsätzlich ver- höhnt. Versöhnung war unmöglich. "O ihr geliebten Brüder, auch Euer Tag wird tagen" -- so sangen die Florentiner und die Romagnolen den Brüdern im Norden zu. Nur auf den Congressen der Landwirthe und der gelehrten Welt, die hier wie in Deutschland das Erwachen des Ein- heitsgedankens ankündigten, durften Lombarden und Venetianer sich un- gestört ihres Volksthums erfreuen. Wo aber die Piushymne erklang, da schritten die k. k. Truppen ein, schon floß Blut in kleinen Straßenkämpfen, schon wurden die Universitäten von Padua und Pavia geschlossen, weil man die Studenten nicht mehr bändigen konnte. Die Stunde der Ab- rechnung kam heran. Am 12. Jan. 1848 wehte die Tricolore auf den Thürmen von Palermo, Sicilien sagte sich los vom Hause Bourbon. Noch glaubte man in der Hofburg wie in den Tuilerien das Bestehende halten zu können. Guizot erklärte, die Bourbonen hätten gar nicht das Recht auf die Insel zu verzichten; auf Metternich's Wunsch war er bereit, "den ehrgeizigen, ränkesüchtigen, furchtsamen" König Karl Albert zu überwachen und nöthigenfalls Rom zu besetzen. Er wollte, daß die vier Großmächte des Festlands sich gemeinsam für den Besitzstand in Italien verbürgen
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
Nirgends wußte man das beſſer als im Hauptquartiere des Feld- marſchalls Radetzky. Der greiſe, im menſchlichen Verkehre ſtets liebens- würdige Kriegsmann behandelte das ſchöne Doppelkönigreich, das er für ſeinen Kaiſer behüten ſollte, ſchlechthin als Feindesland; weder er noch ſeine Offiziere wollten in den Italienern jemals Mitbürger und Lands- leute ſehen, und auch General Ficquelmont, der im Sommer 1847 zur Unterſtützung des ſchwachen Vicekönigs, des Erzherzogs Rainer nach Mai- land geſendet wurde, ſtimmte mit dem Feldmarſchall dahin überein, daß hierzulande nur Waffen und wieder Waffen helfen könnten. Trotz der Umtriebe der Agenten Mazzini’s begannen ſich ſelbſt in dieſem geknechteten Volke gemäßigte Parteien zu bilden, und Giuſti ſagte, ſo oft er die Glocken des Mailänder Doms zum Begräbniß oder zur Taufe läuten hörte: „ein Brigant ſtirbt, ein Liberaler wird geboren.“ Alle dieſe Selbſtbeſinnung, all das tiefe patriotiſche Leid der Lombarden war den heimathloſen Lands- knechten des k. k. Heeres nur lächerlich, ſelbſt der feingebildete General Schönhals beſchimpfte die Wälſchen als Verräther und Feiglinge. „Nicht die Stärke der Nationen — ſo ſchrieb Radetzky in dieſen Tagen dem preußiſchen General Wrangel — ſondern die Schwäche der Fürſten er- zeugt die Revolution. Der hochgefeierte Pius iſt ein ſchwacher, eitler Pfaffe, vielleicht ein guter Menſch, ſonſt nichts.“
Die Maſſe des Volks fühlte von dem Drucke der Fremdherrſchaft wenig. Was ſollten aber die Signoren empfinden? Ein ſcheußliches Spionenweſen vergiftete jedes Haus, die gefangenen Verſchwörer wurden grauſam mißhandelt, die Preſſe geknebelt, die Brutalität der ſtockprügel- ſeligen Beamten erſchien eben ſo unleidlich wie der hochmüthige Wach- ſtubenton der Truppen, jedes nationale Gefühl ward grundſätzlich ver- höhnt. Verſöhnung war unmöglich. „O ihr geliebten Brüder, auch Euer Tag wird tagen“ — ſo ſangen die Florentiner und die Romagnolen den Brüdern im Norden zu. Nur auf den Congreſſen der Landwirthe und der gelehrten Welt, die hier wie in Deutſchland das Erwachen des Ein- heitsgedankens ankündigten, durften Lombarden und Venetianer ſich un- geſtört ihres Volksthums erfreuen. Wo aber die Piushymne erklang, da ſchritten die k. k. Truppen ein, ſchon floß Blut in kleinen Straßenkämpfen, ſchon wurden die Univerſitäten von Padua und Pavia geſchloſſen, weil man die Studenten nicht mehr bändigen konnte. Die Stunde der Ab- rechnung kam heran. Am 12. Jan. 1848 wehte die Tricolore auf den Thürmen von Palermo, Sicilien ſagte ſich los vom Hauſe Bourbon. Noch glaubte man in der Hofburg wie in den Tuilerien das Beſtehende halten zu können. Guizot erklärte, die Bourbonen hätten gar nicht das Recht auf die Inſel zu verzichten; auf Metternich’s Wunſch war er bereit, „den ehrgeizigen, ränkeſüchtigen, furchtſamen“ König Karl Albert zu überwachen und nöthigenfalls Rom zu beſetzen. Er wollte, daß die vier Großmächte des Feſtlands ſich gemeinſam für den Beſitzſtand in Italien verbürgen
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würdige Kriegsmann behandelte das ſchöne Doppelkönigreich, das er für
ſeinen Kaiſer behüten ſollte, ſchlechthin als Feindesland; weder er noch
ſeine Offiziere wollten in den Italienern jemals Mitbürger und Lands-
leute ſehen, und auch General Ficquelmont, der im Sommer 1847 zur
Unterſtützung des ſchwachen Vicekönigs, des Erzherzogs Rainer nach Mai-
land geſendet wurde, ſtimmte mit dem Feldmarſchall dahin überein, daß
hierzulande nur Waffen und wieder Waffen helfen könnten. Trotz der
Umtriebe der Agenten Mazzini’s begannen ſich ſelbſt in dieſem geknechteten
Volke gemäßigte Parteien zu bilden, und Giuſti ſagte, ſo oft er die Glocken
des Mailänder Doms zum Begräbniß oder zur Taufe läuten hörte: „ein
Brigant ſtirbt, ein Liberaler wird geboren.“ Alle dieſe Selbſtbeſinnung,
all das tiefe patriotiſche Leid der Lombarden war den heimathloſen Lands-
knechten des k. k. Heeres nur lächerlich, ſelbſt der feingebildete General
Schönhals beſchimpfte die Wälſchen als Verräther und Feiglinge. „Nicht
die Stärke der Nationen — ſo ſchrieb Radetzky in dieſen Tagen dem
preußiſchen General Wrangel — ſondern die Schwäche der Fürſten er-
zeugt die Revolution. Der hochgefeierte Pius iſt ein ſchwacher, eitler
Pfaffe, vielleicht ein guter Menſch, ſonſt nichts.“
Die Maſſe des Volks fühlte von dem Drucke der Fremdherrſchaft
wenig. Was ſollten aber die Signoren empfinden? Ein ſcheußliches
Spionenweſen vergiftete jedes Haus, die gefangenen Verſchwörer wurden
grauſam mißhandelt, die Preſſe geknebelt, die Brutalität der ſtockprügel-
ſeligen Beamten erſchien eben ſo unleidlich wie der hochmüthige Wach-
ſtubenton der Truppen, jedes nationale Gefühl ward grundſätzlich ver-
höhnt. Verſöhnung war unmöglich. „O ihr geliebten Brüder, auch Euer
Tag wird tagen“ — ſo ſangen die Florentiner und die Romagnolen den
Brüdern im Norden zu. Nur auf den Congreſſen der Landwirthe und
der gelehrten Welt, die hier wie in Deutſchland das Erwachen des Ein-
heitsgedankens ankündigten, durften Lombarden und Venetianer ſich un-
geſtört ihres Volksthums erfreuen. Wo aber die Piushymne erklang, da
ſchritten die k. k. Truppen ein, ſchon floß Blut in kleinen Straßenkämpfen,
ſchon wurden die Univerſitäten von Padua und Pavia geſchloſſen, weil
man die Studenten nicht mehr bändigen konnte. Die Stunde der Ab-
rechnung kam heran. Am 12. Jan. 1848 wehte die Tricolore auf den
Thürmen von Palermo, Sicilien ſagte ſich los vom Hauſe Bourbon. Noch
glaubte man in der Hofburg wie in den Tuilerien das Beſtehende halten
zu können. Guizot erklärte, die Bourbonen hätten gar nicht das Recht
auf die Inſel zu verzichten; auf Metternich’s Wunſch war er bereit, „den
ehrgeizigen, ränkeſüchtigen, furchtſamen“ König Karl Albert zu überwachen
und nöthigenfalls Rom zu beſetzen. Er wollte, daß die vier Großmächte
des Feſtlands ſich gemeinſam für den Beſitzſtand in Italien verbürgen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 724. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/738>, abgerufen am 22.11.2024.
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