vermählt, der zur Verherrlichung des Possenspiels auch noch den Königs- titel erhielt. Noch am selben Tage, aber ein wenig später ließ sich die In- fantin Luise mit dem Herzog von Montpensier trauen, so daß der Tugend- held Guizot unschuldig versichern konnten, die beiden Hochzeiten hätten nicht gleichzeitig stattgefunden! Nun kam was jeder Menschenkenner vor- aussehen mußte. Die junge Königin jagte ihren elenden Gatten schon nach wenigen Wochen aus dem Palaste und entschädigte sich sodann reich- lich mit verschiedenen Günstlingen; die Kinder blieben nicht aus, und da diese Sprößlinge ihr Thronfolgerecht doch nur von der Mutter herleiten konnten, so kam auf die Väter wenig an. Spaniens französische Gönner bewirkten also, daß diese Krone, die nach so vielen Freveln vornehmlich der sittlichen Kräftigung bedurfte, ganz in den Koth sank und das Ma- drider Schloß als eine Stätte geschmackloser Ausschweifungen allgemein verhöhnt wurde. Von einem politischen Einfluß des französisch gesinnten sogenannten Königs war keine Rede, Isabella schwankte haltlos zwischen den beiden hadernden Parteien; Montpensier aber und seine Söhne konnten als Fremdlinge niemals irgend ein Ansehen erlangen. Der nächste politische Zweck der mit so schnöden Mitteln erstrebten Doppel- heirath war mithin ganz verfehlt, und für den eitlen Glanz der großen bourbonischen Familienverbindung zeigte das constitutionelle Frankreich auch nur wenig Sinn.
Gewaltig wirkte die Komödie der spanischen Irrungen auf Europas gesammte Politik zurück. Die gerühmte Entente cordiale, die auch nach den orientalischen Wirren noch nothdürftig zusammengehalten hatte, ging plötzlich ganz aus den Fugen. In offener Feindschaft standen die beiden Westmächte einander fortan gegenüber. Ludwig Philipp schloß sich noch enger als bisher der reactionären Politik der Hofburg an; Palmerston aber zeigte sich jetzt erst ganz als Lord Feuerbrand, überall in der Welt suchte er den Aufruhr gegen die conservativen Mächte anzuschüren. Der heiligste politische Grundsatz aller Briten, der Satz, daß nur England berechtigt ist andere Mächte zu belügen, war durch die abgefeimten Pariser Spieler gar zu gröblich verletzt worden, und mit der ganzen Entrüstung des betrogenen Betrügers ließ Palmerston nunmehr seine Presse wider die französische Treulosigkeit losfahren. Im Grunde hatten sich beide Höfe bei der gemeinsamen Mißhandlung ihres spanischen Schützlings gleich würdelos betragen, Frankreich allerdings noch etwas unsäuberlicher als England. Da der Tuilerienhof jedoch den Preis davon getragen hatte, so erschien er den Unkundigen als der allein schuldige Theil; die wüthenden Anklagen der englischen Zeitungen hinterließen selbst in Frankreich einen so starken Eindruck, daß der längst geschädigte Ruf des Julikönigthums nun vollends zu Grunde ging, und das Selbstlob der Guizot'schen Blätter "überall ist Frankreich geliebt und gefürchtet" auch den Franzosen wie Hohn klang.
45*
Doppelhochzeit in Madrid.
vermählt, der zur Verherrlichung des Poſſenſpiels auch noch den Königs- titel erhielt. Noch am ſelben Tage, aber ein wenig ſpäter ließ ſich die In- fantin Luiſe mit dem Herzog von Montpenſier trauen, ſo daß der Tugend- held Guizot unſchuldig verſichern konnten, die beiden Hochzeiten hätten nicht gleichzeitig ſtattgefunden! Nun kam was jeder Menſchenkenner vor- ausſehen mußte. Die junge Königin jagte ihren elenden Gatten ſchon nach wenigen Wochen aus dem Palaſte und entſchädigte ſich ſodann reich- lich mit verſchiedenen Günſtlingen; die Kinder blieben nicht aus, und da dieſe Sprößlinge ihr Thronfolgerecht doch nur von der Mutter herleiten konnten, ſo kam auf die Väter wenig an. Spaniens franzöſiſche Gönner bewirkten alſo, daß dieſe Krone, die nach ſo vielen Freveln vornehmlich der ſittlichen Kräftigung bedurfte, ganz in den Koth ſank und das Ma- drider Schloß als eine Stätte geſchmackloſer Ausſchweifungen allgemein verhöhnt wurde. Von einem politiſchen Einfluß des franzöſiſch geſinnten ſogenannten Königs war keine Rede, Iſabella ſchwankte haltlos zwiſchen den beiden hadernden Parteien; Montpenſier aber und ſeine Söhne konnten als Fremdlinge niemals irgend ein Anſehen erlangen. Der nächſte politiſche Zweck der mit ſo ſchnöden Mitteln erſtrebten Doppel- heirath war mithin ganz verfehlt, und für den eitlen Glanz der großen bourboniſchen Familienverbindung zeigte das conſtitutionelle Frankreich auch nur wenig Sinn.
Gewaltig wirkte die Komödie der ſpaniſchen Irrungen auf Europas geſammte Politik zurück. Die gerühmte Entente cordiale, die auch nach den orientaliſchen Wirren noch nothdürftig zuſammengehalten hatte, ging plötzlich ganz aus den Fugen. In offener Feindſchaft ſtanden die beiden Weſtmächte einander fortan gegenüber. Ludwig Philipp ſchloß ſich noch enger als bisher der reactionären Politik der Hofburg an; Palmerſton aber zeigte ſich jetzt erſt ganz als Lord Feuerbrand, überall in der Welt ſuchte er den Aufruhr gegen die conſervativen Mächte anzuſchüren. Der heiligſte politiſche Grundſatz aller Briten, der Satz, daß nur England berechtigt iſt andere Mächte zu belügen, war durch die abgefeimten Pariſer Spieler gar zu gröblich verletzt worden, und mit der ganzen Entrüſtung des betrogenen Betrügers ließ Palmerſton nunmehr ſeine Preſſe wider die franzöſiſche Treuloſigkeit losfahren. Im Grunde hatten ſich beide Höfe bei der gemeinſamen Mißhandlung ihres ſpaniſchen Schützlings gleich würdelos betragen, Frankreich allerdings noch etwas unſäuberlicher als England. Da der Tuilerienhof jedoch den Preis davon getragen hatte, ſo erſchien er den Unkundigen als der allein ſchuldige Theil; die wüthenden Anklagen der engliſchen Zeitungen hinterließen ſelbſt in Frankreich einen ſo ſtarken Eindruck, daß der längſt geſchädigte Ruf des Julikönigthums nun vollends zu Grunde ging, und das Selbſtlob der Guizot’ſchen Blätter „überall iſt Frankreich geliebt und gefürchtet“ auch den Franzoſen wie Hohn klang.
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Doppelhochzeit in Madrid.
vermählt, der zur Verherrlichung des Poſſenſpiels auch noch den Königs-
titel erhielt. Noch am ſelben Tage, aber ein wenig ſpäter ließ ſich die In-
fantin Luiſe mit dem Herzog von Montpenſier trauen, ſo daß der Tugend-
held Guizot unſchuldig verſichern konnten, die beiden Hochzeiten hätten
nicht gleichzeitig ſtattgefunden! Nun kam was jeder Menſchenkenner vor-
ausſehen mußte. Die junge Königin jagte ihren elenden Gatten ſchon
nach wenigen Wochen aus dem Palaſte und entſchädigte ſich ſodann reich-
lich mit verſchiedenen Günſtlingen; die Kinder blieben nicht aus, und da
dieſe Sprößlinge ihr Thronfolgerecht doch nur von der Mutter herleiten
konnten, ſo kam auf die Väter wenig an. Spaniens franzöſiſche Gönner
bewirkten alſo, daß dieſe Krone, die nach ſo vielen Freveln vornehmlich
der ſittlichen Kräftigung bedurfte, ganz in den Koth ſank und das Ma-
drider Schloß als eine Stätte geſchmackloſer Ausſchweifungen allgemein
verhöhnt wurde. Von einem politiſchen Einfluß des franzöſiſch geſinnten
ſogenannten Königs war keine Rede, Iſabella ſchwankte haltlos zwiſchen
den beiden hadernden Parteien; Montpenſier aber und ſeine Söhne
konnten als Fremdlinge niemals irgend ein Anſehen erlangen. Der
nächſte politiſche Zweck der mit ſo ſchnöden Mitteln erſtrebten Doppel-
heirath war mithin ganz verfehlt, und für den eitlen Glanz der großen
bourboniſchen Familienverbindung zeigte das conſtitutionelle Frankreich
auch nur wenig Sinn.
Gewaltig wirkte die Komödie der ſpaniſchen Irrungen auf Europas
geſammte Politik zurück. Die gerühmte Entente cordiale, die auch nach
den orientaliſchen Wirren noch nothdürftig zuſammengehalten hatte, ging
plötzlich ganz aus den Fugen. In offener Feindſchaft ſtanden die beiden
Weſtmächte einander fortan gegenüber. Ludwig Philipp ſchloß ſich noch
enger als bisher der reactionären Politik der Hofburg an; Palmerſton
aber zeigte ſich jetzt erſt ganz als Lord Feuerbrand, überall in der Welt
ſuchte er den Aufruhr gegen die conſervativen Mächte anzuſchüren. Der
heiligſte politiſche Grundſatz aller Briten, der Satz, daß nur England
berechtigt iſt andere Mächte zu belügen, war durch die abgefeimten Pariſer
Spieler gar zu gröblich verletzt worden, und mit der ganzen Entrüſtung
des betrogenen Betrügers ließ Palmerſton nunmehr ſeine Preſſe wider
die franzöſiſche Treuloſigkeit losfahren. Im Grunde hatten ſich beide Höfe
bei der gemeinſamen Mißhandlung ihres ſpaniſchen Schützlings gleich
würdelos betragen, Frankreich allerdings noch etwas unſäuberlicher als
England. Da der Tuilerienhof jedoch den Preis davon getragen hatte,
ſo erſchien er den Unkundigen als der allein ſchuldige Theil; die wüthenden
Anklagen der engliſchen Zeitungen hinterließen ſelbſt in Frankreich einen
ſo ſtarken Eindruck, daß der längſt geſchädigte Ruf des Julikönigthums
nun vollends zu Grunde ging, und das Selbſtlob der Guizot’ſchen Blätter
„überall iſt Frankreich geliebt und gefürchtet“ auch den Franzoſen wie
Hohn klang.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 707. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/721>, abgerufen am 23.07.2024.
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