Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. jetzt schon überall als Volkswunsch galt, ernstlich erwogen, und sobald manden Dingen näher trat, drängte sich auch schon gebieterisch die Frage der Zukunft hervor, die Frage: Preußen oder Oesterreich? Mathy erwies mit seinem überlegenen Verstande: ein Reichstag ohne eine wirkliche Staats- gewalt sei ein Unding, ja er würde neben dem Bundestage die deutsche Anarchie nur vollenden; der Zollverein hingegen besitze schon eine gemein- same Verwaltung, eine leidliche Organisation, also müsse den Zollcon- ferenzen ein Zollparlament beigeordnet werden, das ernsthafte nationale Geschäfte ernsthaft beriethe ohne in leeren Phrasen unterzugehen. Es war ein befreiendes Wort. Verfolgte man diesen Weg weiter, so gelangte man unfehlbar zu der Erkenntniß, daß die deutsche Einheit nur unter Preußens Führung und mit Ausschluß Oesterreichs möglich war. Gagern stimmte dem Badener zu, desgleichen Hansemann, der schon den Rheinischen Provinzialständen und dem Vereinigten Landtage die Berufung eines Zoll- parlaments empfohlen hatte, und man trennte sich in Eintracht. Als die Tagenden heimkehrten, da bemerkten sie freilich bald, daß der nüchterne Gedanke des Zollparlaments den leidenschaftlich erregten, nach einem un- bestimmten Glücke verlangenden Gemüthern der Patrioten nicht genügte. Das deutsche Parlament blieb das einzige Schlagwort der Einheitspartei, das die Massen begeistern konnte. Darum stellte Bassermann im Karls- ruher Landtage seinen Antrag auf Berufung einer gesammtdeutschen Volks- vertretung, obgleich der einsichtige Mann wohl wußte, wie wenig dieser nebelhafte Vorschlag den Kern der Sache traf. Schon vorher, im Juli 1847, war ein Unternehmen begonnen worden, V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. jetzt ſchon überall als Volkswunſch galt, ernſtlich erwogen, und ſobald manden Dingen näher trat, drängte ſich auch ſchon gebieteriſch die Frage der Zukunft hervor, die Frage: Preußen oder Oeſterreich? Mathy erwies mit ſeinem überlegenen Verſtande: ein Reichstag ohne eine wirkliche Staats- gewalt ſei ein Unding, ja er würde neben dem Bundestage die deutſche Anarchie nur vollenden; der Zollverein hingegen beſitze ſchon eine gemein- ſame Verwaltung, eine leidliche Organiſation, alſo müſſe den Zollcon- ferenzen ein Zollparlament beigeordnet werden, das ernſthafte nationale Geſchäfte ernſthaft beriethe ohne in leeren Phraſen unterzugehen. Es war ein befreiendes Wort. Verfolgte man dieſen Weg weiter, ſo gelangte man unfehlbar zu der Erkenntniß, daß die deutſche Einheit nur unter Preußens Führung und mit Ausſchluß Oeſterreichs möglich war. Gagern ſtimmte dem Badener zu, desgleichen Hanſemann, der ſchon den Rheiniſchen Provinzialſtänden und dem Vereinigten Landtage die Berufung eines Zoll- parlaments empfohlen hatte, und man trennte ſich in Eintracht. Als die Tagenden heimkehrten, da bemerkten ſie freilich bald, daß der nüchterne Gedanke des Zollparlaments den leidenſchaftlich erregten, nach einem un- beſtimmten Glücke verlangenden Gemüthern der Patrioten nicht genügte. Das deutſche Parlament blieb das einzige Schlagwort der Einheitspartei, das die Maſſen begeiſtern konnte. Darum ſtellte Baſſermann im Karls- ruher Landtage ſeinen Antrag auf Berufung einer geſammtdeutſchen Volks- vertretung, obgleich der einſichtige Mann wohl wußte, wie wenig dieſer nebelhafte Vorſchlag den Kern der Sache traf. Schon vorher, im Juli 1847, war ein Unternehmen begonnen worden, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0702" n="688"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 9. 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V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
jetzt ſchon überall als Volkswunſch galt, ernſtlich erwogen, und ſobald man
den Dingen näher trat, drängte ſich auch ſchon gebieteriſch die Frage der
Zukunft hervor, die Frage: Preußen oder Oeſterreich? Mathy erwies mit
ſeinem überlegenen Verſtande: ein Reichstag ohne eine wirkliche Staats-
gewalt ſei ein Unding, ja er würde neben dem Bundestage die deutſche
Anarchie nur vollenden; der Zollverein hingegen beſitze ſchon eine gemein-
ſame Verwaltung, eine leidliche Organiſation, alſo müſſe den Zollcon-
ferenzen ein Zollparlament beigeordnet werden, das ernſthafte nationale
Geſchäfte ernſthaft beriethe ohne in leeren Phraſen unterzugehen. Es
war ein befreiendes Wort. Verfolgte man dieſen Weg weiter, ſo gelangte
man unfehlbar zu der Erkenntniß, daß die deutſche Einheit nur unter
Preußens Führung und mit Ausſchluß Oeſterreichs möglich war. Gagern
ſtimmte dem Badener zu, desgleichen Hanſemann, der ſchon den Rheiniſchen
Provinzialſtänden und dem Vereinigten Landtage die Berufung eines Zoll-
parlaments empfohlen hatte, und man trennte ſich in Eintracht. Als die
Tagenden heimkehrten, da bemerkten ſie freilich bald, daß der nüchterne
Gedanke des Zollparlaments den leidenſchaftlich erregten, nach einem un-
beſtimmten Glücke verlangenden Gemüthern der Patrioten nicht genügte.
Das deutſche Parlament blieb das einzige Schlagwort der Einheitspartei,
das die Maſſen begeiſtern konnte. Darum ſtellte Baſſermann im Karls-
ruher Landtage ſeinen Antrag auf Berufung einer geſammtdeutſchen Volks-
vertretung, obgleich der einſichtige Mann wohl wußte, wie wenig dieſer
nebelhafte Vorſchlag den Kern der Sache traf.
Schon vorher, im Juli 1847, war ein Unternehmen begonnen worden,
das den gemäßigten Liberalen für die nationale Politik die geiſtige Führung
ſichern ſollte. Der Plan einer großen, für die geſammte Nation be-
ſtimmten Zeitung beſchäftigte den König von Preußen ſeit ſeiner Thron-
beſteigung und wurde auch jetzt noch durch Profeſſor Lohbauer wieder auf-
genommen, doch er konnte unmöglich gelingen; denn wo ließen ſich die
Publiciſten finden, die, wie Friedrich Wilhelm wünſchte, zugleich ganz
freimüthig und ganz im Geiſte des Berliner Hofes ſchrieben? Dieſen
alten Lieblingsgedanken riſſen die badiſchen Liberalen dem Könige aus
den Händen, ſie beſchloſſen auf einer Durlacher Verſammlung (1846) die
Gründung einer großen „Deutſchen Zeitung“. Baſſermann’s Buchhandlung
in Mannheim übernahm den Verlag, Gervinus die Leitung, und ſeinem
unermüdlichen Eifer gelang es bald, nicht nur beträchtliche, nach deutſchen
Verhältniſſen ganz unerhörte Geldzeichnungen zu erlangen, ſondern auch
faſt alle guten Namen des gemäßigten Liberalismus im Süden und Weſten
für die Mitarbeit anzuwerben. Nur Dahlmann hegte von Haus aus
Bedenken; er blieb dabei, „daß auf preußiſchem Boden erſcheinen muß
was in Preußen Wurzeln faſſen ſoll,“ während Gervinus in ſeinem klein-
ſtaatlichen Dünkel glaubte, der Süden ſolle ſeinen conſtitutionellen Geiſt
von außen her in Preußen einpflanzen und, den Preußen nur die Aus-
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