Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Mecklenburg. Sachsen. guten Gründen, aber noch ganz vergeblich die vollständige Theilnahme anallen landständischen Rechten, die ihnen vom Adel bestritten wurde; und tief bekümmert klagte der alte Großherzog Georg von Strelitz seinem preußischen Neffen: "Sie wissen, daß unsere bürgerlichen Gutsbesitzer leider -- wenigstens die bedeutende Mehrzahl derselben -- zu der libe- ralen Partei gehören, welche immer mehr und mehr und um so schmerz- licher hervortritt, als die Fortschritte, die wir in wünschenswerthen Dingen machen, keineswegs gleichen Schritt mit diesem sogenannten Fortschritt halten."*) Die Sache der Bürgerlichen führte sehr würdig der Rostocker Germanist Georg Beseler, der Bruder des Schleswigholsteiners, für den Adel schrieb mit gewohnter Derbheit der alte Minister Kamptz, der den mecklen- burgischen Edelmann nie vergessen konnte. Was dieser Adel unter wün- schenswerthem Fortschritt verstand, das zeigte ein Landtagsbeschluß, der die beiden Serenissimi um Preßfreiheit bat, weil die Frechheit der liberalen Zeitungen nicht durch schlaffe Censur, sondern nur durch empfindliche Strafen bekämpft werden könne. Ein ganz anderes und doch auch ein unheimliches Bild boten die Das war ein Lichtblick in dem unerquicklichen Einerlei dieser aufge- *) Großherzog Georg v. Strelitz an König Friedrich Wilhelm, 23. Sept. 1844.
Mecklenburg. Sachſen. guten Gründen, aber noch ganz vergeblich die vollſtändige Theilnahme anallen landſtändiſchen Rechten, die ihnen vom Adel beſtritten wurde; und tief bekümmert klagte der alte Großherzog Georg von Strelitz ſeinem preußiſchen Neffen: „Sie wiſſen, daß unſere bürgerlichen Gutsbeſitzer leider — wenigſtens die bedeutende Mehrzahl derſelben — zu der libe- ralen Partei gehören, welche immer mehr und mehr und um ſo ſchmerz- licher hervortritt, als die Fortſchritte, die wir in wünſchenswerthen Dingen machen, keineswegs gleichen Schritt mit dieſem ſogenannten Fortſchritt halten.“*) Die Sache der Bürgerlichen führte ſehr würdig der Roſtocker Germaniſt Georg Beſeler, der Bruder des Schleswigholſteiners, für den Adel ſchrieb mit gewohnter Derbheit der alte Miniſter Kamptz, der den mecklen- burgiſchen Edelmann nie vergeſſen konnte. Was dieſer Adel unter wün- ſchenswerthem Fortſchritt verſtand, das zeigte ein Landtagsbeſchluß, der die beiden Sereniſſimi um Preßfreiheit bat, weil die Frechheit der liberalen Zeitungen nicht durch ſchlaffe Cenſur, ſondern nur durch empfindliche Strafen bekämpft werden könne. Ein ganz anderes und doch auch ein unheimliches Bild boten die Das war ein Lichtblick in dem unerquicklichen Einerlei dieſer aufge- *) Großherzog Georg v. Strelitz an König Friedrich Wilhelm, 23. Sept. 1844.
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Mecklenburg. Sachſen.
guten Gründen, aber noch ganz vergeblich die vollſtändige Theilnahme an
allen landſtändiſchen Rechten, die ihnen vom Adel beſtritten wurde; und
tief bekümmert klagte der alte Großherzog Georg von Strelitz ſeinem
preußiſchen Neffen: „Sie wiſſen, daß unſere bürgerlichen Gutsbeſitzer
leider — wenigſtens die bedeutende Mehrzahl derſelben — zu der libe-
ralen Partei gehören, welche immer mehr und mehr und um ſo ſchmerz-
licher hervortritt, als die Fortſchritte, die wir in wünſchenswerthen Dingen
machen, keineswegs gleichen Schritt mit dieſem ſogenannten Fortſchritt
halten.“ *) Die Sache der Bürgerlichen führte ſehr würdig der Roſtocker
Germaniſt Georg Beſeler, der Bruder des Schleswigholſteiners, für den Adel
ſchrieb mit gewohnter Derbheit der alte Miniſter Kamptz, der den mecklen-
burgiſchen Edelmann nie vergeſſen konnte. Was dieſer Adel unter wün-
ſchenswerthem Fortſchritt verſtand, das zeigte ein Landtagsbeſchluß, der
die beiden Sereniſſimi um Preßfreiheit bat, weil die Frechheit der liberalen
Zeitungen nicht durch ſchlaffe Cenſur, ſondern nur durch empfindliche
Strafen bekämpft werden könne.
Ein ganz anderes und doch auch ein unheimliches Bild boten die
ſächſiſchen Zuſtände. Der gute König Friedrich Auguſt bemühte ſich red-
lich, den inneren Frieden wiederherzuſtellen, und von ſchwerem Druck
ließ ſich, einige Zeitungsverbote abgerechnet, auch nichts ſpüren. Aber
der unſelige Leipziger Straßenkampf hatte im Volke ſehr viel Groll zu-
rückgelaſſen. Die Oppoſition im Landtage, die von der nationalen Ge-
ſinnung des ſüddeutſchen Liberalismus wenig beſaß, bemühte ſich was
ihr an Talent fehlte durch ungeſchliffene Grobheit zu erſetzen; ſie hinter-
trieb die dringend nöthige, durch das Bundesgeſetz gebotene Organiſation
der Armeereſerve, ſie verlangte wiederholt, daß die Truppen auf die Ver-
faſſung vereidigt werden müßten, und ſuchte durch kleinliche, oft lächerliche
Beſchwerden die Soldaten gegen ihre Vorgeſetzten aufzuwiegeln. Ihrer
beſonderen Gunſt erfreuten ſich die Turnvereine, die in Sachſen bald ganz
dem Radicalismus anheimfielen und zu einer Pflanzſchule des Barrikaden-
kampfes wurden. Der Vorſchlag, die militäriſche Volkserziehung durch die
Turnerei zu erſetzen — ein Gedanke, dem der Prinz von Preußen ſogar im
preußiſchen Staatsminiſterium hatte entgegentreten müſſen — war hierzu-
lande gäng und gäbe. Einmal ließ der Kriegsminiſter Noſtitz-Wallwitz, ein
kurz angebundener Soldat, ein Commisbrod gradeswegs aus der Kaſerne
in die Kammerſitzung bringen und zwang die Liberalen, ſich perſönlich von
der Schmackhaftigkeit dieſes unmäßig geſcholtenen Leckerbiſſens zu überzeugen.
Das war ein Lichtblick in dem unerquicklichen Einerlei dieſer aufge-
regten und doch inhaltloſen Landtagsverhandlungen. Unterdeſſen wuchs
im Volke, gefördert durch Robert Blum und die Unzahl der Advokaten,
eine unklare radicale Verſtimmung, und auch in dem ſtillen Thüringen
*) Großherzog Georg v. Strelitz an König Friedrich Wilhelm, 23. Sept. 1844.
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