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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Hessische Staatsstreichspläne. Hannover.
gang der österreichischen Antwort die Vertreter des Landtags zu sich um
ihre Beileidsadresse endlich entgegenzunehmen. Er empfing sie freundlich,
und die Stände nahmen stillschweigend an, daß er den beim Antritt der
Regentschaft geschworenen Eid auch jetzt noch als bindend ansähe. Dar-
über sprach sich der neue Herr nicht offen aus, doch gab er zu verstehen,
die Verfassung bedürfe einerseits der Sicherung andererseits mehrerer
Verbesserungen.*) Seine Absicht war also, den Rath der Großmächte
zu befolgen und die Bürgschaft des Bundestags nachzusuchen; er berief
auch alsbald eine Commission von drei Beamten, welche die nothwendigen
Abänderungen der Verfassung vorschlagen sollte. Aber die Arbeit stockte
bald, es fehlten Einsicht und Ehrlichkeit. In diesem sonderbaren Zu-
stande, unter einem verabscheuten Fürsten, den allein die Warnungen der
Großmächte vom Eidbruche zurückgehalten hatten, wurde das unglückliche
Land von den Stürmen der Revolution getroffen. --

Der alte Welfe konnte unterdessen seines gelungenen Staatsstreichs nicht
recht froh werden. Das neue Landesverfassungsgesetz war durch Lug und
Trug endlich zu Stande gekommen, und der gefährlichste Mann der Oppo-
sition, Stüve mußte dem Landtage fern bleiben, da er in einem gehässigen
politischen Processe wegen Verjährung des Vergehens zwar nicht verur-
theilt, aber auch nicht förmlich freigesprochen worden war. Folglich, so ent-
schied die Regierung, war Stüve nicht mehr unbescholten. Danton's Grund-
satz, daß jeder Verdächtige als schuldig zu behandeln sei, fand nirgends
treuere Schüler als an diesem reactionären Hofe; auch nach seinem Siege
verschmähte Ernst August die Geschlagenen durch eine Amnestie zu ver-
söhnen. Sein Verhältniß zu dem neuen Landtage blieb immer unfreund-
lich, schon weil der Staatsstreich sich sehr bald auch als eine staats-
wirthschaftliche Thorheit erwies. Die gewaltsam wiederhergestellte Kronkasse
kam mit ihren Einkünften nicht aus und mußte immer wieder ständische
Beihilfe erbitten, die nur unter heftigen Klagen gewährt wurde. Die
liberalen Ideen der Zeit drangen unaufhaltsam selbst in diesen verstüm-
melten Landtag ein; sogar einige Mitglieder der Lüneburgischen Ritterschaft
verlangten jetzt -- wer hätte das früher gedacht? -- eine Vertretung des
Bauernstandes. Das Volk schwieg mürrisch und war im Grunde nur
mit einer That des Königs ganz zufrieden: mit seinem Kampfe wider den-
Zollverein. Im Particularismus fanden sich der welfische und der han-
növersche Eigensinn zusammen. "Man will eben nicht" -- so erklärte
Stüve einfach die Stimmung des Landes -- Hannover, Hildesheim, Celle
fürchten sich vor Braunschweig, die Osteroder Tuchmacher vor Quedlin-
burg, die Bremer und Lüneburger Bauern vor der Trennung von Ham-
burg und Bremen.**) Auch in anderen Fällen zeigte sich der Welfe höchst

*) Galen's Bericht, 16. Dec. 1847.
**) Nach Stüve's Biographie.

Heſſiſche Staatsſtreichspläne. Hannover.
gang der öſterreichiſchen Antwort die Vertreter des Landtags zu ſich um
ihre Beileidsadreſſe endlich entgegenzunehmen. Er empfing ſie freundlich,
und die Stände nahmen ſtillſchweigend an, daß er den beim Antritt der
Regentſchaft geſchworenen Eid auch jetzt noch als bindend anſähe. Dar-
über ſprach ſich der neue Herr nicht offen aus, doch gab er zu verſtehen,
die Verfaſſung bedürfe einerſeits der Sicherung andererſeits mehrerer
Verbeſſerungen.*) Seine Abſicht war alſo, den Rath der Großmächte
zu befolgen und die Bürgſchaft des Bundestags nachzuſuchen; er berief
auch alsbald eine Commiſſion von drei Beamten, welche die nothwendigen
Abänderungen der Verfaſſung vorſchlagen ſollte. Aber die Arbeit ſtockte
bald, es fehlten Einſicht und Ehrlichkeit. In dieſem ſonderbaren Zu-
ſtande, unter einem verabſcheuten Fürſten, den allein die Warnungen der
Großmächte vom Eidbruche zurückgehalten hatten, wurde das unglückliche
Land von den Stürmen der Revolution getroffen. —

Der alte Welfe konnte unterdeſſen ſeines gelungenen Staatsſtreichs nicht
recht froh werden. Das neue Landesverfaſſungsgeſetz war durch Lug und
Trug endlich zu Stande gekommen, und der gefährlichſte Mann der Oppo-
ſition, Stüve mußte dem Landtage fern bleiben, da er in einem gehäſſigen
politiſchen Proceſſe wegen Verjährung des Vergehens zwar nicht verur-
theilt, aber auch nicht förmlich freigeſprochen worden war. Folglich, ſo ent-
ſchied die Regierung, war Stüve nicht mehr unbeſcholten. Danton’s Grund-
ſatz, daß jeder Verdächtige als ſchuldig zu behandeln ſei, fand nirgends
treuere Schüler als an dieſem reactionären Hofe; auch nach ſeinem Siege
verſchmähte Ernſt Auguſt die Geſchlagenen durch eine Amneſtie zu ver-
ſöhnen. Sein Verhältniß zu dem neuen Landtage blieb immer unfreund-
lich, ſchon weil der Staatsſtreich ſich ſehr bald auch als eine ſtaats-
wirthſchaftliche Thorheit erwies. Die gewaltſam wiederhergeſtellte Kronkaſſe
kam mit ihren Einkünften nicht aus und mußte immer wieder ſtändiſche
Beihilfe erbitten, die nur unter heftigen Klagen gewährt wurde. Die
liberalen Ideen der Zeit drangen unaufhaltſam ſelbſt in dieſen verſtüm-
melten Landtag ein; ſogar einige Mitglieder der Lüneburgiſchen Ritterſchaft
verlangten jetzt — wer hätte das früher gedacht? — eine Vertretung des
Bauernſtandes. Das Volk ſchwieg mürriſch und war im Grunde nur
mit einer That des Königs ganz zufrieden: mit ſeinem Kampfe wider den-
Zollverein. Im Particularismus fanden ſich der welfiſche und der han-
növerſche Eigenſinn zuſammen. „Man will eben nicht“ — ſo erklärte
Stüve einfach die Stimmung des Landes — Hannover, Hildesheim, Celle
fürchten ſich vor Braunſchweig, die Oſteroder Tuchmacher vor Quedlin-
burg, die Bremer und Lüneburger Bauern vor der Trennung von Ham-
burg und Bremen.**) Auch in anderen Fällen zeigte ſich der Welfe höchſt

*) Galen’s Bericht, 16. Dec. 1847.
**) Nach Stüve’s Biographie.
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[669/0683] Heſſiſche Staatsſtreichspläne. Hannover. gang der öſterreichiſchen Antwort die Vertreter des Landtags zu ſich um ihre Beileidsadreſſe endlich entgegenzunehmen. Er empfing ſie freundlich, und die Stände nahmen ſtillſchweigend an, daß er den beim Antritt der Regentſchaft geſchworenen Eid auch jetzt noch als bindend anſähe. Dar- über ſprach ſich der neue Herr nicht offen aus, doch gab er zu verſtehen, die Verfaſſung bedürfe einerſeits der Sicherung andererſeits mehrerer Verbeſſerungen. *) Seine Abſicht war alſo, den Rath der Großmächte zu befolgen und die Bürgſchaft des Bundestags nachzuſuchen; er berief auch alsbald eine Commiſſion von drei Beamten, welche die nothwendigen Abänderungen der Verfaſſung vorſchlagen ſollte. Aber die Arbeit ſtockte bald, es fehlten Einſicht und Ehrlichkeit. In dieſem ſonderbaren Zu- ſtande, unter einem verabſcheuten Fürſten, den allein die Warnungen der Großmächte vom Eidbruche zurückgehalten hatten, wurde das unglückliche Land von den Stürmen der Revolution getroffen. — Der alte Welfe konnte unterdeſſen ſeines gelungenen Staatsſtreichs nicht recht froh werden. Das neue Landesverfaſſungsgeſetz war durch Lug und Trug endlich zu Stande gekommen, und der gefährlichſte Mann der Oppo- ſition, Stüve mußte dem Landtage fern bleiben, da er in einem gehäſſigen politiſchen Proceſſe wegen Verjährung des Vergehens zwar nicht verur- theilt, aber auch nicht förmlich freigeſprochen worden war. Folglich, ſo ent- ſchied die Regierung, war Stüve nicht mehr unbeſcholten. Danton’s Grund- ſatz, daß jeder Verdächtige als ſchuldig zu behandeln ſei, fand nirgends treuere Schüler als an dieſem reactionären Hofe; auch nach ſeinem Siege verſchmähte Ernſt Auguſt die Geſchlagenen durch eine Amneſtie zu ver- ſöhnen. Sein Verhältniß zu dem neuen Landtage blieb immer unfreund- lich, ſchon weil der Staatsſtreich ſich ſehr bald auch als eine ſtaats- wirthſchaftliche Thorheit erwies. Die gewaltſam wiederhergeſtellte Kronkaſſe kam mit ihren Einkünften nicht aus und mußte immer wieder ſtändiſche Beihilfe erbitten, die nur unter heftigen Klagen gewährt wurde. Die liberalen Ideen der Zeit drangen unaufhaltſam ſelbſt in dieſen verſtüm- melten Landtag ein; ſogar einige Mitglieder der Lüneburgiſchen Ritterſchaft verlangten jetzt — wer hätte das früher gedacht? — eine Vertretung des Bauernſtandes. Das Volk ſchwieg mürriſch und war im Grunde nur mit einer That des Königs ganz zufrieden: mit ſeinem Kampfe wider den- Zollverein. Im Particularismus fanden ſich der welfiſche und der han- növerſche Eigenſinn zuſammen. „Man will eben nicht“ — ſo erklärte Stüve einfach die Stimmung des Landes — Hannover, Hildesheim, Celle fürchten ſich vor Braunſchweig, die Oſteroder Tuchmacher vor Quedlin- burg, die Bremer und Lüneburger Bauern vor der Trennung von Ham- burg und Bremen. **) Auch in anderen Fällen zeigte ſich der Welfe höchſt *) Galen’s Bericht, 16. Dec. 1847. **) Nach Stüve’s Biographie.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/683>, abgerufen am 02.05.2024.