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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Verhandlungen der Vereinigten Ausschüsse.
gesetzbuchs war ein ernstes, wohldurchdachtes Werk; nur einzelne seiner
Bestimmungen mußten der Empfindung der Zeit allzu hart erscheinen,
so die Vorschrift, daß die Todesstrafe in gewissen Fällen durch das Ab-
hauen der rechten Hand und die Aufspießung des Kopfes verschärft werden
sollte. Die Rheinländer aber hielten an ihrem Code Napoleon, der im
Grunde weit strenger war, eigensinnig fest; ihr "Rheinischer Verein"
und ihre kleinen ultramontanen Blätter warnten einträchtig vor "der
Chimäre der Verbrüderung, der Centralisation". Sie wollten nicht sehen,
daß es eine Schande war, wenn im Namen desselben Königs von Preußen
hier eine That für straflos, dort für verbrecherisch erklärt wurde; der
sittliche Werth eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs blieb ihrem verbissenen
Provinzialtrotze ganz unfaßbar. In der Kölnischen Zeitung veröffentlichte
der geistreiche Bonner Jurist Ed. Böcking eine scharfe Kritik des Entwurfs,
eine Arbeit, die gewiß nicht particularistisch gemeint war, aber die Rheinländer
in ihrem Widerstande bestärkte. Genug, das Gesetz wurde von der liberalen
Presse, die den Rheinländern immer nach dem Munde redete, schon im
Voraus verlästert. Savigny hatte im Landtage nur sehr wenig gesprochen;
jetzt führte er die Sache der Krone fast allein und vertheidigte mit über-
legener Ruhe Punkt für Punkt des verrufenen Gesetzes. Er zeigte, daß
nur eine "mißverstandene Humanität" die Todesstrafe oder die Prügel-
strafe für Ehrlose bekämpfen könne; er erwies, daß Preußen als ein Glied
der großen christlichen Staatengesellschaft verpflichtet sei, auch die im Aus-
lande begangenen Verbrechen zu bestrafen -- was die liberale Sanftmuth
noch bestritt.

Als die Berathungen sich schon zum Ende neigten, kam plötzlich die
Nachricht von dem Ausbruch der Pariser Februar-Revolution. Mit einem
Schlage verwandelte sich die Welt, alle stillen Wünsche der letzten Jahre
gewannen augenblicklich Sprache, und es war nur menschlich, daß der Aus-
schuß nunmehr beschloß, das Strafgesetzbuch solle nicht eher verkündigt
werden, als bis der Vereinigte Landtag auch über die beabsichtigte Reform
des Strafprocesses berathen hätte. Schon der letzte Landtag hatte mit
gutem Grunde verlangt, das in Berlin bereits eingeführte öffentlich-münd-
liche Verfahren müßte der gesammten Monarchie zu theil werden. Jetzt
schien auch diese Forderung schon überwunden. Das Schwurgericht, das
so oft als Bollwerk der Volksfreiheit gefeierte, war in Aller Munde, nur
durch Geschworene glaubte man die gerechte Handhabung des Strafgesetzes
sichern zu können. Savigny aber, der von dem nahenden Sturme noch
nichts bemerkte, mahnte bedachtsam: über den Werth der Schwurgerichte
gingen die Meinungen doch weit auseinander.

Auch der König ahnte noch nicht, daß eine neue Zeit gekommen war.
Er war zufrieden mit dem ruhigen Verhalten seiner Ausschüsse und schloß
sie am 6. März persönlich mit einer gnädigen Ansprache. Freudig kün-
digte er ihnen an: nachdem nunmehr allen seinen Befehlen genügt sei,

Verhandlungen der Vereinigten Ausſchüſſe.
geſetzbuchs war ein ernſtes, wohldurchdachtes Werk; nur einzelne ſeiner
Beſtimmungen mußten der Empfindung der Zeit allzu hart erſcheinen,
ſo die Vorſchrift, daß die Todesſtrafe in gewiſſen Fällen durch das Ab-
hauen der rechten Hand und die Aufſpießung des Kopfes verſchärft werden
ſollte. Die Rheinländer aber hielten an ihrem Code Napoleon, der im
Grunde weit ſtrenger war, eigenſinnig feſt; ihr „Rheiniſcher Verein“
und ihre kleinen ultramontanen Blätter warnten einträchtig vor „der
Chimäre der Verbrüderung, der Centraliſation“. Sie wollten nicht ſehen,
daß es eine Schande war, wenn im Namen deſſelben Königs von Preußen
hier eine That für ſtraflos, dort für verbrecheriſch erklärt wurde; der
ſittliche Werth eines gemeinſamen Strafgeſetzbuchs blieb ihrem verbiſſenen
Provinzialtrotze ganz unfaßbar. In der Kölniſchen Zeitung veröffentlichte
der geiſtreiche Bonner Juriſt Ed. Böcking eine ſcharfe Kritik des Entwurfs,
eine Arbeit, die gewiß nicht particulariſtiſch gemeint war, aber die Rheinländer
in ihrem Widerſtande beſtärkte. Genug, das Geſetz wurde von der liberalen
Preſſe, die den Rheinländern immer nach dem Munde redete, ſchon im
Voraus verläſtert. Savigny hatte im Landtage nur ſehr wenig geſprochen;
jetzt führte er die Sache der Krone faſt allein und vertheidigte mit über-
legener Ruhe Punkt für Punkt des verrufenen Geſetzes. Er zeigte, daß
nur eine „mißverſtandene Humanität“ die Todesſtrafe oder die Prügel-
ſtrafe für Ehrloſe bekämpfen könne; er erwies, daß Preußen als ein Glied
der großen chriſtlichen Staatengeſellſchaft verpflichtet ſei, auch die im Aus-
lande begangenen Verbrechen zu beſtrafen — was die liberale Sanftmuth
noch beſtritt.

Als die Berathungen ſich ſchon zum Ende neigten, kam plötzlich die
Nachricht von dem Ausbruch der Pariſer Februar-Revolution. Mit einem
Schlage verwandelte ſich die Welt, alle ſtillen Wünſche der letzten Jahre
gewannen augenblicklich Sprache, und es war nur menſchlich, daß der Aus-
ſchuß nunmehr beſchloß, das Strafgeſetzbuch ſolle nicht eher verkündigt
werden, als bis der Vereinigte Landtag auch über die beabſichtigte Reform
des Strafproceſſes berathen hätte. Schon der letzte Landtag hatte mit
gutem Grunde verlangt, das in Berlin bereits eingeführte öffentlich-münd-
liche Verfahren müßte der geſammten Monarchie zu theil werden. Jetzt
ſchien auch dieſe Forderung ſchon überwunden. Das Schwurgericht, das
ſo oft als Bollwerk der Volksfreiheit gefeierte, war in Aller Munde, nur
durch Geſchworene glaubte man die gerechte Handhabung des Strafgeſetzes
ſichern zu können. Savigny aber, der von dem nahenden Sturme noch
nichts bemerkte, mahnte bedachtſam: über den Werth der Schwurgerichte
gingen die Meinungen doch weit auseinander.

Auch der König ahnte noch nicht, daß eine neue Zeit gekommen war.
Er war zufrieden mit dem ruhigen Verhalten ſeiner Ausſchüſſe und ſchloß
ſie am 6. März perſönlich mit einer gnädigen Anſprache. Freudig kün-
digte er ihnen an: nachdem nunmehr allen ſeinen Befehlen genügt ſei,

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[647/0661] Verhandlungen der Vereinigten Ausſchüſſe. geſetzbuchs war ein ernſtes, wohldurchdachtes Werk; nur einzelne ſeiner Beſtimmungen mußten der Empfindung der Zeit allzu hart erſcheinen, ſo die Vorſchrift, daß die Todesſtrafe in gewiſſen Fällen durch das Ab- hauen der rechten Hand und die Aufſpießung des Kopfes verſchärft werden ſollte. Die Rheinländer aber hielten an ihrem Code Napoleon, der im Grunde weit ſtrenger war, eigenſinnig feſt; ihr „Rheiniſcher Verein“ und ihre kleinen ultramontanen Blätter warnten einträchtig vor „der Chimäre der Verbrüderung, der Centraliſation“. Sie wollten nicht ſehen, daß es eine Schande war, wenn im Namen deſſelben Königs von Preußen hier eine That für ſtraflos, dort für verbrecheriſch erklärt wurde; der ſittliche Werth eines gemeinſamen Strafgeſetzbuchs blieb ihrem verbiſſenen Provinzialtrotze ganz unfaßbar. In der Kölniſchen Zeitung veröffentlichte der geiſtreiche Bonner Juriſt Ed. Böcking eine ſcharfe Kritik des Entwurfs, eine Arbeit, die gewiß nicht particulariſtiſch gemeint war, aber die Rheinländer in ihrem Widerſtande beſtärkte. Genug, das Geſetz wurde von der liberalen Preſſe, die den Rheinländern immer nach dem Munde redete, ſchon im Voraus verläſtert. Savigny hatte im Landtage nur ſehr wenig geſprochen; jetzt führte er die Sache der Krone faſt allein und vertheidigte mit über- legener Ruhe Punkt für Punkt des verrufenen Geſetzes. Er zeigte, daß nur eine „mißverſtandene Humanität“ die Todesſtrafe oder die Prügel- ſtrafe für Ehrloſe bekämpfen könne; er erwies, daß Preußen als ein Glied der großen chriſtlichen Staatengeſellſchaft verpflichtet ſei, auch die im Aus- lande begangenen Verbrechen zu beſtrafen — was die liberale Sanftmuth noch beſtritt. Als die Berathungen ſich ſchon zum Ende neigten, kam plötzlich die Nachricht von dem Ausbruch der Pariſer Februar-Revolution. Mit einem Schlage verwandelte ſich die Welt, alle ſtillen Wünſche der letzten Jahre gewannen augenblicklich Sprache, und es war nur menſchlich, daß der Aus- ſchuß nunmehr beſchloß, das Strafgeſetzbuch ſolle nicht eher verkündigt werden, als bis der Vereinigte Landtag auch über die beabſichtigte Reform des Strafproceſſes berathen hätte. Schon der letzte Landtag hatte mit gutem Grunde verlangt, das in Berlin bereits eingeführte öffentlich-münd- liche Verfahren müßte der geſammten Monarchie zu theil werden. Jetzt ſchien auch dieſe Forderung ſchon überwunden. Das Schwurgericht, das ſo oft als Bollwerk der Volksfreiheit gefeierte, war in Aller Munde, nur durch Geſchworene glaubte man die gerechte Handhabung des Strafgeſetzes ſichern zu können. Savigny aber, der von dem nahenden Sturme noch nichts bemerkte, mahnte bedachtſam: über den Werth der Schwurgerichte gingen die Meinungen doch weit auseinander. Auch der König ahnte noch nicht, daß eine neue Zeit gekommen war. Er war zufrieden mit dem ruhigen Verhalten ſeiner Ausſchüſſe und ſchloß ſie am 6. März perſönlich mit einer gnädigen Anſprache. Freudig kün- digte er ihnen an: nachdem nunmehr allen ſeinen Befehlen genügt ſei,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/661>, abgerufen am 02.05.2024.