grobe, durch den ukermärkischen Liberalen v. Holtzendorff veranlaßte Ein- gabe märkischer Landleute, welche die Erfüllung der alten königlichen Ver- heißungen ungestüm forderte. Besonders gefährlich erschien die Miß- stimmung im Westen. Einer der rheinischen Landtagsabgeordneten, Sted- mann ließ als Manuscript ein Büchlein über das Staatsrecht der rheinischen Herzogthümer drucken, das historisch nachweisen sollte, die Rheinländer hätten früherhin "niemals ein geringeres Maß von persönlicher Freiheit und bürgerlicher Berechtigung genossen" als unter der preußischen Herr- schaft. Die Undankbarkeit dieser Westländer, denen der alte König das eiserne Joch Bonaparte's vom Halse genommen hatte, wurde nachgrade schamlos. In Mainz entstand ein großer "Rheinischer Verein", der von Crefeld bis nach Karlsruhe hinauf seine Zweigverbände einrichtete und die unbedingte Aufrechterhaltung des französischen Rechts erstrebte. Ein "rheinischer Ausschuß zur Gründung der deutschen Republik" verbreitete massenhaft einen Aufruf "zur Vorbereitung". Das Machwerk konnte, nach der Fülle der Schimpfwörter zu schließen, nur von Heinzen herrühren und schloß mit der Anrede an die Rheinländer: "die Preußen hinaus, oder nieder mit dem Berlinerthum."
Friedrich Wilhelm merkte von der dumpfen Luft im Lande sehr wenig. Auf Augenblicke beunruhigten ihn wohl die einlaufenden Berichte über demagogische Umtriebe, und zuweilen geschah es auch, daß lächerliche Kleinig- keiten sein Gemüth tief aufregten. Als der Fürstbischof Diepenbrock ihn auf einen Königsmörder-Verein der Primaner des Neissischen Gymnasiums aufmerksam gemacht hatte, da schrieb er zerknirscht: "Ich fühle mich schuldig, denn vor Gott bin ich für die Bevollmächtigten meiner Autorität verantwortlich. Ich steh' dem Diepenbrock wie ein dummer Junge gegen- über, der das nicht weiß was er wissen soll, wenn er ein rechter König ist. Gott besser's!"*) Allein solche Stimmungen verflogen schnell. Noch immer glaubte er seiner Selbstherrlichkeit völlig sicher zu sein. Das zeigte sich deutlich, als General Boyen gleich nach dem Schlusse des Landtags seinen Abschied verlangte. Der alte Held erhielt als Feldmarschall das Commando des Invalidenhauses und lebte nur noch wenige Monate (bis zum Febr. 1848); ein gütiges Geschick ersparte ihm die Niedertracht der Berliner Revolution noch zu erleben. Das durch Boyen's Rücktritt erledigte Prä- sidium des Staatsministeriums konnte, nach der Meinung von Freund und Feind, Niemand sonst erhalten als Bodelschwingh; als Cabinets- minister und Minister des Innern zugleich besaß er ja schon die wichtigste Stellung im Ministerrathe, und vor den Landständen hatte er fast allein tapfer den König vertreten. Aber für einen wirklichen Ministerpräsidenten war unter diesem Regimente kein Raum; Bodelschwingh selbst hätte sich solchen Ehrgeizes wohl kaum erdreistet. Savigny erhielt, nach dem Dienst-
*) König Friedrich Wilhelm an Thile und Bodelschwingh, 24. Jan. 1848.
Mißſtimmung im Landtage.
grobe, durch den ukermärkiſchen Liberalen v. Holtzendorff veranlaßte Ein- gabe märkiſcher Landleute, welche die Erfüllung der alten königlichen Ver- heißungen ungeſtüm forderte. Beſonders gefährlich erſchien die Miß- ſtimmung im Weſten. Einer der rheiniſchen Landtagsabgeordneten, Sted- mann ließ als Manuſcript ein Büchlein über das Staatsrecht der rheiniſchen Herzogthümer drucken, das hiſtoriſch nachweiſen ſollte, die Rheinländer hätten früherhin „niemals ein geringeres Maß von perſönlicher Freiheit und bürgerlicher Berechtigung genoſſen“ als unter der preußiſchen Herr- ſchaft. Die Undankbarkeit dieſer Weſtländer, denen der alte König das eiſerne Joch Bonaparte’s vom Halſe genommen hatte, wurde nachgrade ſchamlos. In Mainz entſtand ein großer „Rheiniſcher Verein“, der von Crefeld bis nach Karlsruhe hinauf ſeine Zweigverbände einrichtete und die unbedingte Aufrechterhaltung des franzöſiſchen Rechts erſtrebte. Ein „rheiniſcher Ausſchuß zur Gründung der deutſchen Republik“ verbreitete maſſenhaft einen Aufruf „zur Vorbereitung“. Das Machwerk konnte, nach der Fülle der Schimpfwörter zu ſchließen, nur von Heinzen herrühren und ſchloß mit der Anrede an die Rheinländer: „die Preußen hinaus, oder nieder mit dem Berlinerthum.“
Friedrich Wilhelm merkte von der dumpfen Luft im Lande ſehr wenig. Auf Augenblicke beunruhigten ihn wohl die einlaufenden Berichte über demagogiſche Umtriebe, und zuweilen geſchah es auch, daß lächerliche Kleinig- keiten ſein Gemüth tief aufregten. Als der Fürſtbiſchof Diepenbrock ihn auf einen Königsmörder-Verein der Primaner des Neiſſiſchen Gymnaſiums aufmerkſam gemacht hatte, da ſchrieb er zerknirſcht: „Ich fühle mich ſchuldig, denn vor Gott bin ich für die Bevollmächtigten meiner Autorität verantwortlich. Ich ſteh’ dem Diepenbrock wie ein dummer Junge gegen- über, der das nicht weiß was er wiſſen ſoll, wenn er ein rechter König iſt. Gott beſſer’s!“*) Allein ſolche Stimmungen verflogen ſchnell. Noch immer glaubte er ſeiner Selbſtherrlichkeit völlig ſicher zu ſein. Das zeigte ſich deutlich, als General Boyen gleich nach dem Schluſſe des Landtags ſeinen Abſchied verlangte. Der alte Held erhielt als Feldmarſchall das Commando des Invalidenhauſes und lebte nur noch wenige Monate (bis zum Febr. 1848); ein gütiges Geſchick erſparte ihm die Niedertracht der Berliner Revolution noch zu erleben. Das durch Boyen’s Rücktritt erledigte Prä- ſidium des Staatsminiſteriums konnte, nach der Meinung von Freund und Feind, Niemand ſonſt erhalten als Bodelſchwingh; als Cabinets- miniſter und Miniſter des Innern zugleich beſaß er ja ſchon die wichtigſte Stellung im Miniſterrathe, und vor den Landſtänden hatte er faſt allein tapfer den König vertreten. Aber für einen wirklichen Miniſterpräſidenten war unter dieſem Regimente kein Raum; Bodelſchwingh ſelbſt hätte ſich ſolchen Ehrgeizes wohl kaum erdreiſtet. Savigny erhielt, nach dem Dienſt-
*) König Friedrich Wilhelm an Thile und Bodelſchwingh, 24. Jan. 1848.
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Mißſtimmung im Landtage.
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heißungen ungeſtüm forderte. Beſonders gefährlich erſchien die Miß-
ſtimmung im Weſten. Einer der rheiniſchen Landtagsabgeordneten, Sted-
mann ließ als Manuſcript ein Büchlein über das Staatsrecht der rheiniſchen
Herzogthümer drucken, das hiſtoriſch nachweiſen ſollte, die Rheinländer
hätten früherhin „niemals ein geringeres Maß von perſönlicher Freiheit
und bürgerlicher Berechtigung genoſſen“ als unter der preußiſchen Herr-
ſchaft. Die Undankbarkeit dieſer Weſtländer, denen der alte König das
eiſerne Joch Bonaparte’s vom Halſe genommen hatte, wurde nachgrade
ſchamlos. In Mainz entſtand ein großer „Rheiniſcher Verein“, der von
Crefeld bis nach Karlsruhe hinauf ſeine Zweigverbände einrichtete und
die unbedingte Aufrechterhaltung des franzöſiſchen Rechts erſtrebte. Ein
„rheiniſcher Ausſchuß zur Gründung der deutſchen Republik“ verbreitete
maſſenhaft einen Aufruf „zur Vorbereitung“. Das Machwerk konnte,
nach der Fülle der Schimpfwörter zu ſchließen, nur von Heinzen herrühren
und ſchloß mit der Anrede an die Rheinländer: „die Preußen hinaus,
oder nieder mit dem Berlinerthum.“
Friedrich Wilhelm merkte von der dumpfen Luft im Lande ſehr wenig.
Auf Augenblicke beunruhigten ihn wohl die einlaufenden Berichte über
demagogiſche Umtriebe, und zuweilen geſchah es auch, daß lächerliche Kleinig-
keiten ſein Gemüth tief aufregten. Als der Fürſtbiſchof Diepenbrock ihn
auf einen Königsmörder-Verein der Primaner des Neiſſiſchen Gymnaſiums
aufmerkſam gemacht hatte, da ſchrieb er zerknirſcht: „Ich fühle mich
ſchuldig, denn vor Gott bin ich für die Bevollmächtigten meiner Autorität
verantwortlich. Ich ſteh’ dem Diepenbrock wie ein dummer Junge gegen-
über, der das nicht weiß was er wiſſen ſoll, wenn er ein rechter König
iſt. Gott beſſer’s!“ *) Allein ſolche Stimmungen verflogen ſchnell. Noch
immer glaubte er ſeiner Selbſtherrlichkeit völlig ſicher zu ſein. Das zeigte
ſich deutlich, als General Boyen gleich nach dem Schluſſe des Landtags
ſeinen Abſchied verlangte. Der alte Held erhielt als Feldmarſchall das
Commando des Invalidenhauſes und lebte nur noch wenige Monate (bis zum
Febr. 1848); ein gütiges Geſchick erſparte ihm die Niedertracht der Berliner
Revolution noch zu erleben. Das durch Boyen’s Rücktritt erledigte Prä-
ſidium des Staatsminiſteriums konnte, nach der Meinung von Freund
und Feind, Niemand ſonſt erhalten als Bodelſchwingh; als Cabinets-
miniſter und Miniſter des Innern zugleich beſaß er ja ſchon die wichtigſte
Stellung im Miniſterrathe, und vor den Landſtänden hatte er faſt allein
tapfer den König vertreten. Aber für einen wirklichen Miniſterpräſidenten
war unter dieſem Regimente kein Raum; Bodelſchwingh ſelbſt hätte ſich
ſolchen Ehrgeizes wohl kaum erdreiſtet. Savigny erhielt, nach dem Dienſt-
*) König Friedrich Wilhelm an Thile und Bodelſchwingh, 24. Jan. 1848.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/659>, abgerufen am 23.07.2024.
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