der Ringe echt ist, wurde ganz gedankenlos ausgelegt, als wäre Lessing selber ebenso stumpfsinnig gewesen wie seine Erklärer, als hätte er den gewalt- thätigen Islam oder das längst zur Mumie erstarrte Judenthum wirklich der Religion der Liebe und der Freiheit gleich stellen wollen. In der Hauptstadt herrschte seit dem Adressensturme der Lichtfreunde wieder fast unumschränkt jene selbstgefällige Aufklärung, welche einst, zu Nicolai's Zeiten, ihren Ausdruck gefunden hatte in den echt berlinischen Versen: "Daß Gott sei, lehrte Moses schon; doch den Beweis gab Moses Mendels- sohn." Humboldt und sein Kreis wollten als unbedingte Verehrer der französischen Revolution in jeder Beschränkung der politischen Rechte der Israeliten nichts sehen als Glaubensdruck und finstere Barbarei. Leider kannte der große Reisende sein eigenes Vaterland weit weniger als Mexico oder Sibirien. Er übersah, daß in Preußen nach Verhältniß mindestens achtmal mehr Juden lebten als in Frankreich, und daß diese Israeliten dem polnischen Stamme angehörten, nicht, wie damals noch die Mehrzahl der französischen Juden, dem bildsameren, den Abendländern näher stehen- den spanischen Judenstamme. Da er selbst mehr Weltbürger als Deutscher war, so entging ihm auch das allerwichtigste Bedenken: daß die Deutschen leider nicht jenen schönen instinktiven Nationalstolz besaßen, der in Frank- reich jedes fremde Volksthum zwang sich der nationalen Sitte unbedingt zu unterwerfen.
Unterdessen hatte das deutsche Judenthum einen tapferen, beredten Vorkämpfer gefunden an dem Hamburgischen Juristen Gabriel Riesser, einem edlen, vaterländisch gesinnten Manne, dem seine Freunde nachrühm- ten, in ihm sei das Recht Gemüth geworden. Die Gleichberechtigung seiner Stammgenossen war ihm Herzenssache; seit dem Anfange der drei- ßiger Jahre vertrat er sie, oft heftig, aber immer ehrenhaft, in seiner Zeitschrift "der Jude" und in zahlreichen Flugschriften. Selber ein gemäßig- ter Liberaler, faßte er muthig den Stier bei den Hörnern und bekämpfte namentlich die badischen Liberalen. Er wußte wohl, daß seine Stamm- genossen nur wenn sie durchaus zu Deutschen wurden das gleiche Recht ver- langen durften; doch da er selbst so grunddeutsch empfand wie sein wackerer Freund M. Veit in Berlin und die anderen gebildeten Juden seines näheren Umgangs, so behauptete er kurzweg, die deutschen Juden hätten ihrer alten Nationalität schon längst entsagt. Hier lag die Schwäche seiner Aus- führungen; er setzte voraus was zu beweisen war. Wären alle deutschen Juden wirklich so gesinnt gewesen wie dieser begeisterte Patriot, dann hätte ihre Gleichberechtigung in unserem weitherzigen Volke keinen Widerstand gefunden.
Die Landtagsverhandlungen litten, wie noch heute jeder Streit um die Judenfrage, unter einer rechtlichen Unklarheit. Jude im Sinne des Rechts war nur der Bekenner der mosaischen Religion; wer die vollstän- dige Gleichberechtigung der Juden bekämpfte, gerieth also leicht in den
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
der Ringe echt iſt, wurde ganz gedankenlos ausgelegt, als wäre Leſſing ſelber ebenſo ſtumpfſinnig geweſen wie ſeine Erklärer, als hätte er den gewalt- thätigen Islam oder das längſt zur Mumie erſtarrte Judenthum wirklich der Religion der Liebe und der Freiheit gleich ſtellen wollen. In der Hauptſtadt herrſchte ſeit dem Adreſſenſturme der Lichtfreunde wieder faſt unumſchränkt jene ſelbſtgefällige Aufklärung, welche einſt, zu Nicolai’s Zeiten, ihren Ausdruck gefunden hatte in den echt berliniſchen Verſen: „Daß Gott ſei, lehrte Moſes ſchon; doch den Beweis gab Moſes Mendels- ſohn.“ Humboldt und ſein Kreis wollten als unbedingte Verehrer der franzöſiſchen Revolution in jeder Beſchränkung der politiſchen Rechte der Israeliten nichts ſehen als Glaubensdruck und finſtere Barbarei. Leider kannte der große Reiſende ſein eigenes Vaterland weit weniger als Mexico oder Sibirien. Er überſah, daß in Preußen nach Verhältniß mindeſtens achtmal mehr Juden lebten als in Frankreich, und daß dieſe Israeliten dem polniſchen Stamme angehörten, nicht, wie damals noch die Mehrzahl der franzöſiſchen Juden, dem bildſameren, den Abendländern näher ſtehen- den ſpaniſchen Judenſtamme. Da er ſelbſt mehr Weltbürger als Deutſcher war, ſo entging ihm auch das allerwichtigſte Bedenken: daß die Deutſchen leider nicht jenen ſchönen inſtinktiven Nationalſtolz beſaßen, der in Frank- reich jedes fremde Volksthum zwang ſich der nationalen Sitte unbedingt zu unterwerfen.
Unterdeſſen hatte das deutſche Judenthum einen tapferen, beredten Vorkämpfer gefunden an dem Hamburgiſchen Juriſten Gabriel Rieſſer, einem edlen, vaterländiſch geſinnten Manne, dem ſeine Freunde nachrühm- ten, in ihm ſei das Recht Gemüth geworden. Die Gleichberechtigung ſeiner Stammgenoſſen war ihm Herzensſache; ſeit dem Anfange der drei- ßiger Jahre vertrat er ſie, oft heftig, aber immer ehrenhaft, in ſeiner Zeitſchrift „der Jude“ und in zahlreichen Flugſchriften. Selber ein gemäßig- ter Liberaler, faßte er muthig den Stier bei den Hörnern und bekämpfte namentlich die badiſchen Liberalen. Er wußte wohl, daß ſeine Stamm- genoſſen nur wenn ſie durchaus zu Deutſchen wurden das gleiche Recht ver- langen durften; doch da er ſelbſt ſo grunddeutſch empfand wie ſein wackerer Freund M. Veit in Berlin und die anderen gebildeten Juden ſeines näheren Umgangs, ſo behauptete er kurzweg, die deutſchen Juden hätten ihrer alten Nationalität ſchon längſt entſagt. Hier lag die Schwäche ſeiner Aus- führungen; er ſetzte voraus was zu beweiſen war. Wären alle deutſchen Juden wirklich ſo geſinnt geweſen wie dieſer begeiſterte Patriot, dann hätte ihre Gleichberechtigung in unſerem weitherzigen Volke keinen Widerſtand gefunden.
Die Landtagsverhandlungen litten, wie noch heute jeder Streit um die Judenfrage, unter einer rechtlichen Unklarheit. Jude im Sinne des Rechts war nur der Bekenner der moſaiſchen Religion; wer die vollſtän- dige Gleichberechtigung der Juden bekämpfte, gerieth alſo leicht in den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0646"n="632"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 8. Der Vereinigte Landtag.</fw><lb/>
der Ringe echt iſt, wurde ganz gedankenlos ausgelegt, als wäre Leſſing ſelber<lb/>
ebenſo ſtumpfſinnig geweſen wie ſeine Erklärer, als hätte er den gewalt-<lb/>
thätigen Islam oder das längſt zur Mumie erſtarrte Judenthum wirklich<lb/>
der Religion der Liebe und der Freiheit gleich ſtellen wollen. In der<lb/>
Hauptſtadt herrſchte ſeit dem Adreſſenſturme der Lichtfreunde wieder faſt<lb/>
unumſchränkt jene ſelbſtgefällige Aufklärung, welche einſt, zu Nicolai’s<lb/>
Zeiten, ihren Ausdruck gefunden hatte in den echt berliniſchen Verſen:<lb/>„Daß Gott ſei, lehrte Moſes ſchon; doch den Beweis gab Moſes Mendels-<lb/>ſohn.“ Humboldt und ſein Kreis wollten als unbedingte Verehrer der<lb/>
franzöſiſchen Revolution in jeder Beſchränkung der politiſchen Rechte der<lb/>
Israeliten nichts ſehen als Glaubensdruck und finſtere Barbarei. Leider<lb/>
kannte der große Reiſende ſein eigenes Vaterland weit weniger als Mexico<lb/>
oder Sibirien. Er überſah, daß in Preußen nach Verhältniß mindeſtens<lb/>
achtmal mehr Juden lebten als in Frankreich, und daß dieſe Israeliten<lb/>
dem polniſchen Stamme angehörten, nicht, wie damals noch die Mehrzahl<lb/>
der franzöſiſchen Juden, dem bildſameren, den Abendländern näher ſtehen-<lb/>
den ſpaniſchen Judenſtamme. Da er ſelbſt mehr Weltbürger als Deutſcher<lb/>
war, ſo entging ihm auch das allerwichtigſte Bedenken: daß die Deutſchen<lb/>
leider nicht jenen ſchönen inſtinktiven Nationalſtolz beſaßen, der in Frank-<lb/>
reich jedes fremde Volksthum zwang ſich der nationalen Sitte unbedingt zu<lb/>
unterwerfen.</p><lb/><p>Unterdeſſen hatte das deutſche Judenthum einen tapferen, beredten<lb/>
Vorkämpfer gefunden an dem Hamburgiſchen Juriſten Gabriel Rieſſer,<lb/>
einem edlen, vaterländiſch geſinnten Manne, dem ſeine Freunde nachrühm-<lb/>
ten, in ihm ſei das Recht Gemüth geworden. Die Gleichberechtigung<lb/>ſeiner Stammgenoſſen war ihm Herzensſache; ſeit dem Anfange der drei-<lb/>
ßiger Jahre vertrat er ſie, oft heftig, aber immer ehrenhaft, in ſeiner<lb/>
Zeitſchrift „der Jude“ und in zahlreichen Flugſchriften. Selber ein gemäßig-<lb/>
ter Liberaler, faßte er muthig den Stier bei den Hörnern und bekämpfte<lb/>
namentlich die badiſchen Liberalen. Er wußte wohl, daß ſeine Stamm-<lb/>
genoſſen nur wenn ſie durchaus zu Deutſchen wurden das gleiche Recht ver-<lb/>
langen durften; doch da er ſelbſt ſo grunddeutſch empfand wie ſein wackerer<lb/>
Freund M. Veit in Berlin und die anderen gebildeten Juden ſeines näheren<lb/>
Umgangs, ſo behauptete er kurzweg, die deutſchen Juden hätten ihrer alten<lb/>
Nationalität ſchon längſt entſagt. Hier lag die Schwäche ſeiner Aus-<lb/>
führungen; er ſetzte voraus was zu beweiſen war. Wären alle deutſchen<lb/>
Juden wirklich ſo geſinnt geweſen wie dieſer begeiſterte Patriot, dann hätte<lb/>
ihre Gleichberechtigung in unſerem weitherzigen Volke keinen Widerſtand<lb/>
gefunden.</p><lb/><p>Die Landtagsverhandlungen litten, wie noch heute jeder Streit um<lb/>
die Judenfrage, unter einer rechtlichen Unklarheit. Jude im Sinne des<lb/>
Rechts war nur der Bekenner der moſaiſchen Religion; wer die vollſtän-<lb/>
dige Gleichberechtigung der Juden bekämpfte, gerieth alſo leicht in den<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[632/0646]
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
der Ringe echt iſt, wurde ganz gedankenlos ausgelegt, als wäre Leſſing ſelber
ebenſo ſtumpfſinnig geweſen wie ſeine Erklärer, als hätte er den gewalt-
thätigen Islam oder das längſt zur Mumie erſtarrte Judenthum wirklich
der Religion der Liebe und der Freiheit gleich ſtellen wollen. In der
Hauptſtadt herrſchte ſeit dem Adreſſenſturme der Lichtfreunde wieder faſt
unumſchränkt jene ſelbſtgefällige Aufklärung, welche einſt, zu Nicolai’s
Zeiten, ihren Ausdruck gefunden hatte in den echt berliniſchen Verſen:
„Daß Gott ſei, lehrte Moſes ſchon; doch den Beweis gab Moſes Mendels-
ſohn.“ Humboldt und ſein Kreis wollten als unbedingte Verehrer der
franzöſiſchen Revolution in jeder Beſchränkung der politiſchen Rechte der
Israeliten nichts ſehen als Glaubensdruck und finſtere Barbarei. Leider
kannte der große Reiſende ſein eigenes Vaterland weit weniger als Mexico
oder Sibirien. Er überſah, daß in Preußen nach Verhältniß mindeſtens
achtmal mehr Juden lebten als in Frankreich, und daß dieſe Israeliten
dem polniſchen Stamme angehörten, nicht, wie damals noch die Mehrzahl
der franzöſiſchen Juden, dem bildſameren, den Abendländern näher ſtehen-
den ſpaniſchen Judenſtamme. Da er ſelbſt mehr Weltbürger als Deutſcher
war, ſo entging ihm auch das allerwichtigſte Bedenken: daß die Deutſchen
leider nicht jenen ſchönen inſtinktiven Nationalſtolz beſaßen, der in Frank-
reich jedes fremde Volksthum zwang ſich der nationalen Sitte unbedingt zu
unterwerfen.
Unterdeſſen hatte das deutſche Judenthum einen tapferen, beredten
Vorkämpfer gefunden an dem Hamburgiſchen Juriſten Gabriel Rieſſer,
einem edlen, vaterländiſch geſinnten Manne, dem ſeine Freunde nachrühm-
ten, in ihm ſei das Recht Gemüth geworden. Die Gleichberechtigung
ſeiner Stammgenoſſen war ihm Herzensſache; ſeit dem Anfange der drei-
ßiger Jahre vertrat er ſie, oft heftig, aber immer ehrenhaft, in ſeiner
Zeitſchrift „der Jude“ und in zahlreichen Flugſchriften. Selber ein gemäßig-
ter Liberaler, faßte er muthig den Stier bei den Hörnern und bekämpfte
namentlich die badiſchen Liberalen. Er wußte wohl, daß ſeine Stamm-
genoſſen nur wenn ſie durchaus zu Deutſchen wurden das gleiche Recht ver-
langen durften; doch da er ſelbſt ſo grunddeutſch empfand wie ſein wackerer
Freund M. Veit in Berlin und die anderen gebildeten Juden ſeines näheren
Umgangs, ſo behauptete er kurzweg, die deutſchen Juden hätten ihrer alten
Nationalität ſchon längſt entſagt. Hier lag die Schwäche ſeiner Aus-
führungen; er ſetzte voraus was zu beweiſen war. Wären alle deutſchen
Juden wirklich ſo geſinnt geweſen wie dieſer begeiſterte Patriot, dann hätte
ihre Gleichberechtigung in unſerem weitherzigen Volke keinen Widerſtand
gefunden.
Die Landtagsverhandlungen litten, wie noch heute jeder Streit um
die Judenfrage, unter einer rechtlichen Unklarheit. Jude im Sinne des
Rechts war nur der Bekenner der moſaiſchen Religion; wer die vollſtän-
dige Gleichberechtigung der Juden bekämpfte, gerieth alſo leicht in den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/646>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.