stützen doch völlig rathlos. Wo war ein Ausweg aus diesem durch den Monarchen allein verschuldeten Rechtsgewirre? Der König hatte, den Rath des Grafen Arnim verschmähend, sich nicht auf den unangreifbaren Rechtsboden der Gesetze seines Vaters gestellt, sondern den Ständen einer- seits alte Rechte genommen, andererseits neue, größere Rechte geschenkt; er hatte -- daran hing Alles -- die Wiederberufung des Vereinigten Landtags durchaus seinem eigenen Ermessen vorbehalten und also das ganze Verfassungswerk, das doch grade abgeschlossen werden sollte, noch in der Schwebe gelassen. Und unmöglich konnte der absolute König, nach so großen freiwilligen Gewährungen, seine neue Gesetzgebung auf den Wunsch der Stände sofort wieder ändern; das Ansehen der Krone und der per- sönliche Stolz Friedrich Wilhelm's hätten unter solcher Nachgiebigkeit zu schwer gelitten.
So stand denn dieser durch und durch königstreue, gemäßigte, be- sonnene Landtag vor einer fast unlösbaren Rechtsfrage. Die Abgeord- neten sagten sich: entweder sind wir die von dem alten Könige verheißene Landesrepräsentation, dann müssen wir auch alle ihre Rechte für uns verlangen; oder wir sind ein nach dem Belieben des neuen Herrschers berufener Ständetag, dann dürfen wir die Rechte der Landesrepräsentation nicht ausüben. Kühne Realpolitiker, wie der junge Deichhauptmann Otto v. Bismarck, der hier zuerst in das öffentliche Leben eintrat, mochten wohl über solche Skrupel lachen, denn mit voller Sicherheit ließ sich vorher- sehen, daß der Vereinigte Landtag zu einer dauernden Institution des Staates werden mußte; für den streng gesetzlichen Sinn der Mehrheit aber waren die Rechtsbedenken fast unüberwindlich. Und leider ward die Haltung der Opposition auch durch eine geheime Unwahrheit verdorben. Die Männer, die sich so streng auf den Rechtsboden beriefen, wollten in Wahrheit weit mehr als die alten Gesetze verhießen. Sie trugen durch- aus kein Bedenken, das neue Steuerbewilligungsrecht, das ihnen der König, den alten Gesetzen zuwider, geschenkt hatte, gleichsam als gute Prise an- zunehmen, denn sie hofften insgeheim den Monarchen Schritt für Schritt auf neue Bahnen zu drängen. Die Mehrzahl der Rheinländer und viele Vertreter der großen Städte des Ostens dachten an eine Verfassung belgischen Stiles, die liberalen Edelleute an eine mächtige ständische Ver- sammlung.
Allen diesen Bestrebungen hatte der König durch die willkürlich dilet- tantische Behandlung der Rechtsfragen selber Thür und Thor geöffnet. Das Wagniß seiner Politik war um so gefährlicher, da hinter den Ständen noch andere Mächte der Bewegung standen, welche weit über die Ziele des Landtags hinaus strebten. Die radicale Partei, deren Macht im Lande sich doch nicht mehr verkennen ließ, fand auf dem Landtage keinen einzigen Wortführer; nur dann und wann verrieth sich in ein- zelnen Aeußerungen der bäuerlichen Abgeordneten ein tiefer, verhaltener
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
ſtützen doch völlig rathlos. Wo war ein Ausweg aus dieſem durch den Monarchen allein verſchuldeten Rechtsgewirre? Der König hatte, den Rath des Grafen Arnim verſchmähend, ſich nicht auf den unangreifbaren Rechtsboden der Geſetze ſeines Vaters geſtellt, ſondern den Ständen einer- ſeits alte Rechte genommen, andererſeits neue, größere Rechte geſchenkt; er hatte — daran hing Alles — die Wiederberufung des Vereinigten Landtags durchaus ſeinem eigenen Ermeſſen vorbehalten und alſo das ganze Verfaſſungswerk, das doch grade abgeſchloſſen werden ſollte, noch in der Schwebe gelaſſen. Und unmöglich konnte der abſolute König, nach ſo großen freiwilligen Gewährungen, ſeine neue Geſetzgebung auf den Wunſch der Stände ſofort wieder ändern; das Anſehen der Krone und der per- ſönliche Stolz Friedrich Wilhelm’s hätten unter ſolcher Nachgiebigkeit zu ſchwer gelitten.
So ſtand denn dieſer durch und durch königstreue, gemäßigte, be- ſonnene Landtag vor einer faſt unlösbaren Rechtsfrage. Die Abgeord- neten ſagten ſich: entweder ſind wir die von dem alten Könige verheißene Landesrepräſentation, dann müſſen wir auch alle ihre Rechte für uns verlangen; oder wir ſind ein nach dem Belieben des neuen Herrſchers berufener Ständetag, dann dürfen wir die Rechte der Landesrepräſentation nicht ausüben. Kühne Realpolitiker, wie der junge Deichhauptmann Otto v. Bismarck, der hier zuerſt in das öffentliche Leben eintrat, mochten wohl über ſolche Skrupel lachen, denn mit voller Sicherheit ließ ſich vorher- ſehen, daß der Vereinigte Landtag zu einer dauernden Inſtitution des Staates werden mußte; für den ſtreng geſetzlichen Sinn der Mehrheit aber waren die Rechtsbedenken faſt unüberwindlich. Und leider ward die Haltung der Oppoſition auch durch eine geheime Unwahrheit verdorben. Die Männer, die ſich ſo ſtreng auf den Rechtsboden beriefen, wollten in Wahrheit weit mehr als die alten Geſetze verhießen. Sie trugen durch- aus kein Bedenken, das neue Steuerbewilligungsrecht, das ihnen der König, den alten Geſetzen zuwider, geſchenkt hatte, gleichſam als gute Priſe an- zunehmen, denn ſie hofften insgeheim den Monarchen Schritt für Schritt auf neue Bahnen zu drängen. Die Mehrzahl der Rheinländer und viele Vertreter der großen Städte des Oſtens dachten an eine Verfaſſung belgiſchen Stiles, die liberalen Edelleute an eine mächtige ſtändiſche Ver- ſammlung.
Allen dieſen Beſtrebungen hatte der König durch die willkürlich dilet- tantiſche Behandlung der Rechtsfragen ſelber Thür und Thor geöffnet. Das Wagniß ſeiner Politik war um ſo gefährlicher, da hinter den Ständen noch andere Mächte der Bewegung ſtanden, welche weit über die Ziele des Landtags hinaus ſtrebten. Die radicale Partei, deren Macht im Lande ſich doch nicht mehr verkennen ließ, fand auf dem Landtage keinen einzigen Wortführer; nur dann und wann verrieth ſich in ein- zelnen Aeußerungen der bäuerlichen Abgeordneten ein tiefer, verhaltener
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0632"n="618"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 8. Der Vereinigte Landtag.</fw><lb/>ſtützen doch völlig rathlos. Wo war ein Ausweg aus dieſem durch den<lb/>
Monarchen allein verſchuldeten Rechtsgewirre? Der König hatte, den<lb/>
Rath des Grafen Arnim verſchmähend, ſich nicht auf den unangreifbaren<lb/>
Rechtsboden der Geſetze ſeines Vaters geſtellt, ſondern den Ständen einer-<lb/>ſeits alte Rechte genommen, andererſeits neue, größere Rechte geſchenkt;<lb/>
er hatte — daran hing Alles — die Wiederberufung des Vereinigten<lb/>
Landtags durchaus ſeinem eigenen Ermeſſen vorbehalten und alſo das<lb/>
ganze Verfaſſungswerk, das doch grade abgeſchloſſen werden ſollte, noch<lb/>
in der Schwebe gelaſſen. Und unmöglich konnte der abſolute König, nach<lb/>ſo großen freiwilligen Gewährungen, ſeine neue Geſetzgebung auf den Wunſch<lb/>
der Stände ſofort wieder ändern; das Anſehen der Krone und der per-<lb/>ſönliche Stolz Friedrich Wilhelm’s hätten unter ſolcher Nachgiebigkeit zu<lb/>ſchwer gelitten.</p><lb/><p>So ſtand denn dieſer durch und durch königstreue, gemäßigte, be-<lb/>ſonnene Landtag vor einer faſt unlösbaren Rechtsfrage. Die Abgeord-<lb/>
neten ſagten ſich: entweder ſind wir die von dem alten Könige verheißene<lb/>
Landesrepräſentation, dann müſſen wir auch alle ihre Rechte für uns<lb/>
verlangen; oder wir ſind ein nach dem Belieben des neuen Herrſchers<lb/>
berufener Ständetag, dann dürfen wir die Rechte der Landesrepräſentation<lb/>
nicht ausüben. Kühne Realpolitiker, wie der junge Deichhauptmann Otto<lb/>
v. Bismarck, der hier zuerſt in das öffentliche Leben eintrat, mochten wohl<lb/>
über ſolche Skrupel lachen, denn mit voller Sicherheit ließ ſich vorher-<lb/>ſehen, daß der Vereinigte Landtag zu einer dauernden Inſtitution des<lb/>
Staates werden mußte; für den ſtreng geſetzlichen Sinn der Mehrheit<lb/>
aber waren die Rechtsbedenken faſt unüberwindlich. Und leider ward die<lb/>
Haltung der Oppoſition auch durch eine geheime Unwahrheit verdorben.<lb/>
Die Männer, die ſich ſo ſtreng auf den Rechtsboden beriefen, wollten in<lb/>
Wahrheit weit mehr als die alten Geſetze verhießen. Sie trugen durch-<lb/>
aus kein Bedenken, das neue Steuerbewilligungsrecht, das ihnen der König,<lb/>
den alten Geſetzen zuwider, geſchenkt hatte, gleichſam als gute Priſe an-<lb/>
zunehmen, denn ſie hofften insgeheim den Monarchen Schritt für Schritt<lb/>
auf neue Bahnen zu drängen. Die Mehrzahl der Rheinländer und viele<lb/>
Vertreter der großen Städte des Oſtens dachten an eine Verfaſſung<lb/>
belgiſchen Stiles, die liberalen Edelleute an eine mächtige ſtändiſche Ver-<lb/>ſammlung.</p><lb/><p>Allen dieſen Beſtrebungen hatte der König durch die willkürlich dilet-<lb/>
tantiſche Behandlung der Rechtsfragen ſelber Thür und Thor geöffnet.<lb/>
Das Wagniß ſeiner Politik war um ſo gefährlicher, da hinter den Ständen<lb/>
noch andere Mächte der Bewegung ſtanden, welche weit über die Ziele<lb/>
des Landtags hinaus ſtrebten. Die radicale Partei, deren Macht im<lb/>
Lande ſich doch nicht mehr verkennen ließ, fand auf dem Landtage<lb/>
keinen einzigen Wortführer; nur dann und wann verrieth ſich in ein-<lb/>
zelnen Aeußerungen der bäuerlichen Abgeordneten ein tiefer, verhaltener<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[618/0632]
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
ſtützen doch völlig rathlos. Wo war ein Ausweg aus dieſem durch den
Monarchen allein verſchuldeten Rechtsgewirre? Der König hatte, den
Rath des Grafen Arnim verſchmähend, ſich nicht auf den unangreifbaren
Rechtsboden der Geſetze ſeines Vaters geſtellt, ſondern den Ständen einer-
ſeits alte Rechte genommen, andererſeits neue, größere Rechte geſchenkt;
er hatte — daran hing Alles — die Wiederberufung des Vereinigten
Landtags durchaus ſeinem eigenen Ermeſſen vorbehalten und alſo das
ganze Verfaſſungswerk, das doch grade abgeſchloſſen werden ſollte, noch
in der Schwebe gelaſſen. Und unmöglich konnte der abſolute König, nach
ſo großen freiwilligen Gewährungen, ſeine neue Geſetzgebung auf den Wunſch
der Stände ſofort wieder ändern; das Anſehen der Krone und der per-
ſönliche Stolz Friedrich Wilhelm’s hätten unter ſolcher Nachgiebigkeit zu
ſchwer gelitten.
So ſtand denn dieſer durch und durch königstreue, gemäßigte, be-
ſonnene Landtag vor einer faſt unlösbaren Rechtsfrage. Die Abgeord-
neten ſagten ſich: entweder ſind wir die von dem alten Könige verheißene
Landesrepräſentation, dann müſſen wir auch alle ihre Rechte für uns
verlangen; oder wir ſind ein nach dem Belieben des neuen Herrſchers
berufener Ständetag, dann dürfen wir die Rechte der Landesrepräſentation
nicht ausüben. Kühne Realpolitiker, wie der junge Deichhauptmann Otto
v. Bismarck, der hier zuerſt in das öffentliche Leben eintrat, mochten wohl
über ſolche Skrupel lachen, denn mit voller Sicherheit ließ ſich vorher-
ſehen, daß der Vereinigte Landtag zu einer dauernden Inſtitution des
Staates werden mußte; für den ſtreng geſetzlichen Sinn der Mehrheit
aber waren die Rechtsbedenken faſt unüberwindlich. Und leider ward die
Haltung der Oppoſition auch durch eine geheime Unwahrheit verdorben.
Die Männer, die ſich ſo ſtreng auf den Rechtsboden beriefen, wollten in
Wahrheit weit mehr als die alten Geſetze verhießen. Sie trugen durch-
aus kein Bedenken, das neue Steuerbewilligungsrecht, das ihnen der König,
den alten Geſetzen zuwider, geſchenkt hatte, gleichſam als gute Priſe an-
zunehmen, denn ſie hofften insgeheim den Monarchen Schritt für Schritt
auf neue Bahnen zu drängen. Die Mehrzahl der Rheinländer und viele
Vertreter der großen Städte des Oſtens dachten an eine Verfaſſung
belgiſchen Stiles, die liberalen Edelleute an eine mächtige ſtändiſche Ver-
ſammlung.
Allen dieſen Beſtrebungen hatte der König durch die willkürlich dilet-
tantiſche Behandlung der Rechtsfragen ſelber Thür und Thor geöffnet.
Das Wagniß ſeiner Politik war um ſo gefährlicher, da hinter den Ständen
noch andere Mächte der Bewegung ſtanden, welche weit über die Ziele
des Landtags hinaus ſtrebten. Die radicale Partei, deren Macht im
Lande ſich doch nicht mehr verkennen ließ, fand auf dem Landtage
keinen einzigen Wortführer; nur dann und wann verrieth ſich in ein-
zelnen Aeußerungen der bäuerlichen Abgeordneten ein tiefer, verhaltener
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/632>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.