willfahrte dem Wunsche durch eines jener geistreichen, mehr blendenden als überzeugenden Schlagworte, mit denen er zu spielen liebte. Er meinte, sein Vater, der so viel für das Land gethan, hätte bescheiden sein dürfen, er selber habe sich dies Recht noch nicht erworben. Der Einzug erfolgte am 21. Sept., vom Frankfurter Thore her, unter Glockengeläute und Kanonendonner, als ob der König aus einem siegreichen Kriege zu- rückkäme. Schwungvolle Reden und Gedichte betheuerten die unbegrenzte Ergebenheit "der getreuesten Stadt des Landes". Ehrenpforten, Fahnen, Kränze allüberall, und in den Volksmassen ein rasender Jubel, wie ihn Berlin selbst bei der Rückkehr der Befreiungskämpfer nicht gehört hatte. Als der König, ganz erschöpft von dem Uebermaße der Freuden, endlich die Schloßtreppe hinaufstieg, sagte er ahnungsvoll zum Oberbürgermeister Krausnick: "Das ist ja ein Taumel, eine wahre Trunkenheit. Wenn nur der Katzenjammer nicht nachkommt!"
Schon lange vor dem 15. October, dem Tage der großen Huldigung trafen die Abgeordneten, alle froh erregt, in der Hauptstadt ein. In diesem heiteren geselligen Verkehre lernten sich die Vertreter der verschiedenen Provinzen zum ersten male persönlich kennen und sie entdeckten mit freu- digem Erstaunen, daß sie trotz so mancher Unterschiede doch allesammt gute Preußen waren. Aber während die landschaftlichen Vorurtheile sich abschliffen, bestanden die alten socialen Gegensätze noch in ungeminderter Schärfe fort. Das zeigte sich bei einer geringfügigen Etikettenfrage. Die brandenburgische Ritterschaft besaß von Alters her das Vorrecht den Treu- eid persönlich in die Hand des Landesherrn abzuleisten, ein Recht, das sie noch bei der letzten Huldigung ausgeübt hatte. Da der König seine treuen Märker unmöglich eines alten Ehrenrechtes berauben konnte, so beschloß er, die sämmtlichen Vertreter des Herrenstandes und der Ritter- schaft aus den sechs Provinzen in seinen Gemächern zu empfangen; die Abgeordneten der Städte und des Bauernstandes sollten nachher unter freiem Himmel, im Lustgarten huldigen, weil die Räume des Schlosses dafür nicht ausreichten. Die Anordnung war ganz harmlos gemeint; doch sie erregte unter den Vertretern der Städte eine lebhafte Entrüstung, die von der liberalen Presse außerhalb Preußens geflissentlich geschürt wurde. Durch eine solche Bevorzugung des Adels fühlte sich der Bürger- stolz beleidigt. Oberbürgermeister Francke von Magdeburg versuchte mit Hilfe des Grafen Stolberg zu vermitteln, und der König stellte den Städten frei, eine Deputation in das Schloß zu senden. Die märkischen Ritter andererseits erklärten, nach ihrem guten Rechte, sie würden wohl auf Befehl des Monarchen, doch nimmermehr freiwillig ein Privilegium ihres Landes aufgeben. Die Städter versammelten sich nunmehr zu einer Berathung im Grauen Kloster, und Rochow, der hier sehr mild und versöhnlich auftrat, bewog sie schließlich, sich bei der ursprünglichen Anordnung zu beruhigen. Aber während der Verhandlung fielen starke,
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 4
Einzug in Berlin.
willfahrte dem Wunſche durch eines jener geiſtreichen, mehr blendenden als überzeugenden Schlagworte, mit denen er zu ſpielen liebte. Er meinte, ſein Vater, der ſo viel für das Land gethan, hätte beſcheiden ſein dürfen, er ſelber habe ſich dies Recht noch nicht erworben. Der Einzug erfolgte am 21. Sept., vom Frankfurter Thore her, unter Glockengeläute und Kanonendonner, als ob der König aus einem ſiegreichen Kriege zu- rückkäme. Schwungvolle Reden und Gedichte betheuerten die unbegrenzte Ergebenheit „der getreueſten Stadt des Landes“. Ehrenpforten, Fahnen, Kränze allüberall, und in den Volksmaſſen ein raſender Jubel, wie ihn Berlin ſelbſt bei der Rückkehr der Befreiungskämpfer nicht gehört hatte. Als der König, ganz erſchöpft von dem Uebermaße der Freuden, endlich die Schloßtreppe hinaufſtieg, ſagte er ahnungsvoll zum Oberbürgermeiſter Krausnick: „Das iſt ja ein Taumel, eine wahre Trunkenheit. Wenn nur der Katzenjammer nicht nachkommt!“
Schon lange vor dem 15. October, dem Tage der großen Huldigung trafen die Abgeordneten, alle froh erregt, in der Hauptſtadt ein. In dieſem heiteren geſelligen Verkehre lernten ſich die Vertreter der verſchiedenen Provinzen zum erſten male perſönlich kennen und ſie entdeckten mit freu- digem Erſtaunen, daß ſie trotz ſo mancher Unterſchiede doch alleſammt gute Preußen waren. Aber während die landſchaftlichen Vorurtheile ſich abſchliffen, beſtanden die alten ſocialen Gegenſätze noch in ungeminderter Schärfe fort. Das zeigte ſich bei einer geringfügigen Etikettenfrage. Die brandenburgiſche Ritterſchaft beſaß von Alters her das Vorrecht den Treu- eid perſönlich in die Hand des Landesherrn abzuleiſten, ein Recht, das ſie noch bei der letzten Huldigung ausgeübt hatte. Da der König ſeine treuen Märker unmöglich eines alten Ehrenrechtes berauben konnte, ſo beſchloß er, die ſämmtlichen Vertreter des Herrenſtandes und der Ritter- ſchaft aus den ſechs Provinzen in ſeinen Gemächern zu empfangen; die Abgeordneten der Städte und des Bauernſtandes ſollten nachher unter freiem Himmel, im Luſtgarten huldigen, weil die Räume des Schloſſes dafür nicht ausreichten. Die Anordnung war ganz harmlos gemeint; doch ſie erregte unter den Vertretern der Städte eine lebhafte Entrüſtung, die von der liberalen Preſſe außerhalb Preußens gefliſſentlich geſchürt wurde. Durch eine ſolche Bevorzugung des Adels fühlte ſich der Bürger- ſtolz beleidigt. Oberbürgermeiſter Francke von Magdeburg verſuchte mit Hilfe des Grafen Stolberg zu vermitteln, und der König ſtellte den Städten frei, eine Deputation in das Schloß zu ſenden. Die märkiſchen Ritter andererſeits erklärten, nach ihrem guten Rechte, ſie würden wohl auf Befehl des Monarchen, doch nimmermehr freiwillig ein Privilegium ihres Landes aufgeben. Die Städter verſammelten ſich nunmehr zu einer Berathung im Grauen Kloſter, und Rochow, der hier ſehr mild und verſöhnlich auftrat, bewog ſie ſchließlich, ſich bei der urſprünglichen Anordnung zu beruhigen. Aber während der Verhandlung fielen ſtarke,
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 4
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[49/0063]
Einzug in Berlin.
willfahrte dem Wunſche durch eines jener geiſtreichen, mehr blendenden
als überzeugenden Schlagworte, mit denen er zu ſpielen liebte. Er
meinte, ſein Vater, der ſo viel für das Land gethan, hätte beſcheiden ſein
dürfen, er ſelber habe ſich dies Recht noch nicht erworben. Der Einzug
erfolgte am 21. Sept., vom Frankfurter Thore her, unter Glockengeläute
und Kanonendonner, als ob der König aus einem ſiegreichen Kriege zu-
rückkäme. Schwungvolle Reden und Gedichte betheuerten die unbegrenzte
Ergebenheit „der getreueſten Stadt des Landes“. Ehrenpforten, Fahnen,
Kränze allüberall, und in den Volksmaſſen ein raſender Jubel, wie ihn
Berlin ſelbſt bei der Rückkehr der Befreiungskämpfer nicht gehört hatte.
Als der König, ganz erſchöpft von dem Uebermaße der Freuden, endlich
die Schloßtreppe hinaufſtieg, ſagte er ahnungsvoll zum Oberbürgermeiſter
Krausnick: „Das iſt ja ein Taumel, eine wahre Trunkenheit. Wenn nur
der Katzenjammer nicht nachkommt!“
Schon lange vor dem 15. October, dem Tage der großen Huldigung
trafen die Abgeordneten, alle froh erregt, in der Hauptſtadt ein. In
dieſem heiteren geſelligen Verkehre lernten ſich die Vertreter der verſchiedenen
Provinzen zum erſten male perſönlich kennen und ſie entdeckten mit freu-
digem Erſtaunen, daß ſie trotz ſo mancher Unterſchiede doch alleſammt
gute Preußen waren. Aber während die landſchaftlichen Vorurtheile ſich
abſchliffen, beſtanden die alten ſocialen Gegenſätze noch in ungeminderter
Schärfe fort. Das zeigte ſich bei einer geringfügigen Etikettenfrage. Die
brandenburgiſche Ritterſchaft beſaß von Alters her das Vorrecht den Treu-
eid perſönlich in die Hand des Landesherrn abzuleiſten, ein Recht, das
ſie noch bei der letzten Huldigung ausgeübt hatte. Da der König ſeine
treuen Märker unmöglich eines alten Ehrenrechtes berauben konnte, ſo
beſchloß er, die ſämmtlichen Vertreter des Herrenſtandes und der Ritter-
ſchaft aus den ſechs Provinzen in ſeinen Gemächern zu empfangen; die
Abgeordneten der Städte und des Bauernſtandes ſollten nachher unter
freiem Himmel, im Luſtgarten huldigen, weil die Räume des Schloſſes
dafür nicht ausreichten. Die Anordnung war ganz harmlos gemeint;
doch ſie erregte unter den Vertretern der Städte eine lebhafte Entrüſtung,
die von der liberalen Preſſe außerhalb Preußens gefliſſentlich geſchürt
wurde. Durch eine ſolche Bevorzugung des Adels fühlte ſich der Bürger-
ſtolz beleidigt. Oberbürgermeiſter Francke von Magdeburg verſuchte mit
Hilfe des Grafen Stolberg zu vermitteln, und der König ſtellte den
Städten frei, eine Deputation in das Schloß zu ſenden. Die märkiſchen
Ritter andererſeits erklärten, nach ihrem guten Rechte, ſie würden wohl auf
Befehl des Monarchen, doch nimmermehr freiwillig ein Privilegium
ihres Landes aufgeben. Die Städter verſammelten ſich nunmehr zu
einer Berathung im Grauen Kloſter, und Rochow, der hier ſehr mild
und verſöhnlich auftrat, bewog ſie ſchließlich, ſich bei der urſprünglichen
Anordnung zu beruhigen. Aber während der Verhandlung fielen ſtarke,
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 4
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/63>, abgerufen am 23.11.2024.
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