der Mannesstamm in den unzertrennlichen Herzogthümern erbberechtigt sei. Theodor Olshausen und seine radicalen Freunde hatten lange, ohne viel Anklang zu finden, im Kieler Correspondenzblatte die seltsame, ganz unhistorische Ansicht vertreten, man müsse Schleswig opfern um Holstein desto fester mit dem liberalen Deutschland zu verbinden; doch sobald die Angriffe der Dänen bedrohlich wurden, gaben diese "Neuholsteiner" ehren- haft ihre Sondermeinung auf und schaarten sich um das Banner des Landesrechts. Das ganze Volk war einig, bis auf einzelne Striche Nord- schleswigs; erstaunlich schnell drang die Bewegung bis in die Massen hinab. Schon im Juli 1844, noch bevor Allgreen Ussing auftrat, erklang auf dem schleswigschen Sängerfeste zum ersten male das Lied von Chem- nitz: Schleswigholstein meerumschlungen, deutscher Sitte hohe Wacht! Aus den vier Farben Schleswigs und Holsteins wurde, mit Weglassung der gelben, die neue blauweißrothe Fahne des einen meerumschlungenen Landes zusammengesetzt -- denn drei Farben mußten es sein, ohne eine Tricolore konnte sich diese Zeit einen Freiheitskampf nicht vorstellen -- und sie tauchte trotz der Verbote immer wieder auf.
Das Land glaubte fest und ehrlich an seine Selbständigkeit und Unzertrennlichkeit, wie an das Thronfolgerecht des Mannesstammes, und in der That standen die Erbansprüche der Augustenburger auf so sicherem Rechtsgrunde als dies irgend möglich war bei Rechten, die in die verworrene Geschichte entlegener Jahrhunderte zurückreichten; denn die alte Untheilbarkeit der Lande war von der Krone Dänemark unzählige male feierlich bestätigt, das Königsgesetz dagegen und seine neue Erbfolge- ordnung niemals in den Herzogthümern als Gesetz verkündet worden. Ernsthafte Rechtsbedenken ließen sich eigentlich nur wegen der Herrschaft Pinneberg und der Grafschaft Rantzau erheben. Dieser Landstrich Hol- steins, die Umgegend Altonas hatte an der verhängnißvollen Herzogswahl des Jahres 1460 nicht mit theilgenommen; er hatte damals als freies Allod einer Seitenlinie der alten schauenburgischen Grafen angehört, war dann, bei deren Aussterben (1640), von der königlichen und der Gottorper Linie gemeinsam angekauft worden, späterhin, nach mannichfachen Schick- salswechseln, ganz unter die Herrschaft der königlichen Linie gekommen und schließlich, 1806, dem Herzogthum Holstein einverleibt worden. Hier hau- sten noch von Altersher der Landdrost von Pinneberg und der Admini- strator der Grafschaft Rantzau, die reichsten unter dem reichen Beamten- thum des Landes, die man neben dem Amtmann von Reinbeck die drei Fürsten Holsteins nannte. Hier bot sich allerdings ein ergiebiges Feld für staatsrechtliche Doctordissertationen, hier ließ sich in gutem Glauben der beliebte Juristenbeweis führen, daß zwei ganz gleiche Dinge doch wie- der ganz verschieden sind. Es war aber nur menschlich, daß die Schleswig- holsteiner sich um den zweifelhaften verfitzten Rechtszustand dieses Ländchens nicht kümmerten. In allem Wesentlichen hatten sie Recht. Nur einzelne
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
der Mannesſtamm in den unzertrennlichen Herzogthümern erbberechtigt ſei. Theodor Olshauſen und ſeine radicalen Freunde hatten lange, ohne viel Anklang zu finden, im Kieler Correſpondenzblatte die ſeltſame, ganz unhiſtoriſche Anſicht vertreten, man müſſe Schleswig opfern um Holſtein deſto feſter mit dem liberalen Deutſchland zu verbinden; doch ſobald die Angriffe der Dänen bedrohlich wurden, gaben dieſe „Neuholſteiner“ ehren- haft ihre Sondermeinung auf und ſchaarten ſich um das Banner des Landesrechts. Das ganze Volk war einig, bis auf einzelne Striche Nord- ſchleswigs; erſtaunlich ſchnell drang die Bewegung bis in die Maſſen hinab. Schon im Juli 1844, noch bevor Allgreen Uſſing auftrat, erklang auf dem ſchleswigſchen Sängerfeſte zum erſten male das Lied von Chem- nitz: Schleswigholſtein meerumſchlungen, deutſcher Sitte hohe Wacht! Aus den vier Farben Schleswigs und Holſteins wurde, mit Weglaſſung der gelben, die neue blauweißrothe Fahne des einen meerumſchlungenen Landes zuſammengeſetzt — denn drei Farben mußten es ſein, ohne eine Tricolore konnte ſich dieſe Zeit einen Freiheitskampf nicht vorſtellen — und ſie tauchte trotz der Verbote immer wieder auf.
Das Land glaubte feſt und ehrlich an ſeine Selbſtändigkeit und Unzertrennlichkeit, wie an das Thronfolgerecht des Mannesſtammes, und in der That ſtanden die Erbanſprüche der Auguſtenburger auf ſo ſicherem Rechtsgrunde als dies irgend möglich war bei Rechten, die in die verworrene Geſchichte entlegener Jahrhunderte zurückreichten; denn die alte Untheilbarkeit der Lande war von der Krone Dänemark unzählige male feierlich beſtätigt, das Königsgeſetz dagegen und ſeine neue Erbfolge- ordnung niemals in den Herzogthümern als Geſetz verkündet worden. Ernſthafte Rechtsbedenken ließen ſich eigentlich nur wegen der Herrſchaft Pinneberg und der Grafſchaft Rantzau erheben. Dieſer Landſtrich Hol- ſteins, die Umgegend Altonas hatte an der verhängnißvollen Herzogswahl des Jahres 1460 nicht mit theilgenommen; er hatte damals als freies Allod einer Seitenlinie der alten ſchauenburgiſchen Grafen angehört, war dann, bei deren Ausſterben (1640), von der königlichen und der Gottorper Linie gemeinſam angekauft worden, ſpäterhin, nach mannichfachen Schick- ſalswechſeln, ganz unter die Herrſchaft der königlichen Linie gekommen und ſchließlich, 1806, dem Herzogthum Holſtein einverleibt worden. Hier hau- ſten noch von Altersher der Landdroſt von Pinneberg und der Admini- ſtrator der Grafſchaft Rantzau, die reichſten unter dem reichen Beamten- thum des Landes, die man neben dem Amtmann von Reinbeck die drei Fürſten Holſteins nannte. Hier bot ſich allerdings ein ergiebiges Feld für ſtaatsrechtliche Doctordiſſertationen, hier ließ ſich in gutem Glauben der beliebte Juriſtenbeweis führen, daß zwei ganz gleiche Dinge doch wie- der ganz verſchieden ſind. Es war aber nur menſchlich, daß die Schleswig- holſteiner ſich um den zweifelhaften verfitzten Rechtszuſtand dieſes Ländchens nicht kümmerten. In allem Weſentlichen hatten ſie Recht. Nur einzelne
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V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
der Mannesſtamm in den unzertrennlichen Herzogthümern erbberechtigt
ſei. Theodor Olshauſen und ſeine radicalen Freunde hatten lange, ohne
viel Anklang zu finden, im Kieler Correſpondenzblatte die ſeltſame, ganz
unhiſtoriſche Anſicht vertreten, man müſſe Schleswig opfern um Holſtein
deſto feſter mit dem liberalen Deutſchland zu verbinden; doch ſobald die
Angriffe der Dänen bedrohlich wurden, gaben dieſe „Neuholſteiner“ ehren-
haft ihre Sondermeinung auf und ſchaarten ſich um das Banner des
Landesrechts. Das ganze Volk war einig, bis auf einzelne Striche Nord-
ſchleswigs; erſtaunlich ſchnell drang die Bewegung bis in die Maſſen
hinab. Schon im Juli 1844, noch bevor Allgreen Uſſing auftrat, erklang
auf dem ſchleswigſchen Sängerfeſte zum erſten male das Lied von Chem-
nitz: Schleswigholſtein meerumſchlungen, deutſcher Sitte hohe Wacht!
Aus den vier Farben Schleswigs und Holſteins wurde, mit Weglaſſung
der gelben, die neue blauweißrothe Fahne des einen meerumſchlungenen
Landes zuſammengeſetzt — denn drei Farben mußten es ſein, ohne eine
Tricolore konnte ſich dieſe Zeit einen Freiheitskampf nicht vorſtellen —
und ſie tauchte trotz der Verbote immer wieder auf.
Das Land glaubte feſt und ehrlich an ſeine Selbſtändigkeit und
Unzertrennlichkeit, wie an das Thronfolgerecht des Mannesſtammes,
und in der That ſtanden die Erbanſprüche der Auguſtenburger auf ſo
ſicherem Rechtsgrunde als dies irgend möglich war bei Rechten, die in die
verworrene Geſchichte entlegener Jahrhunderte zurückreichten; denn die
alte Untheilbarkeit der Lande war von der Krone Dänemark unzählige
male feierlich beſtätigt, das Königsgeſetz dagegen und ſeine neue Erbfolge-
ordnung niemals in den Herzogthümern als Geſetz verkündet worden.
Ernſthafte Rechtsbedenken ließen ſich eigentlich nur wegen der Herrſchaft
Pinneberg und der Grafſchaft Rantzau erheben. Dieſer Landſtrich Hol-
ſteins, die Umgegend Altonas hatte an der verhängnißvollen Herzogswahl
des Jahres 1460 nicht mit theilgenommen; er hatte damals als freies
Allod einer Seitenlinie der alten ſchauenburgiſchen Grafen angehört, war
dann, bei deren Ausſterben (1640), von der königlichen und der Gottorper
Linie gemeinſam angekauft worden, ſpäterhin, nach mannichfachen Schick-
ſalswechſeln, ganz unter die Herrſchaft der königlichen Linie gekommen und
ſchließlich, 1806, dem Herzogthum Holſtein einverleibt worden. Hier hau-
ſten noch von Altersher der Landdroſt von Pinneberg und der Admini-
ſtrator der Grafſchaft Rantzau, die reichſten unter dem reichen Beamten-
thum des Landes, die man neben dem Amtmann von Reinbeck die drei
Fürſten Holſteins nannte. Hier bot ſich allerdings ein ergiebiges Feld
für ſtaatsrechtliche Doctordiſſertationen, hier ließ ſich in gutem Glauben
der beliebte Juriſtenbeweis führen, daß zwei ganz gleiche Dinge doch wie-
der ganz verſchieden ſind. Es war aber nur menſchlich, daß die Schleswig-
holſteiner ſich um den zweifelhaften verfitzten Rechtszuſtand dieſes Ländchens
nicht kümmerten. In allem Weſentlichen hatten ſie Recht. Nur einzelne
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/586>, abgerufen am 22.11.2024.
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