trennen. Solche Stimmen der Gerechtigkeit wagten sich nach wenigen Jahren schon kaum mehr zu äußern. Wohl bestand noch eine conservative Gesammtstaats-Partei, welche die Monarchie, gleichviel unter welchem Herr- scherhause, ungeschmälert erhalten und die Sonderrechte der Herzogthümer wenn auch beschränken, so doch nicht zerstören wollte. Zu ihr gehörten fast alle die erfahrenen hohen Beamten, Dänen wie Deutsche; im Volke aber hatte sie keine Wurzeln. Führer ohne Heer, konnten diese Gesammt- staats-Männer sich nur auf den unberechenbaren König stützen, der ein- mal den Aufwiegler Orla Lehmann vor das sehr mild urtheilende oberste Gericht stellen ließ und gleichzeitig anderen Wortführern der dänischen Propaganda sein Wohlgefallen aussprach.
Das nächste Ziel der Eiderdänen war Nordschleswig. Um in diesem stillen Lande dänische Sprache und Gesittung zu verbreiten wurden in wenigen Jahren sechs verschiedene Vereine gegründet. Ein redefertiger Bauer Laurids Skau leitete die Umtriebe, er reiste rastlos zwischen Flens- burg und Kopenhagen hin und her, ward auch von dem Monarchen selbst gnädig empfangen; sieben Kopenhagener Demagogen, die man in Schles- wig das Siebengestirn nannte, standen ihm treu zur Seite. Der Erfolg blieb lange aus; die schwerfälligen, gutmüthigen Bauern Nordschleswigs hatten ja gar keinen Grund wider die Deutschen zu klagen, und ihr schwunghafter Viehhandel verband sie mit Hamburg. Nach und nach begann der Same des Unfriedens doch aufzusprießen. In der äußersten Nordostecke Schleswigs, auf der Skamlingsbank, einer schönen Waldhöhe am kleinen Belt, die von Jütland und den Inseln zu Schiff leicht erreicht werden konnte, pflegte Laurids Skau seine großen Volksfeste abzuhalten; und mancher harmlose Bauersmann fühlte sich bezaubert, wenn dort die dänischen Nationallieder erklangen oder der dreieinige Norden in feurigen Reden verherrlicht oder ein großer dänischer Patriot mit einem silbernen Trinkhorn beschenkt wurde. Die dänische Partei unter dem nordschles- wigschen Landvolke vermochte noch wenig, da dort alle Bildung deutsch war, aber sie wuchs langsam an.
Unmöglich konnten die Landtage von dieser stürmischen nationalen Bewegung unberührt bleiben; schon bisher hatten sie, da sie aus direkten Wahlen hervorgingen, trotz ihrer beschränkten Befugnisse jeden Volks- wunsch treulich ausgesprochen. Wenn Preußen selbst, das so viel fester stand, mit seinen Provinziallandtagen kaum noch auskam, wie heillos mußte sich vollends die Lage dieses Mischreichs gestalten, seit seine bei- den dänischen Landtage gegen die beiden deutschen ankämpften und der Welt abermals bewiesen, daß in nationalen Streitigkeiten die Völker stets unduldsamer sind als die Cabinette. Die Jüten begannen den Angriff. Als im Schleswiger Landtage (1842) ein dänisch gesinnter Abgeordneter, der schon oft gut deutsch gesprochen hatte, plötzlich dänisch zu reden be- gann und dafür zur Ordnung gerufen wurde, da legte der jütische
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
trennen. Solche Stimmen der Gerechtigkeit wagten ſich nach wenigen Jahren ſchon kaum mehr zu äußern. Wohl beſtand noch eine conſervative Geſammtſtaats-Partei, welche die Monarchie, gleichviel unter welchem Herr- ſcherhauſe, ungeſchmälert erhalten und die Sonderrechte der Herzogthümer wenn auch beſchränken, ſo doch nicht zerſtören wollte. Zu ihr gehörten faſt alle die erfahrenen hohen Beamten, Dänen wie Deutſche; im Volke aber hatte ſie keine Wurzeln. Führer ohne Heer, konnten dieſe Geſammt- ſtaats-Männer ſich nur auf den unberechenbaren König ſtützen, der ein- mal den Aufwiegler Orla Lehmann vor das ſehr mild urtheilende oberſte Gericht ſtellen ließ und gleichzeitig anderen Wortführern der däniſchen Propaganda ſein Wohlgefallen ausſprach.
Das nächſte Ziel der Eiderdänen war Nordſchleswig. Um in dieſem ſtillen Lande däniſche Sprache und Geſittung zu verbreiten wurden in wenigen Jahren ſechs verſchiedene Vereine gegründet. Ein redefertiger Bauer Laurids Skau leitete die Umtriebe, er reiſte raſtlos zwiſchen Flens- burg und Kopenhagen hin und her, ward auch von dem Monarchen ſelbſt gnädig empfangen; ſieben Kopenhagener Demagogen, die man in Schles- wig das Siebengeſtirn nannte, ſtanden ihm treu zur Seite. Der Erfolg blieb lange aus; die ſchwerfälligen, gutmüthigen Bauern Nordſchleswigs hatten ja gar keinen Grund wider die Deutſchen zu klagen, und ihr ſchwunghafter Viehhandel verband ſie mit Hamburg. Nach und nach begann der Same des Unfriedens doch aufzuſprießen. In der äußerſten Nordoſtecke Schleswigs, auf der Skamlingsbank, einer ſchönen Waldhöhe am kleinen Belt, die von Jütland und den Inſeln zu Schiff leicht erreicht werden konnte, pflegte Laurids Skau ſeine großen Volksfeſte abzuhalten; und mancher harmloſe Bauersmann fühlte ſich bezaubert, wenn dort die däniſchen Nationallieder erklangen oder der dreieinige Norden in feurigen Reden verherrlicht oder ein großer däniſcher Patriot mit einem ſilbernen Trinkhorn beſchenkt wurde. Die däniſche Partei unter dem nordſchles- wigſchen Landvolke vermochte noch wenig, da dort alle Bildung deutſch war, aber ſie wuchs langſam an.
Unmöglich konnten die Landtage von dieſer ſtürmiſchen nationalen Bewegung unberührt bleiben; ſchon bisher hatten ſie, da ſie aus direkten Wahlen hervorgingen, trotz ihrer beſchränkten Befugniſſe jeden Volks- wunſch treulich ausgeſprochen. Wenn Preußen ſelbſt, das ſo viel feſter ſtand, mit ſeinen Provinziallandtagen kaum noch auskam, wie heillos mußte ſich vollends die Lage dieſes Miſchreichs geſtalten, ſeit ſeine bei- den däniſchen Landtage gegen die beiden deutſchen ankämpften und der Welt abermals bewieſen, daß in nationalen Streitigkeiten die Völker ſtets unduldſamer ſind als die Cabinette. Die Jüten begannen den Angriff. Als im Schleswiger Landtage (1842) ein däniſch geſinnter Abgeordneter, der ſchon oft gut deutſch geſprochen hatte, plötzlich däniſch zu reden be- gann und dafür zur Ordnung gerufen wurde, da legte der jütiſche
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trennen. Solche Stimmen der Gerechtigkeit wagten ſich nach wenigen
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Geſammtſtaats-Partei, welche die Monarchie, gleichviel unter welchem Herr-
ſcherhauſe, ungeſchmälert erhalten und die Sonderrechte der Herzogthümer
wenn auch beſchränken, ſo doch nicht zerſtören wollte. Zu ihr gehörten
faſt alle die erfahrenen hohen Beamten, Dänen wie Deutſche; im Volke
aber hatte ſie keine Wurzeln. Führer ohne Heer, konnten dieſe Geſammt-
ſtaats-Männer ſich nur auf den unberechenbaren König ſtützen, der ein-
mal den Aufwiegler Orla Lehmann vor das ſehr mild urtheilende oberſte
Gericht ſtellen ließ und gleichzeitig anderen Wortführern der däniſchen
Propaganda ſein Wohlgefallen ausſprach.
Das nächſte Ziel der Eiderdänen war Nordſchleswig. Um in dieſem
ſtillen Lande däniſche Sprache und Geſittung zu verbreiten wurden in
wenigen Jahren ſechs verſchiedene Vereine gegründet. Ein redefertiger
Bauer Laurids Skau leitete die Umtriebe, er reiſte raſtlos zwiſchen Flens-
burg und Kopenhagen hin und her, ward auch von dem Monarchen ſelbſt
gnädig empfangen; ſieben Kopenhagener Demagogen, die man in Schles-
wig das Siebengeſtirn nannte, ſtanden ihm treu zur Seite. Der Erfolg
blieb lange aus; die ſchwerfälligen, gutmüthigen Bauern Nordſchleswigs
hatten ja gar keinen Grund wider die Deutſchen zu klagen, und ihr
ſchwunghafter Viehhandel verband ſie mit Hamburg. Nach und nach
begann der Same des Unfriedens doch aufzuſprießen. In der äußerſten
Nordoſtecke Schleswigs, auf der Skamlingsbank, einer ſchönen Waldhöhe
am kleinen Belt, die von Jütland und den Inſeln zu Schiff leicht erreicht
werden konnte, pflegte Laurids Skau ſeine großen Volksfeſte abzuhalten;
und mancher harmloſe Bauersmann fühlte ſich bezaubert, wenn dort die
däniſchen Nationallieder erklangen oder der dreieinige Norden in feurigen
Reden verherrlicht oder ein großer däniſcher Patriot mit einem ſilbernen
Trinkhorn beſchenkt wurde. Die däniſche Partei unter dem nordſchles-
wigſchen Landvolke vermochte noch wenig, da dort alle Bildung deutſch
war, aber ſie wuchs langſam an.
Unmöglich konnten die Landtage von dieſer ſtürmiſchen nationalen
Bewegung unberührt bleiben; ſchon bisher hatten ſie, da ſie aus direkten
Wahlen hervorgingen, trotz ihrer beſchränkten Befugniſſe jeden Volks-
wunſch treulich ausgeſprochen. Wenn Preußen ſelbſt, das ſo viel feſter
ſtand, mit ſeinen Provinziallandtagen kaum noch auskam, wie heillos
mußte ſich vollends die Lage dieſes Miſchreichs geſtalten, ſeit ſeine bei-
den däniſchen Landtage gegen die beiden deutſchen ankämpften und der
Welt abermals bewieſen, daß in nationalen Streitigkeiten die Völker ſtets
unduldſamer ſind als die Cabinette. Die Jüten begannen den Angriff.
Als im Schleswiger Landtage (1842) ein däniſch geſinnter Abgeordneter,
der ſchon oft gut deutſch geſprochen hatte, plötzlich däniſch zu reden be-
gann und dafür zur Ordnung gerufen wurde, da legte der jütiſche
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/584>, abgerufen am 22.11.2024.
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