Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 7. Polen und Schleswigholstein. ziemlich aufrichtig reden, was ihm die Mitangeklagten sehr verargten. Derlangmüthige Gerichtshof erlaubte ihm sogar -- gegen das Gesetz -- fran- zösisch zu sprechen; denn dieser Führer der polnischen Nation war der polnischen Sprache wirklich nicht ganz mächtig und er berechnete schlau, daß eine französische Rede doch von einem Theile der beifallslustigen Zu- hörer verstanden würde, während ein polnischer Vortrag, satzweise ver- dolmetscht, Alle langweilen mußte. Die prachtvollen Schlagworte, die er nunmehr mit hochtheatralischen Armbewegungen in fließendem Französisch vorbrachte, waren freilich mehr für polnische Schlachtizen geeignet, als für überkluge Berliner, die das Alles schon aus den Zeitungen kannten. Da fehlte weder der verfluchte Mutterschooß, der der Unterdrückung ein Opfer gebar, noch der Rabe der Verleumdung auf dem polnischen Kreuze, noch die Nation, die ein ganzes Jahrhundert hindurch mit Galle und Essig getränkt am Kreuze schmachten mußte. Gegen Preußen hatte Mieros- lawski gar nichts Arges im Schilde geführt; die Einnahme der Festung Posen sollte ihm ja nur als Mittel dienen um das russische Polen zu erobern. Sehr rührsam führte er aus, welche schöne Rolle die Preußen spielen könnten, wenn sie sich entschlössen, zur Entschädigung für die ihnen zugefallenen polnischen Länder, die übrigen den Polen zurückzuerobern: "Preußens Zukunft muß sich befreunden mit der Auferstehung einer Macht, welche einzig im Stande ist das drohende Ungeheuer des Panslavismus aufzuhalten." So stimmte dieser Todfeind Preußens das Sirenenlied an, das seit- Mieroslawski's Schicksalsgenossen verscherzten sich das Mitleid, das V. 7. Polen und Schleswigholſtein. ziemlich aufrichtig reden, was ihm die Mitangeklagten ſehr verargten. Derlangmüthige Gerichtshof erlaubte ihm ſogar — gegen das Geſetz — fran- zöſiſch zu ſprechen; denn dieſer Führer der polniſchen Nation war der polniſchen Sprache wirklich nicht ganz mächtig und er berechnete ſchlau, daß eine franzöſiſche Rede doch von einem Theile der beifallsluſtigen Zu- hörer verſtanden würde, während ein polniſcher Vortrag, ſatzweiſe ver- dolmetſcht, Alle langweilen mußte. Die prachtvollen Schlagworte, die er nunmehr mit hochtheatraliſchen Armbewegungen in fließendem Franzöſiſch vorbrachte, waren freilich mehr für polniſche Schlachtizen geeignet, als für überkluge Berliner, die das Alles ſchon aus den Zeitungen kannten. Da fehlte weder der verfluchte Mutterſchooß, der der Unterdrückung ein Opfer gebar, noch der Rabe der Verleumdung auf dem polniſchen Kreuze, noch die Nation, die ein ganzes Jahrhundert hindurch mit Galle und Eſſig getränkt am Kreuze ſchmachten mußte. Gegen Preußen hatte Mieros- lawski gar nichts Arges im Schilde geführt; die Einnahme der Feſtung Poſen ſollte ihm ja nur als Mittel dienen um das ruſſiſche Polen zu erobern. Sehr rührſam führte er aus, welche ſchöne Rolle die Preußen ſpielen könnten, wenn ſie ſich entſchlöſſen, zur Entſchädigung für die ihnen zugefallenen polniſchen Länder, die übrigen den Polen zurückzuerobern: „Preußens Zukunft muß ſich befreunden mit der Auferſtehung einer Macht, welche einzig im Stande iſt das drohende Ungeheuer des Panſlavismus aufzuhalten.“ So ſtimmte dieſer Todfeind Preußens das Sirenenlied an, das ſeit- Mieroslawski’s Schickſalsgenoſſen verſcherzten ſich das Mitleid, das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0576" n="562"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 7. Polen und Schleswigholſtein.</fw><lb/> ziemlich aufrichtig reden, was ihm die Mitangeklagten ſehr verargten. 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V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
ziemlich aufrichtig reden, was ihm die Mitangeklagten ſehr verargten. Der
langmüthige Gerichtshof erlaubte ihm ſogar — gegen das Geſetz — fran-
zöſiſch zu ſprechen; denn dieſer Führer der polniſchen Nation war der
polniſchen Sprache wirklich nicht ganz mächtig und er berechnete ſchlau,
daß eine franzöſiſche Rede doch von einem Theile der beifallsluſtigen Zu-
hörer verſtanden würde, während ein polniſcher Vortrag, ſatzweiſe ver-
dolmetſcht, Alle langweilen mußte. Die prachtvollen Schlagworte, die er
nunmehr mit hochtheatraliſchen Armbewegungen in fließendem Franzöſiſch
vorbrachte, waren freilich mehr für polniſche Schlachtizen geeignet, als
für überkluge Berliner, die das Alles ſchon aus den Zeitungen kannten.
Da fehlte weder der verfluchte Mutterſchooß, der der Unterdrückung ein
Opfer gebar, noch der Rabe der Verleumdung auf dem polniſchen Kreuze,
noch die Nation, die ein ganzes Jahrhundert hindurch mit Galle und
Eſſig getränkt am Kreuze ſchmachten mußte. Gegen Preußen hatte Mieros-
lawski gar nichts Arges im Schilde geführt; die Einnahme der Feſtung
Poſen ſollte ihm ja nur als Mittel dienen um das ruſſiſche Polen zu
erobern. Sehr rührſam führte er aus, welche ſchöne Rolle die Preußen
ſpielen könnten, wenn ſie ſich entſchlöſſen, zur Entſchädigung für die ihnen
zugefallenen polniſchen Länder, die übrigen den Polen zurückzuerobern:
„Preußens Zukunft muß ſich befreunden mit der Auferſtehung einer Macht,
welche einzig im Stande iſt das drohende Ungeheuer des Panſlavismus
aufzuhalten.“
So ſtimmte dieſer Todfeind Preußens das Sirenenlied an, das ſeit-
dem bis zum heutigen Tage nach mannichfachen Weiſen den gutmüthigen
Deutſchen immer wieder vorgeſungen wurde. Zum Glück richtete der
Marquis Wielopolski eben jetzt an Metternich einen offenen Brief, der
das genaue Gegentheil ausſprach und, nach heftigen Anklagen gegen die
elende öſterreichiſche Regierung, zu dem Schluſſe gelangte: die Polen hätten
nur dann noch eine Zukunft, wenn ſie ſich der großen Familie des Pan-
ſlavismus anſchlöſſen, wenn ſie, ſtatt ihr Land durch eine thörichte Emi-
gration zu ſchwächen, friedlich arbeitend daheim blieben um ſich zur rechten
Zeit unter die Führung ihrer großmüthigſten Feinde, der Romanows,
unter das gemeinſame Banner des ſlaviſchen Volksthums zu ſtellen. Dieſer
offene Brief kam den demokratiſchen Poſener Schlachtizen ſehr ungelegen,
aber bei den Magnaten des ruſſiſchen Polens galt der reiche Marquis
weit mehr als Mieroslawski, und auch unter dem Warſchauer Kleinadel
beſaß der Panſlavismus viele Anhänger. Welchem der beiden polniſchen
Apoſtel ſollten die Deutſchen nun Glauben ſchenken? Gegen ſolche Nach-
barn war wachſame Strenge die einzig mögliche Politik.
Mieroslawski’s Schickſalsgenoſſen verſcherzten ſich das Mitleid, das
politiſchen Verbrechern immer entgegenkommt, ſelber durch würdeloſe Ver-
logenheit. Offenbar nach Verabredung leugneten ſie faſt Alles ab, und die
anfangs überfüllten Zuhörerbänke leerten ſich gegen das Ende der Verhand-
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