Aberdeen -- brauchen die Hellenen nicht, als eine Schutztruppe für den inneren Sicherheitsdienst; und noch deutlicher sagte nachher Palmerston: wir wollen diesem Volke seine byzantinischen Gelüste für immer austreiben!*) Die neue Verfassung, mitsammt dem Artikel über die orthodoxe Thron- folge blieb unverändert, stillschweigend anerkannt von den Schutzmächten. Also hatte Rußland die verschmähte Olga gerächt und sein Spiel mindestens halb gewonnen. Die Wittelsbacher waren zwar nicht entthront, doch Jeder- mann mußte voraussehen, daß König Otto besten Falls nur noch auf Lebenszeit regieren und sein Bruder Luitpold niemals die Krone der Hellenen tragen würde. Mit vollem Rechte lärmten daher die bairischen Zeitungen, am lautesten die ultramontanen, wider die Feindseligkeit der Moskowiter. Nesselrode zählte aber zu jenen ehrlichen Leuten, denen sich nichts beweisen läßt; er forderte Genugthuung, drohte mit Abbruch des diplomatischen Verkehrs. Endlich ließ sich der Münchener Hof zu einigen Entschuldigungen herbei und verbot seinen Zeitungen, auf Rußland zu schelten.**)
In Griechenland kämpften die Anhänger der drei Schutzmächte noch lange mit einander. Brassier de St. Simon wurde abberufen, weil die Uhr des Absolutismus abgelaufen war. England suchte seine Schuld- forderungen mit der äußersten Gehässigkeit, einmal sogar durch die Ab- sendung von Kriegsschiffen einzutreiben. Die Russen sahen diesen rohen Mahnungen mit stiller Schadenfreude zu; König Friedrich Wilhelm aber, der freilich nicht helfen konnte, beklagte bitterlich, wie die Mächte das unselige Land also durch die britische Habgier zu Grunde richten ließen.***) Zuletzt errang Kolettis, der Führer der französischen Partei einen vollständigen Sieg. Palmerston schäumte vor Zorn als er diesen Triumph Guizot's erfuhr. Er überhäufte die griechische wie die bairische Regierung mit groben Schmähungen und suchte auch Preußen gegen die beiden Wittels- bachischen Höfe aufzuregen. "Das Königreich Griechenland", schrieb er nach Berlin, "ist von den drei Mächten nicht geschaffen worden für die persön- lichen Vortheile und Vergnügungen eines bairischen Prinzen, sondern ein bairischer Prinz ist von den drei Mächten zum König von Griechenland er- wählt worden um die griechische Nation zu beglücken und ihr zu nützen"... Es wird noch dahin kommen, daß König Otto "durch unfähige, bestechliche und tyrannische Minister den Griechen ein System der Mißregierung und Unterdrückung auferlegt, das die Stellung eines Unterthanen des Königs von Griechenland weniger erträglich macht, als die Stellung eines Rajahs des Sultans."+) Canitz erwiderte trocken: "uns liegt nur an der Un- abhängigkeit Griechenlands, darum wollen wir seine Regierung nicht stören;
*) Bunsen's Berichte, 11. März 1845, 5. März 1847.
**) Gise an Viollier, 7. Dec. Weisung an Graf Bray in Petersburg, 7. Dec. 1843.
***) Canitz, Weisung an Rochow, 3. Sept. 1846.
+) Palmerston an Westmoreland, 18. Mai 1847.
Griechenland und die Wittelsbacher.
Aberdeen — brauchen die Hellenen nicht, als eine Schutztruppe für den inneren Sicherheitsdienſt; und noch deutlicher ſagte nachher Palmerſton: wir wollen dieſem Volke ſeine byzantiniſchen Gelüſte für immer austreiben!*) Die neue Verfaſſung, mitſammt dem Artikel über die orthodoxe Thron- folge blieb unverändert, ſtillſchweigend anerkannt von den Schutzmächten. Alſo hatte Rußland die verſchmähte Olga gerächt und ſein Spiel mindeſtens halb gewonnen. Die Wittelsbacher waren zwar nicht entthront, doch Jeder- mann mußte vorausſehen, daß König Otto beſten Falls nur noch auf Lebenszeit regieren und ſein Bruder Luitpold niemals die Krone der Hellenen tragen würde. Mit vollem Rechte lärmten daher die bairiſchen Zeitungen, am lauteſten die ultramontanen, wider die Feindſeligkeit der Moskowiter. Neſſelrode zählte aber zu jenen ehrlichen Leuten, denen ſich nichts beweiſen läßt; er forderte Genugthuung, drohte mit Abbruch des diplomatiſchen Verkehrs. Endlich ließ ſich der Münchener Hof zu einigen Entſchuldigungen herbei und verbot ſeinen Zeitungen, auf Rußland zu ſchelten.**)
In Griechenland kämpften die Anhänger der drei Schutzmächte noch lange mit einander. Braſſier de St. Simon wurde abberufen, weil die Uhr des Abſolutismus abgelaufen war. England ſuchte ſeine Schuld- forderungen mit der äußerſten Gehäſſigkeit, einmal ſogar durch die Ab- ſendung von Kriegsſchiffen einzutreiben. Die Ruſſen ſahen dieſen rohen Mahnungen mit ſtiller Schadenfreude zu; König Friedrich Wilhelm aber, der freilich nicht helfen konnte, beklagte bitterlich, wie die Mächte das unſelige Land alſo durch die britiſche Habgier zu Grunde richten ließen.***) Zuletzt errang Kolettis, der Führer der franzöſiſchen Partei einen vollſtändigen Sieg. Palmerſton ſchäumte vor Zorn als er dieſen Triumph Guizot’s erfuhr. Er überhäufte die griechiſche wie die bairiſche Regierung mit groben Schmähungen und ſuchte auch Preußen gegen die beiden Wittels- bachiſchen Höfe aufzuregen. „Das Königreich Griechenland“, ſchrieb er nach Berlin, „iſt von den drei Mächten nicht geſchaffen worden für die perſön- lichen Vortheile und Vergnügungen eines bairiſchen Prinzen, ſondern ein bairiſcher Prinz iſt von den drei Mächten zum König von Griechenland er- wählt worden um die griechiſche Nation zu beglücken und ihr zu nützen“… Es wird noch dahin kommen, daß König Otto „durch unfähige, beſtechliche und tyranniſche Miniſter den Griechen ein Syſtem der Mißregierung und Unterdrückung auferlegt, das die Stellung eines Unterthanen des Königs von Griechenland weniger erträglich macht, als die Stellung eines Rajahs des Sultans.“†) Canitz erwiderte trocken: „uns liegt nur an der Un- abhängigkeit Griechenlands, darum wollen wir ſeine Regierung nicht ſtören;
*) Bunſen’s Berichte, 11. März 1845, 5. März 1847.
**) Giſe an Viollier, 7. Dec. Weiſung an Graf Bray in Petersburg, 7. Dec. 1843.
***) Canitz, Weiſung an Rochow, 3. Sept. 1846.
†) Palmerſton an Weſtmoreland, 18. Mai 1847.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0549"n="535"/><fwplace="top"type="header">Griechenland und die Wittelsbacher.</fw><lb/>
Aberdeen — brauchen die Hellenen nicht, als eine Schutztruppe für den<lb/>
inneren Sicherheitsdienſt; und noch deutlicher ſagte nachher Palmerſton:<lb/>
wir wollen dieſem Volke ſeine byzantiniſchen Gelüſte für immer austreiben!<noteplace="foot"n="*)">Bunſen’s Berichte, 11. März 1845, 5. März 1847.</note><lb/>
Die neue Verfaſſung, mitſammt dem Artikel über die orthodoxe Thron-<lb/>
folge blieb unverändert, ſtillſchweigend anerkannt von den Schutzmächten.<lb/>
Alſo hatte Rußland die verſchmähte Olga gerächt und ſein Spiel mindeſtens<lb/>
halb gewonnen. Die Wittelsbacher waren zwar nicht entthront, doch Jeder-<lb/>
mann mußte vorausſehen, daß König Otto beſten Falls nur noch auf<lb/>
Lebenszeit regieren und ſein Bruder Luitpold niemals die Krone der<lb/>
Hellenen tragen würde. Mit vollem Rechte lärmten daher die bairiſchen<lb/>
Zeitungen, am lauteſten die ultramontanen, wider die Feindſeligkeit der<lb/>
Moskowiter. Neſſelrode zählte aber zu jenen ehrlichen Leuten, denen ſich<lb/>
nichts beweiſen läßt; er forderte Genugthuung, drohte mit Abbruch des<lb/>
diplomatiſchen Verkehrs. Endlich ließ ſich der Münchener Hof zu einigen<lb/>
Entſchuldigungen herbei und verbot ſeinen Zeitungen, auf Rußland zu<lb/>ſchelten.<noteplace="foot"n="**)">Giſe an Viollier, 7. Dec. Weiſung an Graf Bray in Petersburg, 7. Dec. 1843.</note></p><lb/><p>In Griechenland kämpften die Anhänger der drei Schutzmächte noch<lb/>
lange mit einander. Braſſier de St. Simon wurde abberufen, weil die<lb/>
Uhr des Abſolutismus abgelaufen war. England ſuchte ſeine Schuld-<lb/>
forderungen mit der äußerſten Gehäſſigkeit, einmal ſogar durch die Ab-<lb/>ſendung von Kriegsſchiffen einzutreiben. Die Ruſſen ſahen dieſen rohen<lb/>
Mahnungen mit ſtiller Schadenfreude zu; König Friedrich Wilhelm<lb/>
aber, der freilich nicht helfen konnte, beklagte bitterlich, wie die Mächte<lb/>
das unſelige Land alſo durch die britiſche Habgier zu Grunde richten<lb/>
ließen.<noteplace="foot"n="***)">Canitz, Weiſung an Rochow, 3. Sept. 1846.</note> Zuletzt errang Kolettis, der Führer der franzöſiſchen Partei einen<lb/>
vollſtändigen Sieg. Palmerſton ſchäumte vor Zorn als er dieſen Triumph<lb/>
Guizot’s erfuhr. Er überhäufte die griechiſche wie die bairiſche Regierung<lb/>
mit groben Schmähungen und ſuchte auch Preußen gegen die beiden Wittels-<lb/>
bachiſchen Höfe aufzuregen. „Das Königreich Griechenland“, ſchrieb er nach<lb/>
Berlin, „iſt von den drei Mächten nicht geſchaffen worden für die perſön-<lb/>
lichen Vortheile und Vergnügungen eines bairiſchen Prinzen, ſondern ein<lb/>
bairiſcher Prinz iſt von den drei Mächten zum König von Griechenland er-<lb/>
wählt worden um die griechiſche Nation zu beglücken und ihr zu nützen“…<lb/>
Es wird noch dahin kommen, daß König Otto „durch unfähige, beſtechliche<lb/>
und tyranniſche Miniſter den Griechen ein Syſtem der Mißregierung und<lb/>
Unterdrückung auferlegt, das die Stellung eines Unterthanen des Königs<lb/>
von Griechenland weniger erträglich macht, als die Stellung eines Rajahs<lb/>
des Sultans.“<noteplace="foot"n="†)">Palmerſton an Weſtmoreland, 18. Mai 1847.</note> Canitz erwiderte trocken: „uns liegt nur an der Un-<lb/>
abhängigkeit Griechenlands, darum wollen wir ſeine Regierung nicht ſtören;<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[535/0549]
Griechenland und die Wittelsbacher.
Aberdeen — brauchen die Hellenen nicht, als eine Schutztruppe für den
inneren Sicherheitsdienſt; und noch deutlicher ſagte nachher Palmerſton:
wir wollen dieſem Volke ſeine byzantiniſchen Gelüſte für immer austreiben! *)
Die neue Verfaſſung, mitſammt dem Artikel über die orthodoxe Thron-
folge blieb unverändert, ſtillſchweigend anerkannt von den Schutzmächten.
Alſo hatte Rußland die verſchmähte Olga gerächt und ſein Spiel mindeſtens
halb gewonnen. Die Wittelsbacher waren zwar nicht entthront, doch Jeder-
mann mußte vorausſehen, daß König Otto beſten Falls nur noch auf
Lebenszeit regieren und ſein Bruder Luitpold niemals die Krone der
Hellenen tragen würde. Mit vollem Rechte lärmten daher die bairiſchen
Zeitungen, am lauteſten die ultramontanen, wider die Feindſeligkeit der
Moskowiter. Neſſelrode zählte aber zu jenen ehrlichen Leuten, denen ſich
nichts beweiſen läßt; er forderte Genugthuung, drohte mit Abbruch des
diplomatiſchen Verkehrs. Endlich ließ ſich der Münchener Hof zu einigen
Entſchuldigungen herbei und verbot ſeinen Zeitungen, auf Rußland zu
ſchelten. **)
In Griechenland kämpften die Anhänger der drei Schutzmächte noch
lange mit einander. Braſſier de St. Simon wurde abberufen, weil die
Uhr des Abſolutismus abgelaufen war. England ſuchte ſeine Schuld-
forderungen mit der äußerſten Gehäſſigkeit, einmal ſogar durch die Ab-
ſendung von Kriegsſchiffen einzutreiben. Die Ruſſen ſahen dieſen rohen
Mahnungen mit ſtiller Schadenfreude zu; König Friedrich Wilhelm
aber, der freilich nicht helfen konnte, beklagte bitterlich, wie die Mächte
das unſelige Land alſo durch die britiſche Habgier zu Grunde richten
ließen. ***) Zuletzt errang Kolettis, der Führer der franzöſiſchen Partei einen
vollſtändigen Sieg. Palmerſton ſchäumte vor Zorn als er dieſen Triumph
Guizot’s erfuhr. Er überhäufte die griechiſche wie die bairiſche Regierung
mit groben Schmähungen und ſuchte auch Preußen gegen die beiden Wittels-
bachiſchen Höfe aufzuregen. „Das Königreich Griechenland“, ſchrieb er nach
Berlin, „iſt von den drei Mächten nicht geſchaffen worden für die perſön-
lichen Vortheile und Vergnügungen eines bairiſchen Prinzen, ſondern ein
bairiſcher Prinz iſt von den drei Mächten zum König von Griechenland er-
wählt worden um die griechiſche Nation zu beglücken und ihr zu nützen“…
Es wird noch dahin kommen, daß König Otto „durch unfähige, beſtechliche
und tyranniſche Miniſter den Griechen ein Syſtem der Mißregierung und
Unterdrückung auferlegt, das die Stellung eines Unterthanen des Königs
von Griechenland weniger erträglich macht, als die Stellung eines Rajahs
des Sultans.“ †) Canitz erwiderte trocken: „uns liegt nur an der Un-
abhängigkeit Griechenlands, darum wollen wir ſeine Regierung nicht ſtören;
*) Bunſen’s Berichte, 11. März 1845, 5. März 1847.
**) Giſe an Viollier, 7. Dec. Weiſung an Graf Bray in Petersburg, 7. Dec. 1843.
***) Canitz, Weiſung an Rochow, 3. Sept. 1846.
†) Palmerſton an Weſtmoreland, 18. Mai 1847.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/549>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.