Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite
Revolution in Athen.

So ging eine köstliche Zeit verloren, die Gesandten der drei Schutz-
mächte hetzten und wühlten ungestört. Am 15. Sept. 1843 brach endlich
eine Soldatenmeuterei aus. Oberst Kalergis, ein erklärter Anhänger der
russischen Partei, führte seine Truppen gegen das Schloß, und der er-
schreckte König ließ sich das Versprechen einer Verfassung abtrotzen. Als-
bald ward die Verheißung vom Altane des Palastes herab verkündigt,
unter donnernden Zitorufen, in Gegenwart der fremden Gesandten. Be-
amte und Heer beschworen im Voraus das Syntagma, dann trat eine
Nationalversammlung zusammen um die beschworene Verfassung nach-
träglich zu schaffen. Gewiß stand Katakazi hinter der Verschwörung, auch
Lyons und Piscatori hatten nachgeholfen; und ebenso gewiß wollten die
Empörer den katholischen König entthronen, eine Absicht, die nur durch die
rasche Zusage der Verfassung vereitelt wurde. Da der Aufruhr mithin seinen
eigentlichen Zweck verfehlt hatte, und der Czar vor der Welt doch un-
möglich als Beschützer einer Constitution erscheinen durfte, so wurde Kata-
kazi unter lauten Kundgebungen des kaiserlichen Zornes abberufen, nach-
her aber in Rußland ganz unbehelligt gelassen. Der Petersburger Hof
gab sich fortan den Anschein, als ob er mit diesen verworfenen Hellenen
nichts mehr zu thun haben wollte; er ließ sich in Athen nur noch durch
einen Residenten vertreten, und Nesselrode sagte sardonisch lächelnd: die
griechische Verfassung wird ganz abscheulich, aber eine, die norwegische, ist
doch noch schlechter.*) Inzwischen brachen über das unselige Land alle
Plagen der parlamentarischen Corruption herein. Die natürliche Bered-
samkeit der Hellenen entlud sich in endlosen Wortkämpfen; eine Schaar
von Palikaren mußte das Haus der Nationalversammlung bewachen, um
die Masse der Gunstjäger und Stellensucher, die sich schreiend und mark-
tend an die Volksvertreter herandrängten, in Ordnung zu halten.

Wie zu erwarten stand, gerieth das neue Syntagma ganz nach dem
Sinne des unerfahrenen Radicalismus, nach der doktrinären Pariser
Schablone. Der russische Ursprung dieser unsauberen Revolution verrieth
sich jedoch sehr deutlich in dem einstimmig angenommenen Artikel, der von
den künftigen Königen das griechische Glaubensbekenntniß verlangte. Aller-
dings konnte hier in den Heimathlanden des Cäsaropapismus nur ein
orthodoxer König als ein wahrhaft nationaler Fürst gelten; dem Hause
Wittelsbach war aber das Thronfolgerecht schon ohne confessionelle Be-
schränkungen übertragen, durch die Verträge der Schutzmächte und durch
die Zustimmung des hellenischen Volks. Wie durfte man solche Verträge
jetzt einseitig ändern? König Otto's Ehe blieb kinderlos; der ersehnte
Konstantinos kam nie zur Welt. Prinz Luitpold, der nächstberechtigte
Bruder, erklärte als treuer Katholik entschieden, daß er weder selbst über-
treten, noch seinen Söhnen einen Glaubenswechsel gestatten würde**);

*) Liebermann's Bericht, 16. April 1844.
**) Küster's Bericht, München, 30. März 1844.
Revolution in Athen.

So ging eine köſtliche Zeit verloren, die Geſandten der drei Schutz-
mächte hetzten und wühlten ungeſtört. Am 15. Sept. 1843 brach endlich
eine Soldatenmeuterei aus. Oberſt Kalergis, ein erklärter Anhänger der
ruſſiſchen Partei, führte ſeine Truppen gegen das Schloß, und der er-
ſchreckte König ließ ſich das Verſprechen einer Verfaſſung abtrotzen. Als-
bald ward die Verheißung vom Altane des Palaſtes herab verkündigt,
unter donnernden Zitorufen, in Gegenwart der fremden Geſandten. Be-
amte und Heer beſchworen im Voraus das Syntagma, dann trat eine
Nationalverſammlung zuſammen um die beſchworene Verfaſſung nach-
träglich zu ſchaffen. Gewiß ſtand Katakazi hinter der Verſchwörung, auch
Lyons und Piscatori hatten nachgeholfen; und ebenſo gewiß wollten die
Empörer den katholiſchen König entthronen, eine Abſicht, die nur durch die
raſche Zuſage der Verfaſſung vereitelt wurde. Da der Aufruhr mithin ſeinen
eigentlichen Zweck verfehlt hatte, und der Czar vor der Welt doch un-
möglich als Beſchützer einer Conſtitution erſcheinen durfte, ſo wurde Kata-
kazi unter lauten Kundgebungen des kaiſerlichen Zornes abberufen, nach-
her aber in Rußland ganz unbehelligt gelaſſen. Der Petersburger Hof
gab ſich fortan den Anſchein, als ob er mit dieſen verworfenen Hellenen
nichts mehr zu thun haben wollte; er ließ ſich in Athen nur noch durch
einen Reſidenten vertreten, und Neſſelrode ſagte ſardoniſch lächelnd: die
griechiſche Verfaſſung wird ganz abſcheulich, aber eine, die norwegiſche, iſt
doch noch ſchlechter.*) Inzwiſchen brachen über das unſelige Land alle
Plagen der parlamentariſchen Corruption herein. Die natürliche Bered-
ſamkeit der Hellenen entlud ſich in endloſen Wortkämpfen; eine Schaar
von Palikaren mußte das Haus der Nationalverſammlung bewachen, um
die Maſſe der Gunſtjäger und Stellenſucher, die ſich ſchreiend und mark-
tend an die Volksvertreter herandrängten, in Ordnung zu halten.

Wie zu erwarten ſtand, gerieth das neue Syntagma ganz nach dem
Sinne des unerfahrenen Radicalismus, nach der doktrinären Pariſer
Schablone. Der ruſſiſche Urſprung dieſer unſauberen Revolution verrieth
ſich jedoch ſehr deutlich in dem einſtimmig angenommenen Artikel, der von
den künftigen Königen das griechiſche Glaubensbekenntniß verlangte. Aller-
dings konnte hier in den Heimathlanden des Cäſaropapismus nur ein
orthodoxer König als ein wahrhaft nationaler Fürſt gelten; dem Hauſe
Wittelsbach war aber das Thronfolgerecht ſchon ohne confeſſionelle Be-
ſchränkungen übertragen, durch die Verträge der Schutzmächte und durch
die Zuſtimmung des helleniſchen Volks. Wie durfte man ſolche Verträge
jetzt einſeitig ändern? König Otto’s Ehe blieb kinderlos; der erſehnte
Konſtantinos kam nie zur Welt. Prinz Luitpold, der nächſtberechtigte
Bruder, erklärte als treuer Katholik entſchieden, daß er weder ſelbſt über-
treten, noch ſeinen Söhnen einen Glaubenswechſel geſtatten würde**);

*) Liebermann’s Bericht, 16. April 1844.
**) Küſter’s Bericht, München, 30. März 1844.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0547" n="533"/>
          <fw place="top" type="header">Revolution in Athen.</fw><lb/>
          <p>So ging eine kö&#x017F;tliche Zeit verloren, die Ge&#x017F;andten der drei Schutz-<lb/>
mächte hetzten und wühlten unge&#x017F;tört. Am 15. Sept. 1843 brach endlich<lb/>
eine Soldatenmeuterei aus. Ober&#x017F;t Kalergis, ein erklärter Anhänger der<lb/>
ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Partei, führte &#x017F;eine Truppen gegen das Schloß, und der er-<lb/>
&#x017F;chreckte König ließ &#x017F;ich das Ver&#x017F;prechen einer Verfa&#x017F;&#x017F;ung abtrotzen. Als-<lb/>
bald ward die Verheißung vom Altane des Pala&#x017F;tes herab verkündigt,<lb/>
unter donnernden Zitorufen, in Gegenwart der fremden Ge&#x017F;andten. Be-<lb/>
amte und Heer be&#x017F;chworen im Voraus das Syntagma, dann trat eine<lb/>
Nationalver&#x017F;ammlung zu&#x017F;ammen um die be&#x017F;chworene Verfa&#x017F;&#x017F;ung nach-<lb/>
träglich zu &#x017F;chaffen. Gewiß &#x017F;tand Katakazi hinter der Ver&#x017F;chwörung, auch<lb/>
Lyons und Piscatori hatten nachgeholfen; und eben&#x017F;o gewiß wollten die<lb/>
Empörer den katholi&#x017F;chen König entthronen, eine Ab&#x017F;icht, die nur durch die<lb/>
ra&#x017F;che Zu&#x017F;age der Verfa&#x017F;&#x017F;ung vereitelt wurde. Da der Aufruhr mithin &#x017F;einen<lb/>
eigentlichen Zweck verfehlt hatte, und der Czar vor der Welt doch un-<lb/>
möglich als Be&#x017F;chützer einer Con&#x017F;titution er&#x017F;cheinen durfte, &#x017F;o wurde Kata-<lb/>
kazi unter lauten Kundgebungen des kai&#x017F;erlichen Zornes abberufen, nach-<lb/>
her aber in Rußland ganz unbehelligt gela&#x017F;&#x017F;en. Der Petersburger Hof<lb/>
gab &#x017F;ich fortan den An&#x017F;chein, als ob er mit die&#x017F;en verworfenen Hellenen<lb/>
nichts mehr zu thun haben wollte; er ließ &#x017F;ich in Athen nur noch durch<lb/>
einen Re&#x017F;identen vertreten, und Ne&#x017F;&#x017F;elrode &#x017F;agte &#x017F;ardoni&#x017F;ch lächelnd: die<lb/>
griechi&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung wird ganz ab&#x017F;cheulich, aber eine, die norwegi&#x017F;che, i&#x017F;t<lb/>
doch noch &#x017F;chlechter.<note place="foot" n="*)">Liebermann&#x2019;s Bericht, 16. April 1844.</note> Inzwi&#x017F;chen brachen über das un&#x017F;elige Land alle<lb/>
Plagen der parlamentari&#x017F;chen Corruption herein. Die natürliche Bered-<lb/>
&#x017F;amkeit der Hellenen entlud &#x017F;ich in endlo&#x017F;en Wortkämpfen; eine Schaar<lb/>
von Palikaren mußte das Haus der Nationalver&#x017F;ammlung bewachen, um<lb/>
die Ma&#x017F;&#x017F;e der Gun&#x017F;tjäger und Stellen&#x017F;ucher, die &#x017F;ich &#x017F;chreiend und mark-<lb/>
tend an die Volksvertreter herandrängten, in Ordnung zu halten.</p><lb/>
          <p>Wie zu erwarten &#x017F;tand, gerieth das neue Syntagma ganz nach dem<lb/>
Sinne des unerfahrenen Radicalismus, nach der doktrinären Pari&#x017F;er<lb/>
Schablone. Der ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Ur&#x017F;prung die&#x017F;er un&#x017F;auberen Revolution verrieth<lb/>
&#x017F;ich jedoch &#x017F;ehr deutlich in dem ein&#x017F;timmig angenommenen Artikel, der von<lb/>
den künftigen Königen das griechi&#x017F;che Glaubensbekenntniß verlangte. Aller-<lb/>
dings konnte hier in den Heimathlanden des Cä&#x017F;aropapismus nur ein<lb/>
orthodoxer König als ein wahrhaft nationaler Für&#x017F;t gelten; dem Hau&#x017F;e<lb/>
Wittelsbach war aber das Thronfolgerecht &#x017F;chon ohne confe&#x017F;&#x017F;ionelle Be-<lb/>
&#x017F;chränkungen übertragen, durch die Verträge der Schutzmächte und durch<lb/>
die Zu&#x017F;timmung des helleni&#x017F;chen Volks. Wie durfte man &#x017F;olche Verträge<lb/>
jetzt ein&#x017F;eitig ändern? König Otto&#x2019;s Ehe blieb kinderlos; der er&#x017F;ehnte<lb/>
Kon&#x017F;tantinos kam nie zur Welt. Prinz Luitpold, der näch&#x017F;tberechtigte<lb/>
Bruder, erklärte als treuer Katholik ent&#x017F;chieden, daß er weder &#x017F;elb&#x017F;t über-<lb/>
treten, noch &#x017F;einen Söhnen einen Glaubenswech&#x017F;el ge&#x017F;tatten würde<note place="foot" n="**)">&#x017F;ter&#x2019;s Bericht, München, 30. März 1844.</note>;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[533/0547] Revolution in Athen. So ging eine köſtliche Zeit verloren, die Geſandten der drei Schutz- mächte hetzten und wühlten ungeſtört. Am 15. Sept. 1843 brach endlich eine Soldatenmeuterei aus. Oberſt Kalergis, ein erklärter Anhänger der ruſſiſchen Partei, führte ſeine Truppen gegen das Schloß, und der er- ſchreckte König ließ ſich das Verſprechen einer Verfaſſung abtrotzen. Als- bald ward die Verheißung vom Altane des Palaſtes herab verkündigt, unter donnernden Zitorufen, in Gegenwart der fremden Geſandten. Be- amte und Heer beſchworen im Voraus das Syntagma, dann trat eine Nationalverſammlung zuſammen um die beſchworene Verfaſſung nach- träglich zu ſchaffen. Gewiß ſtand Katakazi hinter der Verſchwörung, auch Lyons und Piscatori hatten nachgeholfen; und ebenſo gewiß wollten die Empörer den katholiſchen König entthronen, eine Abſicht, die nur durch die raſche Zuſage der Verfaſſung vereitelt wurde. Da der Aufruhr mithin ſeinen eigentlichen Zweck verfehlt hatte, und der Czar vor der Welt doch un- möglich als Beſchützer einer Conſtitution erſcheinen durfte, ſo wurde Kata- kazi unter lauten Kundgebungen des kaiſerlichen Zornes abberufen, nach- her aber in Rußland ganz unbehelligt gelaſſen. Der Petersburger Hof gab ſich fortan den Anſchein, als ob er mit dieſen verworfenen Hellenen nichts mehr zu thun haben wollte; er ließ ſich in Athen nur noch durch einen Reſidenten vertreten, und Neſſelrode ſagte ſardoniſch lächelnd: die griechiſche Verfaſſung wird ganz abſcheulich, aber eine, die norwegiſche, iſt doch noch ſchlechter. *) Inzwiſchen brachen über das unſelige Land alle Plagen der parlamentariſchen Corruption herein. Die natürliche Bered- ſamkeit der Hellenen entlud ſich in endloſen Wortkämpfen; eine Schaar von Palikaren mußte das Haus der Nationalverſammlung bewachen, um die Maſſe der Gunſtjäger und Stellenſucher, die ſich ſchreiend und mark- tend an die Volksvertreter herandrängten, in Ordnung zu halten. Wie zu erwarten ſtand, gerieth das neue Syntagma ganz nach dem Sinne des unerfahrenen Radicalismus, nach der doktrinären Pariſer Schablone. Der ruſſiſche Urſprung dieſer unſauberen Revolution verrieth ſich jedoch ſehr deutlich in dem einſtimmig angenommenen Artikel, der von den künftigen Königen das griechiſche Glaubensbekenntniß verlangte. Aller- dings konnte hier in den Heimathlanden des Cäſaropapismus nur ein orthodoxer König als ein wahrhaft nationaler Fürſt gelten; dem Hauſe Wittelsbach war aber das Thronfolgerecht ſchon ohne confeſſionelle Be- ſchränkungen übertragen, durch die Verträge der Schutzmächte und durch die Zuſtimmung des helleniſchen Volks. Wie durfte man ſolche Verträge jetzt einſeitig ändern? König Otto’s Ehe blieb kinderlos; der erſehnte Konſtantinos kam nie zur Welt. Prinz Luitpold, der nächſtberechtigte Bruder, erklärte als treuer Katholik entſchieden, daß er weder ſelbſt über- treten, noch ſeinen Söhnen einen Glaubenswechſel geſtatten würde **); *) Liebermann’s Bericht, 16. April 1844. **) Küſter’s Bericht, München, 30. März 1844.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/547
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/547>, abgerufen am 18.05.2024.