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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Die schlesischen Weber.

Im schlesischen Gebirge wagten die verzweifelten Weber offenen Auf-
ruhr. Die Gewerbefreiheit hatte dies zunftfreie Gewerbe zwar nicht
unmittelbar geschädigt, wohl aber mittelbar; denn die Zahl der freien
Hausweber war seit den neuen Reformgesetzen stark angewachsen, des-
gleichen die Zahl der Kaufleute und Fabrikanten, und der scharfe Con-
currenzkampf verführte die Unternehmer zu einer grausamen Hartherzig-
keit, die unter einem so gutmüthigen Menschenschlage teuflisch schien.
Ungeheuer war die Macht der Trägheit in diesem entkräfteten, hoffnungs-
losen Völkchen; die Weber widersetzten sich oft der Einführung verbesserter
Arbeitsmethoden, sie entschlossen sich schwer zu anderen, lohnenden Be-
schäftigungen überzugehen, sie trieben in den Rüben- und Kartoffelfeldern
der benachbarten Grundherren unglaubliche Dieberei, und aus ihren
überschuldeten Häuschen mochten sie nicht heraus, auch wenn sie anders-
wo besser und billiger wohnen konnten. Die habgierigen Kaufleute aber
wollten ihre Waaren lieber zu Spottpreisen von halbverhungerten Haus-
arbeitern beziehen als aus wohlgeordneten Fabriken. Dem Könige zitterte
das Herz, als er bei seinen Besuchen in Erdmannsdorf etwas -- leider
nur zu wenig -- von diesem Elend kennen lernte; er ließ dort und in
einigen anderen Orten des Gebirges durch die Seehandlung große Spinne-
reien errichten, bei denen mancher Unglückliche unterkam. In Bres-
lau bildeten die Grafen Dyhrn, York, Zieten und der Dichter Gustav
Freytag einen Hilfsverein, der sich bald in zahlreichen Ortsvereinen über
die Provinz verzweigte. Das Alles vermochte nichts gegen den gräß-
lichen Jammer. Oberpräsident Merckel aber und seine Regierungsräthe
wollten das Dasein eines Nothstandes gar nicht eingestehen; sie glaubten
felsenfest an die Heilkraft der volkswirthschaftlichen Naturgesetze, die durch
Angebot und Nachfrage alles Leid von selber aufheben müßten, und wit-
terten sogar in dem Breslauer Hilfsvereine gemeinschädliche Absichten. Ihr
Mißtrauen ward erst beschwichtigt als der Verein vorsorglich militärische
Hilfe anrief und den commandirenden General, den wackeren Grafen
Brandenburg in seinen Vorstand erwählte. Erstaunlich doch, wie diese
alten in der Schule des Allgemeinen Landrechts aufgewachsenen Beamten
so ganz vergaßen, daß der fridericianische Staat auf einer monarchischen
Organisation der Arbeit beruht hatte und das Landrecht selbst ein Recht
auf Arbeit ausdrücklich anerkannte.

Im Frühling 1844 hörte man in den großen Weberdörfern des Ge-
birges überall ein neues Volkslied, das Blutgericht singen:

Ihr Schurken all, ihr Satansbrut,
Ihr höllischen Dämone,
Ihr freßt den Armen Hab und Gut,
Und Fluch wird Euch zum Lohne!

An einem Junitage wurde das Haus der Firma Zwanziger in Peters-
waldau von den Webern zerstört, und noch zwei Tage lang hauste das

Die ſchleſiſchen Weber.

Im ſchleſiſchen Gebirge wagten die verzweifelten Weber offenen Auf-
ruhr. Die Gewerbefreiheit hatte dies zunftfreie Gewerbe zwar nicht
unmittelbar geſchädigt, wohl aber mittelbar; denn die Zahl der freien
Hausweber war ſeit den neuen Reformgeſetzen ſtark angewachſen, des-
gleichen die Zahl der Kaufleute und Fabrikanten, und der ſcharfe Con-
currenzkampf verführte die Unternehmer zu einer grauſamen Hartherzig-
keit, die unter einem ſo gutmüthigen Menſchenſchlage teufliſch ſchien.
Ungeheuer war die Macht der Trägheit in dieſem entkräfteten, hoffnungs-
loſen Völkchen; die Weber widerſetzten ſich oft der Einführung verbeſſerter
Arbeitsmethoden, ſie entſchloſſen ſich ſchwer zu anderen, lohnenden Be-
ſchäftigungen überzugehen, ſie trieben in den Rüben- und Kartoffelfeldern
der benachbarten Grundherren unglaubliche Dieberei, und aus ihren
überſchuldeten Häuschen mochten ſie nicht heraus, auch wenn ſie anders-
wo beſſer und billiger wohnen konnten. Die habgierigen Kaufleute aber
wollten ihre Waaren lieber zu Spottpreiſen von halbverhungerten Haus-
arbeitern beziehen als aus wohlgeordneten Fabriken. Dem Könige zitterte
das Herz, als er bei ſeinen Beſuchen in Erdmannsdorf etwas — leider
nur zu wenig — von dieſem Elend kennen lernte; er ließ dort und in
einigen anderen Orten des Gebirges durch die Seehandlung große Spinne-
reien errichten, bei denen mancher Unglückliche unterkam. In Bres-
lau bildeten die Grafen Dyhrn, York, Zieten und der Dichter Guſtav
Freytag einen Hilfsverein, der ſich bald in zahlreichen Ortsvereinen über
die Provinz verzweigte. Das Alles vermochte nichts gegen den gräß-
lichen Jammer. Oberpräſident Merckel aber und ſeine Regierungsräthe
wollten das Daſein eines Nothſtandes gar nicht eingeſtehen; ſie glaubten
felſenfeſt an die Heilkraft der volkswirthſchaftlichen Naturgeſetze, die durch
Angebot und Nachfrage alles Leid von ſelber aufheben müßten, und wit-
terten ſogar in dem Breslauer Hilfsvereine gemeinſchädliche Abſichten. Ihr
Mißtrauen ward erſt beſchwichtigt als der Verein vorſorglich militäriſche
Hilfe anrief und den commandirenden General, den wackeren Grafen
Brandenburg in ſeinen Vorſtand erwählte. Erſtaunlich doch, wie dieſe
alten in der Schule des Allgemeinen Landrechts aufgewachſenen Beamten
ſo ganz vergaßen, daß der fridericianiſche Staat auf einer monarchiſchen
Organiſation der Arbeit beruht hatte und das Landrecht ſelbſt ein Recht
auf Arbeit ausdrücklich anerkannte.

Im Frühling 1844 hörte man in den großen Weberdörfern des Ge-
birges überall ein neues Volkslied, das Blutgericht ſingen:

Ihr Schurken all, ihr Satansbrut,
Ihr hölliſchen Dämone,
Ihr freßt den Armen Hab und Gut,
Und Fluch wird Euch zum Lohne!

An einem Junitage wurde das Haus der Firma Zwanziger in Peters-
waldau von den Webern zerſtört, und noch zwei Tage lang hauſte das

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[519/0533] Die ſchleſiſchen Weber. Im ſchleſiſchen Gebirge wagten die verzweifelten Weber offenen Auf- ruhr. Die Gewerbefreiheit hatte dies zunftfreie Gewerbe zwar nicht unmittelbar geſchädigt, wohl aber mittelbar; denn die Zahl der freien Hausweber war ſeit den neuen Reformgeſetzen ſtark angewachſen, des- gleichen die Zahl der Kaufleute und Fabrikanten, und der ſcharfe Con- currenzkampf verführte die Unternehmer zu einer grauſamen Hartherzig- keit, die unter einem ſo gutmüthigen Menſchenſchlage teufliſch ſchien. Ungeheuer war die Macht der Trägheit in dieſem entkräfteten, hoffnungs- loſen Völkchen; die Weber widerſetzten ſich oft der Einführung verbeſſerter Arbeitsmethoden, ſie entſchloſſen ſich ſchwer zu anderen, lohnenden Be- ſchäftigungen überzugehen, ſie trieben in den Rüben- und Kartoffelfeldern der benachbarten Grundherren unglaubliche Dieberei, und aus ihren überſchuldeten Häuschen mochten ſie nicht heraus, auch wenn ſie anders- wo beſſer und billiger wohnen konnten. Die habgierigen Kaufleute aber wollten ihre Waaren lieber zu Spottpreiſen von halbverhungerten Haus- arbeitern beziehen als aus wohlgeordneten Fabriken. Dem Könige zitterte das Herz, als er bei ſeinen Beſuchen in Erdmannsdorf etwas — leider nur zu wenig — von dieſem Elend kennen lernte; er ließ dort und in einigen anderen Orten des Gebirges durch die Seehandlung große Spinne- reien errichten, bei denen mancher Unglückliche unterkam. In Bres- lau bildeten die Grafen Dyhrn, York, Zieten und der Dichter Guſtav Freytag einen Hilfsverein, der ſich bald in zahlreichen Ortsvereinen über die Provinz verzweigte. Das Alles vermochte nichts gegen den gräß- lichen Jammer. Oberpräſident Merckel aber und ſeine Regierungsräthe wollten das Daſein eines Nothſtandes gar nicht eingeſtehen; ſie glaubten felſenfeſt an die Heilkraft der volkswirthſchaftlichen Naturgeſetze, die durch Angebot und Nachfrage alles Leid von ſelber aufheben müßten, und wit- terten ſogar in dem Breslauer Hilfsvereine gemeinſchädliche Abſichten. Ihr Mißtrauen ward erſt beſchwichtigt als der Verein vorſorglich militäriſche Hilfe anrief und den commandirenden General, den wackeren Grafen Brandenburg in ſeinen Vorſtand erwählte. Erſtaunlich doch, wie dieſe alten in der Schule des Allgemeinen Landrechts aufgewachſenen Beamten ſo ganz vergaßen, daß der fridericianiſche Staat auf einer monarchiſchen Organiſation der Arbeit beruht hatte und das Landrecht ſelbſt ein Recht auf Arbeit ausdrücklich anerkannte. Im Frühling 1844 hörte man in den großen Weberdörfern des Ge- birges überall ein neues Volkslied, das Blutgericht ſingen: Ihr Schurken all, ihr Satansbrut, Ihr hölliſchen Dämone, Ihr freßt den Armen Hab und Gut, Und Fluch wird Euch zum Lohne! An einem Junitage wurde das Haus der Firma Zwanziger in Peters- waldau von den Webern zerſtört, und noch zwei Tage lang hauſte das

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/533>, abgerufen am 24.05.2024.