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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Engels. Marx. Heß.
so weit, daß er Religion, Staat, Recht, jede göttliche und menschliche Ord-
nung verwarf. Zu Anfang 1848 entwarfen die beiden Freunde gemein-
sam das Manifest der communistischen Partei, das den Umsturz der Ge-
sellschaft, Enteignung der Grundeigenthümer, Abschaffung des Erbrechts
forderte und rundweg aussprach: wir unterstützen jede revolutionäre Be-
wegung! Das Kernwort lautete: "Proletarier aller Länder, vereinigt
Euch!" Das Programm des internationalen Umsturzes war aufgestellt,
und seine Urheber waren zwei vaterlandslose Deutsche.

Die deutsche gelehrte Welt wurde auf diese Bewegung zuerst aufmerk-
sam, als der Schleswigholsteiner Lorenz Stein (1842) sein gedankenreiches
historisch-kritisches Werk über den Socialismus und Communismus er-
scheinen ließ. Der große Haufe der Leserwelt wußte freilich mit dem schwer-
fälligen, scholastisch gehaltenen Buche nichts anzufangen. Er verlangte nach
leichterer Kost und er fand sie in dem Gesellschaftsspiegel, den der aus Paris
entwichene rheinische Jude Moses Heß eine Zeit lang in dem frommen
Wupperthale erscheinen ließ. Dies "Organ für Vertretung der besitzlosen
Volksclassen" fand "die einzige Ursache unserer gesammten Leiden in der
freien Concurrenz" und brachte neben thörichten radicalen Brandreden auch
manche nur allzu wahre Schilderung aus dem Fabrikleben der westlichen
Provinzen. Aehnlich redete O. Lüning in seinem Westphälischen Dampfboot
und Karl Grün, der aus Baden Vertriebene, in der Trierschen Zeitung.
Ueberall in den Heimathlanden von Marx und Engels wurden die Ge-
danken der socialen Revolution umhergetragen; in Köln besaß die Partei
allem Anschein nach eine geheime Presse. Die Censoren aber erwiesen den
Organen des westdeutschen Socialismus mehr Nachsicht als den Blättern
der politischen Opposition; sie ahnten nicht was der kleine Mann bei den
leicht verhüllten Anpreisungen der Gütergemeinschaft empfand.

Selbst in dem reichen rheinischen Bürgerthum, das im Volke noch
immer der kölnische Klüngel hieß, bekundete sich zuweilen eine schwächliche,
freilich nur theoretische Vorliebe für den socialen Radicalismus. Als in Köln
ein Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen, nach dem Muster Berlins,
gebildet werden sollte, da erklärte Assessor Jung, der Mitarbeiter der unter-
gegangenen Rheinischen Zeitung: dieser Name ist beleidigend, denn wir
Alle sind Arbeiter -- eine Behauptung, die aus dem Munde des ver-
wöhnten Lebemanns allerdings seltsam klang. Er verlangte den Namen:
Allgemeiner Hilfs- und Bildungsverein; bei der Verhandlung darüber
wurden die Schlagwörter der communistischen Zeitschriften so häufig wieder-
holt, daß Ludolf Camphausen und einige andere gemäßigte Liberale sofort
zurücktraten. In Berlin, in Hamburg, Kiel, Magdeburg entstanden Ar-
beitervereine, in denen das Selbstgefühl des jungen vierten Standes kräftig
redete; daneben wirkten überall in den größeren Städten tiefgeheime Ver-
eine, wo man communistische Schriften vorlas, überall kleine Meister
und Gesellen, die sich den Vertrauten als Sendboten der Pariser Marianne

Engels. Marx. Heß.
ſo weit, daß er Religion, Staat, Recht, jede göttliche und menſchliche Ord-
nung verwarf. Zu Anfang 1848 entwarfen die beiden Freunde gemein-
ſam das Manifeſt der communiſtiſchen Partei, das den Umſturz der Ge-
ſellſchaft, Enteignung der Grundeigenthümer, Abſchaffung des Erbrechts
forderte und rundweg ausſprach: wir unterſtützen jede revolutionäre Be-
wegung! Das Kernwort lautete: „Proletarier aller Länder, vereinigt
Euch!“ Das Programm des internationalen Umſturzes war aufgeſtellt,
und ſeine Urheber waren zwei vaterlandsloſe Deutſche.

Die deutſche gelehrte Welt wurde auf dieſe Bewegung zuerſt aufmerk-
ſam, als der Schleswigholſteiner Lorenz Stein (1842) ſein gedankenreiches
hiſtoriſch-kritiſches Werk über den Socialismus und Communismus er-
ſcheinen ließ. Der große Haufe der Leſerwelt wußte freilich mit dem ſchwer-
fälligen, ſcholaſtiſch gehaltenen Buche nichts anzufangen. Er verlangte nach
leichterer Koſt und er fand ſie in dem Geſellſchaftsſpiegel, den der aus Paris
entwichene rheiniſche Jude Moſes Heß eine Zeit lang in dem frommen
Wupperthale erſcheinen ließ. Dies „Organ für Vertretung der beſitzloſen
Volksclaſſen“ fand „die einzige Urſache unſerer geſammten Leiden in der
freien Concurrenz“ und brachte neben thörichten radicalen Brandreden auch
manche nur allzu wahre Schilderung aus dem Fabrikleben der weſtlichen
Provinzen. Aehnlich redete O. Lüning in ſeinem Weſtphäliſchen Dampfboot
und Karl Grün, der aus Baden Vertriebene, in der Trierſchen Zeitung.
Ueberall in den Heimathlanden von Marx und Engels wurden die Ge-
danken der ſocialen Revolution umhergetragen; in Köln beſaß die Partei
allem Anſchein nach eine geheime Preſſe. Die Cenſoren aber erwieſen den
Organen des weſtdeutſchen Socialismus mehr Nachſicht als den Blättern
der politiſchen Oppoſition; ſie ahnten nicht was der kleine Mann bei den
leicht verhüllten Anpreiſungen der Gütergemeinſchaft empfand.

Selbſt in dem reichen rheiniſchen Bürgerthum, das im Volke noch
immer der kölniſche Klüngel hieß, bekundete ſich zuweilen eine ſchwächliche,
freilich nur theoretiſche Vorliebe für den ſocialen Radicalismus. Als in Köln
ein Verein für das Wohl der arbeitenden Klaſſen, nach dem Muſter Berlins,
gebildet werden ſollte, da erklärte Aſſeſſor Jung, der Mitarbeiter der unter-
gegangenen Rheiniſchen Zeitung: dieſer Name iſt beleidigend, denn wir
Alle ſind Arbeiter — eine Behauptung, die aus dem Munde des ver-
wöhnten Lebemanns allerdings ſeltſam klang. Er verlangte den Namen:
Allgemeiner Hilfs- und Bildungsverein; bei der Verhandlung darüber
wurden die Schlagwörter der communiſtiſchen Zeitſchriften ſo häufig wieder-
holt, daß Ludolf Camphauſen und einige andere gemäßigte Liberale ſofort
zurücktraten. In Berlin, in Hamburg, Kiel, Magdeburg entſtanden Ar-
beitervereine, in denen das Selbſtgefühl des jungen vierten Standes kräftig
redete; daneben wirkten überall in den größeren Städten tiefgeheime Ver-
eine, wo man communiſtiſche Schriften vorlas, überall kleine Meiſter
und Geſellen, die ſich den Vertrauten als Sendboten der Pariſer Marianne

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[517/0531] Engels. Marx. Heß. ſo weit, daß er Religion, Staat, Recht, jede göttliche und menſchliche Ord- nung verwarf. Zu Anfang 1848 entwarfen die beiden Freunde gemein- ſam das Manifeſt der communiſtiſchen Partei, das den Umſturz der Ge- ſellſchaft, Enteignung der Grundeigenthümer, Abſchaffung des Erbrechts forderte und rundweg ausſprach: wir unterſtützen jede revolutionäre Be- wegung! Das Kernwort lautete: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ Das Programm des internationalen Umſturzes war aufgeſtellt, und ſeine Urheber waren zwei vaterlandsloſe Deutſche. Die deutſche gelehrte Welt wurde auf dieſe Bewegung zuerſt aufmerk- ſam, als der Schleswigholſteiner Lorenz Stein (1842) ſein gedankenreiches hiſtoriſch-kritiſches Werk über den Socialismus und Communismus er- ſcheinen ließ. Der große Haufe der Leſerwelt wußte freilich mit dem ſchwer- fälligen, ſcholaſtiſch gehaltenen Buche nichts anzufangen. Er verlangte nach leichterer Koſt und er fand ſie in dem Geſellſchaftsſpiegel, den der aus Paris entwichene rheiniſche Jude Moſes Heß eine Zeit lang in dem frommen Wupperthale erſcheinen ließ. Dies „Organ für Vertretung der beſitzloſen Volksclaſſen“ fand „die einzige Urſache unſerer geſammten Leiden in der freien Concurrenz“ und brachte neben thörichten radicalen Brandreden auch manche nur allzu wahre Schilderung aus dem Fabrikleben der weſtlichen Provinzen. Aehnlich redete O. Lüning in ſeinem Weſtphäliſchen Dampfboot und Karl Grün, der aus Baden Vertriebene, in der Trierſchen Zeitung. Ueberall in den Heimathlanden von Marx und Engels wurden die Ge- danken der ſocialen Revolution umhergetragen; in Köln beſaß die Partei allem Anſchein nach eine geheime Preſſe. Die Cenſoren aber erwieſen den Organen des weſtdeutſchen Socialismus mehr Nachſicht als den Blättern der politiſchen Oppoſition; ſie ahnten nicht was der kleine Mann bei den leicht verhüllten Anpreiſungen der Gütergemeinſchaft empfand. Selbſt in dem reichen rheiniſchen Bürgerthum, das im Volke noch immer der kölniſche Klüngel hieß, bekundete ſich zuweilen eine ſchwächliche, freilich nur theoretiſche Vorliebe für den ſocialen Radicalismus. Als in Köln ein Verein für das Wohl der arbeitenden Klaſſen, nach dem Muſter Berlins, gebildet werden ſollte, da erklärte Aſſeſſor Jung, der Mitarbeiter der unter- gegangenen Rheiniſchen Zeitung: dieſer Name iſt beleidigend, denn wir Alle ſind Arbeiter — eine Behauptung, die aus dem Munde des ver- wöhnten Lebemanns allerdings ſeltſam klang. Er verlangte den Namen: Allgemeiner Hilfs- und Bildungsverein; bei der Verhandlung darüber wurden die Schlagwörter der communiſtiſchen Zeitſchriften ſo häufig wieder- holt, daß Ludolf Camphauſen und einige andere gemäßigte Liberale ſofort zurücktraten. In Berlin, in Hamburg, Kiel, Magdeburg entſtanden Ar- beitervereine, in denen das Selbſtgefühl des jungen vierten Standes kräftig redete; daneben wirkten überall in den größeren Städten tiefgeheime Ver- eine, wo man communiſtiſche Schriften vorlas, überall kleine Meiſter und Geſellen, die ſich den Vertrauten als Sendboten der Pariſer Marianne

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/531>, abgerufen am 21.11.2024.