lassen, als sie vor einem Vierteljahrhundert mit hausväterlicher Sorgsamkeit ihrem verarmten Volke die neuen Steuern auferlegten. In dem reichen Köln entrichteten um 1845 nur fünf Firmen die höchste Gewerbesteuer mit 260 Thlr., und darunter waren die weltbekannten Bankhäuser Sal. Oppenheim und Schaaffhausen; die größte der beiden Rhein-Dampfschiffs- gesellschaften zahlte nur 91 Thlr. Nun gar die bescheidenen höchsten Sätze der Klassensteuer erschienen diesen Vermögen gegenüber wie Hohn, und mit gerechtem Groll sah der kleine Mann, wie unbillig der Reichthum bevorzugt wurde. Die neuen Capitalmächte zeigten gar nichts von jener großartigen, gemeinnützigen, ganze Städte schmückenden und darum versöhnenden Frei- gebigkeit, welche den reichen Leuten des classischen Alterthums durch die Volkssitte aufgezwunden wurde. Sie benutzten nicht nur rücksichtslos ihre Ueberlegenheit auf dem Markte, sie begannen auch schon, dem Gesetze trotzend, sich gegen die Arbeitskräfte zu verschwören; es kam an den Tag, daß die Bonn-Kölner und die Leipzig-Dresdner Eisenbahngesellschaft sich zur Aussperrung mißliebiger Arbeiter verabredet hatten.
Man bemerkte auch bereits die ersten Anfänge einer internationalen Verbindung zwischen den großen Geldmächten. Im Mittelalter hatten zuweilen deutsche und französische Ritter gemeinsam gegen das Bürger- thum gefochten, im sechzehnten Jahrhundert die Religionsparteien aller Länder unbedenklich die Hilfe der fremden Glaubensgenossen angerufen wider die andersgläubigen Landsleute. Es war der Ruhm der neuesten Geschichte, daß die Eigenart des Volksthums sich überall stark und be- wußt ausbildete, daß die nationalen Gegensätze allmählich gewichtiger wurden als die Gegensätze der politischen, der ständischen, der kirchlichen Parteiung; die eigenthümliche Größe der modernen Cultur lag in der Mannichfaltigkeit ihrer nationalen Gebilde. In dieser gesunden, natür- lichen Entwicklung trat nun plötzlich ein unheilvoller Rückschlag ein. Die Börsenmächte aller Culturländer begannen sich in der Stille über das gemeinsame Geldinteresse zu verständigen, und die neue internationale Partei des Großcapitals fand ihre natürliche Stütze an dem vaterlands- losen Judenthum. Einer der Führer der europäischen Judenschaft, der radicale Abgeordnete Cremieux in Paris verkündete bereits triumphirend, welche Riesenschritte Israel gethan habe; und der französische Ultramontane A. Toussenel veröffentlichte schon 1847 sein warnendes Buch Les Juifs rois de l'epoque. Die werthlose, an thörichten Behauptungen überreiche Schrift zeigte immerhin, daß ihr fanatischer Verfasser ein scharfes Witte- rungsvermögen besaß.
Diesen Capitalmächten stand die Masse der Arbeiter fast hilflos gegen- über. Wohl erschienen die socialen Mißstände in der noch unfertigen deut- schen Großindustrie bei Weitem nicht so entsetzlich wie in Frankreich oder England; der verzweifelte Schlachtruf der französischen Arbeiter: "kämpfend sterben oder arbeitend leben" fand in Deutschland noch keinen Wiederhall.
Die neuen Capitalmächte.
laſſen, als ſie vor einem Vierteljahrhundert mit hausväterlicher Sorgſamkeit ihrem verarmten Volke die neuen Steuern auferlegten. In dem reichen Köln entrichteten um 1845 nur fünf Firmen die höchſte Gewerbeſteuer mit 260 Thlr., und darunter waren die weltbekannten Bankhäuſer Sal. Oppenheim und Schaaffhauſen; die größte der beiden Rhein-Dampfſchiffs- geſellſchaften zahlte nur 91 Thlr. Nun gar die beſcheidenen höchſten Sätze der Klaſſenſteuer erſchienen dieſen Vermögen gegenüber wie Hohn, und mit gerechtem Groll ſah der kleine Mann, wie unbillig der Reichthum bevorzugt wurde. Die neuen Capitalmächte zeigten gar nichts von jener großartigen, gemeinnützigen, ganze Städte ſchmückenden und darum verſöhnenden Frei- gebigkeit, welche den reichen Leuten des claſſiſchen Alterthums durch die Volksſitte aufgezwunden wurde. Sie benutzten nicht nur rückſichtslos ihre Ueberlegenheit auf dem Markte, ſie begannen auch ſchon, dem Geſetze trotzend, ſich gegen die Arbeitskräfte zu verſchwören; es kam an den Tag, daß die Bonn-Kölner und die Leipzig-Dresdner Eiſenbahngeſellſchaft ſich zur Ausſperrung mißliebiger Arbeiter verabredet hatten.
Man bemerkte auch bereits die erſten Anfänge einer internationalen Verbindung zwiſchen den großen Geldmächten. Im Mittelalter hatten zuweilen deutſche und franzöſiſche Ritter gemeinſam gegen das Bürger- thum gefochten, im ſechzehnten Jahrhundert die Religionsparteien aller Länder unbedenklich die Hilfe der fremden Glaubensgenoſſen angerufen wider die andersgläubigen Landsleute. Es war der Ruhm der neueſten Geſchichte, daß die Eigenart des Volksthums ſich überall ſtark und be- wußt ausbildete, daß die nationalen Gegenſätze allmählich gewichtiger wurden als die Gegenſätze der politiſchen, der ſtändiſchen, der kirchlichen Parteiung; die eigenthümliche Größe der modernen Cultur lag in der Mannichfaltigkeit ihrer nationalen Gebilde. In dieſer geſunden, natür- lichen Entwicklung trat nun plötzlich ein unheilvoller Rückſchlag ein. Die Börſenmächte aller Culturländer begannen ſich in der Stille über das gemeinſame Geldintereſſe zu verſtändigen, und die neue internationale Partei des Großcapitals fand ihre natürliche Stütze an dem vaterlands- loſen Judenthum. Einer der Führer der europäiſchen Judenſchaft, der radicale Abgeordnete Cremieux in Paris verkündete bereits triumphirend, welche Rieſenſchritte Iſrael gethan habe; und der franzöſiſche Ultramontane A. Touſſenel veröffentlichte ſchon 1847 ſein warnendes Buch Les Juifs rois de l’époque. Die werthloſe, an thörichten Behauptungen überreiche Schrift zeigte immerhin, daß ihr fanatiſcher Verfaſſer ein ſcharfes Witte- rungsvermögen beſaß.
Dieſen Capitalmächten ſtand die Maſſe der Arbeiter faſt hilflos gegen- über. Wohl erſchienen die ſocialen Mißſtände in der noch unfertigen deut- ſchen Großinduſtrie bei Weitem nicht ſo entſetzlich wie in Frankreich oder England; der verzweifelte Schlachtruf der franzöſiſchen Arbeiter: „kämpfend ſterben oder arbeitend leben“ fand in Deutſchland noch keinen Wiederhall.
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Die neuen Capitalmächte.
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ihrem verarmten Volke die neuen Steuern auferlegten. In dem reichen
Köln entrichteten um 1845 nur fünf Firmen die höchſte Gewerbeſteuer
mit 260 Thlr., und darunter waren die weltbekannten Bankhäuſer Sal.
Oppenheim und Schaaffhauſen; die größte der beiden Rhein-Dampfſchiffs-
geſellſchaften zahlte nur 91 Thlr. Nun gar die beſcheidenen höchſten Sätze
der Klaſſenſteuer erſchienen dieſen Vermögen gegenüber wie Hohn, und mit
gerechtem Groll ſah der kleine Mann, wie unbillig der Reichthum bevorzugt
wurde. Die neuen Capitalmächte zeigten gar nichts von jener großartigen,
gemeinnützigen, ganze Städte ſchmückenden und darum verſöhnenden Frei-
gebigkeit, welche den reichen Leuten des claſſiſchen Alterthums durch die
Volksſitte aufgezwunden wurde. Sie benutzten nicht nur rückſichtslos ihre
Ueberlegenheit auf dem Markte, ſie begannen auch ſchon, dem Geſetze
trotzend, ſich gegen die Arbeitskräfte zu verſchwören; es kam an den Tag,
daß die Bonn-Kölner und die Leipzig-Dresdner Eiſenbahngeſellſchaft ſich
zur Ausſperrung mißliebiger Arbeiter verabredet hatten.
Man bemerkte auch bereits die erſten Anfänge einer internationalen
Verbindung zwiſchen den großen Geldmächten. Im Mittelalter hatten
zuweilen deutſche und franzöſiſche Ritter gemeinſam gegen das Bürger-
thum gefochten, im ſechzehnten Jahrhundert die Religionsparteien aller
Länder unbedenklich die Hilfe der fremden Glaubensgenoſſen angerufen
wider die andersgläubigen Landsleute. Es war der Ruhm der neueſten
Geſchichte, daß die Eigenart des Volksthums ſich überall ſtark und be-
wußt ausbildete, daß die nationalen Gegenſätze allmählich gewichtiger
wurden als die Gegenſätze der politiſchen, der ſtändiſchen, der kirchlichen
Parteiung; die eigenthümliche Größe der modernen Cultur lag in der
Mannichfaltigkeit ihrer nationalen Gebilde. In dieſer geſunden, natür-
lichen Entwicklung trat nun plötzlich ein unheilvoller Rückſchlag ein. Die
Börſenmächte aller Culturländer begannen ſich in der Stille über das
gemeinſame Geldintereſſe zu verſtändigen, und die neue internationale
Partei des Großcapitals fand ihre natürliche Stütze an dem vaterlands-
loſen Judenthum. Einer der Führer der europäiſchen Judenſchaft, der
radicale Abgeordnete Cremieux in Paris verkündete bereits triumphirend,
welche Rieſenſchritte Iſrael gethan habe; und der franzöſiſche Ultramontane
A. Touſſenel veröffentlichte ſchon 1847 ſein warnendes Buch Les Juifs
rois de l’époque. Die werthloſe, an thörichten Behauptungen überreiche
Schrift zeigte immerhin, daß ihr fanatiſcher Verfaſſer ein ſcharfes Witte-
rungsvermögen beſaß.
Dieſen Capitalmächten ſtand die Maſſe der Arbeiter faſt hilflos gegen-
über. Wohl erſchienen die ſocialen Mißſtände in der noch unfertigen deut-
ſchen Großinduſtrie bei Weitem nicht ſo entſetzlich wie in Frankreich oder
England; der verzweifelte Schlachtruf der franzöſiſchen Arbeiter: „kämpfend
ſterben oder arbeitend leben“ fand in Deutſchland noch keinen Wiederhall.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/523>, abgerufen am 22.11.2024.
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