sich zu einiger Nachgiebigkeit entschloß.*) Nach neuen, überaus schwierigen Verhandlungen beschloß der Zollverein (1844), seinen Tarif etwas abzu- ändern: das bisher zollfreie Roheisen zahlte fortan 10 Sgr. vom Centner, auch die Zölle auf Stab-, Schienen-, Schmiedeeisen, sowie auf Leinenzwirn wurden erhöht. Alsbald begann die Eiseneinfuhr zu sinken, doch war die Wirkung der neuen Zölle nicht ganz so stark, wie die Grubenbesitzer hofften, da Deutschland gleich nachher den Belgiern durch jenen noth- gedrungenen Handelsvertrag Begünstigungen zugestehen mußte.
Durch diesen halben Sieg wurde die Schutzzoll-Partei zu neuen An- griffen ermuthigt, ihre Blätter sprachen täglich heftiger, selbst vor revo- lutionären Drohungen scheute sie sich nicht mehr. In einer Versammlung badischer Fabrikanten zu Karlsruhe sagte der radicale Schopfheimer Ab- geordnete Gottschalck: wenn der Zollverein keinen Zollschutz gewähre, dann sollten die Fabrikanten nur ihre Arbeiter verabschieden und diesen über- lassen, ihre Wünsche wirksamer vorzutragen!**) Kündigung des Zoll- vereins, Anschluß an Oesterreich! -- so riefen die Verblendeten überall, sie wußten nicht mehr was sie sagten. Cotta's Allgemeine Zeitung ver- öffentlichte als gräßliche Enthüllung einige irgendwie verrathene Berichte des englischen Gesandten Lord Westmoreland in Berlin; und obwohl der Lord eigentlich nur erzählte, daß die preußischen Minister ihm ihre ge- mäßigten handelspolitischen Grundsätze mit etwas überschwänglicher Freund- lichkeit auseinandergesetzt hatten, so wurden doch diese nichtssagenden, im diplomatischen Verkehre unvermeidlichen Höflichkeiten von List und seinen Leuten so gehässig ausgelegt, als wäre nunmehr klar erwiesen, daß Preußen den Befehlen Englands folgte. Alle Sünden deutscher Zanksucht brachen wieder aus.
Mittlerweile war das preußische Handelsamt gegründet worden, und Rönne kündigte, da er auf die Gunst des Monarchen baute, der Finanz- partei sofort offene Fehde an. Ohne bei dem Finanzministerium auch nur anzufragen***), berief er im Frühjahr 1845 eine Versammlung von wirthschaftlichen Notabeln, die fast allesammt der Schutzzoll-Partei an- gehörten und mithin eifrig für Zollerhöhungen stimmten. Auch die radi- calen Gegner rüsteten sich. Prince Smith widmete der nahenden Zoll- Conferenz ein Schriftchen, das kurz und gut alle Schutzzölle als "Theuerungs- zölle" verdammte. In ähnlichem Sinne sprachen die ostpreußischen Stände; sie wurden jedoch im Landtagsabschiede sehr ernst dahin bedeutet, daß die Krone durch das alte Zollgesetz selbst verpflichtet sei, den Gewerbfleiß des Inlands zu schützen. Wie gern wäre Friedrich Wilhelm allen Interessen gerecht geworden, er quälte sich ab in gewissenhaften Erwägungen, doch
***) So versichert Kühne in seinen Denkwürdigkeiten.
Die Kriſis des Zollvereins.
ſich zu einiger Nachgiebigkeit entſchloß.*) Nach neuen, überaus ſchwierigen Verhandlungen beſchloß der Zollverein (1844), ſeinen Tarif etwas abzu- ändern: das bisher zollfreie Roheiſen zahlte fortan 10 Sgr. vom Centner, auch die Zölle auf Stab-, Schienen-, Schmiedeeiſen, ſowie auf Leinenzwirn wurden erhöht. Alsbald begann die Eiſeneinfuhr zu ſinken, doch war die Wirkung der neuen Zölle nicht ganz ſo ſtark, wie die Grubenbeſitzer hofften, da Deutſchland gleich nachher den Belgiern durch jenen noth- gedrungenen Handelsvertrag Begünſtigungen zugeſtehen mußte.
Durch dieſen halben Sieg wurde die Schutzzoll-Partei zu neuen An- griffen ermuthigt, ihre Blätter ſprachen täglich heftiger, ſelbſt vor revo- lutionären Drohungen ſcheute ſie ſich nicht mehr. In einer Verſammlung badiſcher Fabrikanten zu Karlsruhe ſagte der radicale Schopfheimer Ab- geordnete Gottſchalck: wenn der Zollverein keinen Zollſchutz gewähre, dann ſollten die Fabrikanten nur ihre Arbeiter verabſchieden und dieſen über- laſſen, ihre Wünſche wirkſamer vorzutragen!**) Kündigung des Zoll- vereins, Anſchluß an Oeſterreich! — ſo riefen die Verblendeten überall, ſie wußten nicht mehr was ſie ſagten. Cotta’s Allgemeine Zeitung ver- öffentlichte als gräßliche Enthüllung einige irgendwie verrathene Berichte des engliſchen Geſandten Lord Weſtmoreland in Berlin; und obwohl der Lord eigentlich nur erzählte, daß die preußiſchen Miniſter ihm ihre ge- mäßigten handelspolitiſchen Grundſätze mit etwas überſchwänglicher Freund- lichkeit auseinandergeſetzt hatten, ſo wurden doch dieſe nichtsſagenden, im diplomatiſchen Verkehre unvermeidlichen Höflichkeiten von Liſt und ſeinen Leuten ſo gehäſſig ausgelegt, als wäre nunmehr klar erwieſen, daß Preußen den Befehlen Englands folgte. Alle Sünden deutſcher Zankſucht brachen wieder aus.
Mittlerweile war das preußiſche Handelsamt gegründet worden, und Rönne kündigte, da er auf die Gunſt des Monarchen baute, der Finanz- partei ſofort offene Fehde an. Ohne bei dem Finanzminiſterium auch nur anzufragen***), berief er im Frühjahr 1845 eine Verſammlung von wirthſchaftlichen Notabeln, die faſt alleſammt der Schutzzoll-Partei an- gehörten und mithin eifrig für Zollerhöhungen ſtimmten. Auch die radi- calen Gegner rüſteten ſich. Prince Smith widmete der nahenden Zoll- Conferenz ein Schriftchen, das kurz und gut alle Schutzzölle als „Theuerungs- zölle“ verdammte. In ähnlichem Sinne ſprachen die oſtpreußiſchen Stände; ſie wurden jedoch im Landtagsabſchiede ſehr ernſt dahin bedeutet, daß die Krone durch das alte Zollgeſetz ſelbſt verpflichtet ſei, den Gewerbfleiß des Inlands zu ſchützen. Wie gern wäre Friedrich Wilhelm allen Intereſſen gerecht geworden, er quälte ſich ab in gewiſſenhaften Erwägungen, doch
***) So verſichert Kühne in ſeinen Denkwürdigkeiten.
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Die Kriſis des Zollvereins.
ſich zu einiger Nachgiebigkeit entſchloß. *) Nach neuen, überaus ſchwierigen
Verhandlungen beſchloß der Zollverein (1844), ſeinen Tarif etwas abzu-
ändern: das bisher zollfreie Roheiſen zahlte fortan 10 Sgr. vom Centner,
auch die Zölle auf Stab-, Schienen-, Schmiedeeiſen, ſowie auf Leinenzwirn
wurden erhöht. Alsbald begann die Eiſeneinfuhr zu ſinken, doch war
die Wirkung der neuen Zölle nicht ganz ſo ſtark, wie die Grubenbeſitzer
hofften, da Deutſchland gleich nachher den Belgiern durch jenen noth-
gedrungenen Handelsvertrag Begünſtigungen zugeſtehen mußte.
Durch dieſen halben Sieg wurde die Schutzzoll-Partei zu neuen An-
griffen ermuthigt, ihre Blätter ſprachen täglich heftiger, ſelbſt vor revo-
lutionären Drohungen ſcheute ſie ſich nicht mehr. In einer Verſammlung
badiſcher Fabrikanten zu Karlsruhe ſagte der radicale Schopfheimer Ab-
geordnete Gottſchalck: wenn der Zollverein keinen Zollſchutz gewähre, dann
ſollten die Fabrikanten nur ihre Arbeiter verabſchieden und dieſen über-
laſſen, ihre Wünſche wirkſamer vorzutragen! **) Kündigung des Zoll-
vereins, Anſchluß an Oeſterreich! — ſo riefen die Verblendeten überall,
ſie wußten nicht mehr was ſie ſagten. Cotta’s Allgemeine Zeitung ver-
öffentlichte als gräßliche Enthüllung einige irgendwie verrathene Berichte
des engliſchen Geſandten Lord Weſtmoreland in Berlin; und obwohl der
Lord eigentlich nur erzählte, daß die preußiſchen Miniſter ihm ihre ge-
mäßigten handelspolitiſchen Grundſätze mit etwas überſchwänglicher Freund-
lichkeit auseinandergeſetzt hatten, ſo wurden doch dieſe nichtsſagenden, im
diplomatiſchen Verkehre unvermeidlichen Höflichkeiten von Liſt und ſeinen
Leuten ſo gehäſſig ausgelegt, als wäre nunmehr klar erwieſen, daß Preußen
den Befehlen Englands folgte. Alle Sünden deutſcher Zankſucht brachen
wieder aus.
Mittlerweile war das preußiſche Handelsamt gegründet worden, und
Rönne kündigte, da er auf die Gunſt des Monarchen baute, der Finanz-
partei ſofort offene Fehde an. Ohne bei dem Finanzminiſterium auch
nur anzufragen ***), berief er im Frühjahr 1845 eine Verſammlung von
wirthſchaftlichen Notabeln, die faſt alleſammt der Schutzzoll-Partei an-
gehörten und mithin eifrig für Zollerhöhungen ſtimmten. Auch die radi-
calen Gegner rüſteten ſich. Prince Smith widmete der nahenden Zoll-
Conferenz ein Schriftchen, das kurz und gut alle Schutzzölle als „Theuerungs-
zölle“ verdammte. In ähnlichem Sinne ſprachen die oſtpreußiſchen Stände;
ſie wurden jedoch im Landtagsabſchiede ſehr ernſt dahin bedeutet, daß die
Krone durch das alte Zollgeſetz ſelbſt verpflichtet ſei, den Gewerbfleiß des
Inlands zu ſchützen. Wie gern wäre Friedrich Wilhelm allen Intereſſen
gerecht geworden, er quälte ſich ab in gewiſſenhaften Erwägungen, doch
*) Denkſchrift des Finanzminiſteriums, 5. Jan.; Küſter’s Bericht, München, 21. Jan.
1844.
**) Radowitz’s Bericht, 28. Juni 1845.
***) So verſichert Kühne in ſeinen Denkwürdigkeiten.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/485>, abgerufen am 22.11.2024.
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