daß viele französische Fabrikanten den Wettbewerb Belgiens fürchteten und durch ihren Einspruch die Verhandlungen erschwerten.
Wollte der Brüsseler Hof die ihm von allen Mächten verbürgte Neu- tralität gewissenhaft einhalten, so durfte er mit keiner Großmacht einen Zollverein schließen, am allerwenigsten mit Frankreich; denn was die Anwesenheit französischer Zollbeamten im Auslande bedeutete, das hatte Europa im Zeitalter der Continentalsperre zur Genüge erfahren. Sicher- lich konnte der kluge Coburger diese handgreifliche Wahrheit nicht ver- kennen. Wenn er den unmöglichen Gedanken eines belgisch-französischen Zollvereins aufwarf, so hegte er offenbar nur die Absicht, nach langem Schaukeln schließlich von beiden Nachbarn günstige Handelsverträge zu erlangen; war doch das belgische Zwischenland mit seinem umfänglichsten Verkehre auf Frankreich, mit seinen werthvollsten Erzeugnissen auf Deutsch- land angewiesen. Das abgefeimte kaufmännische Spiel währte drei volle Jahre hindurch, so daß Bunsen fast die Hälfte seiner Berichte diesen Nachrichten widmen mußte. Zuweilen verstieg sich der Coburger bis zu Drohungen; einmal sagte er gar: ich scheue nicht den Krieg mit den Ost- mächten, die mich gar zu schlecht behandelt haben, dann würde ich mich ganz in Frankreichs Arme werfen.*)
Die preußische Regierung, als die zunächst betheiligte Macht, bot wider diese Zettelungen Alles auf; sie verlangte, da der König sich in schwieriger Lage immer gern an das gesammte Europa wendete, daß die Bürgen der belgischen Neutralitat auf einer Conferenz gemeinsam erklären sollten, ein neutraler Staat dürfe keinen Zollverein mit dem Auslande schließen. Sie erfuhr jedoch wieder einmal, wie wenig eine europäische Gesammt- bürgschaft bedeutet. Jede der Mächte suchte sich hinter den anderen zu verstecken; jede fürchtete durch eine förmliche Erklärung dem Ministerium Guizot Verlegenheiten zu bereiten und also den so mühsam gesicherten europäischen Frieden wieder zu gefährden. Den Grundsätzen Preußens stimmten sie wohl zu; doch von einer Conferenz wollten sie alle nichts wissen, und selbst Nesselrode sprach nur lau.**) Metternich sendete ein- mal eine scharfe Depesche an den Botschafter in Paris und rühmte sich mit gewohntem Selbstgefühl gegen den preußischen Gesandten: "ich habe diesen Plan getödet;"***) nachher that er nichts mehr, obwohl der Plan noch lange am Leben blieb. Aberdeen floß von freundschaftlichen Ver- sicherungen über, er betheuerte, daß er den König der Belgier mehrmals schriftlich und mündlich gewarnt hätte; im Nothfalle wollte er sogar die Hand bieten zu einer gemeinsamen Erklärung der vier Mächte am Tui- lerienhofe; für jetzt schien ihm aber ein solcher Schritt nicht recht zeit-
daß viele franzöſiſche Fabrikanten den Wettbewerb Belgiens fürchteten und durch ihren Einſpruch die Verhandlungen erſchwerten.
Wollte der Brüſſeler Hof die ihm von allen Mächten verbürgte Neu- tralität gewiſſenhaft einhalten, ſo durfte er mit keiner Großmacht einen Zollverein ſchließen, am allerwenigſten mit Frankreich; denn was die Anweſenheit franzöſiſcher Zollbeamten im Auslande bedeutete, das hatte Europa im Zeitalter der Continentalſperre zur Genüge erfahren. Sicher- lich konnte der kluge Coburger dieſe handgreifliche Wahrheit nicht ver- kennen. Wenn er den unmöglichen Gedanken eines belgiſch-franzöſiſchen Zollvereins aufwarf, ſo hegte er offenbar nur die Abſicht, nach langem Schaukeln ſchließlich von beiden Nachbarn günſtige Handelsverträge zu erlangen; war doch das belgiſche Zwiſchenland mit ſeinem umfänglichſten Verkehre auf Frankreich, mit ſeinen werthvollſten Erzeugniſſen auf Deutſch- land angewieſen. Das abgefeimte kaufmänniſche Spiel währte drei volle Jahre hindurch, ſo daß Bunſen faſt die Hälfte ſeiner Berichte dieſen Nachrichten widmen mußte. Zuweilen verſtieg ſich der Coburger bis zu Drohungen; einmal ſagte er gar: ich ſcheue nicht den Krieg mit den Oſt- mächten, die mich gar zu ſchlecht behandelt haben, dann würde ich mich ganz in Frankreichs Arme werfen.*)
Die preußiſche Regierung, als die zunächſt betheiligte Macht, bot wider dieſe Zettelungen Alles auf; ſie verlangte, da der König ſich in ſchwieriger Lage immer gern an das geſammte Europa wendete, daß die Bürgen der belgiſchen Neutralitat auf einer Conferenz gemeinſam erklären ſollten, ein neutraler Staat dürfe keinen Zollverein mit dem Auslande ſchließen. Sie erfuhr jedoch wieder einmal, wie wenig eine europäiſche Geſammt- bürgſchaft bedeutet. Jede der Mächte ſuchte ſich hinter den anderen zu verſtecken; jede fürchtete durch eine förmliche Erklärung dem Miniſterium Guizot Verlegenheiten zu bereiten und alſo den ſo mühſam geſicherten europäiſchen Frieden wieder zu gefährden. Den Grundſätzen Preußens ſtimmten ſie wohl zu; doch von einer Conferenz wollten ſie alle nichts wiſſen, und ſelbſt Neſſelrode ſprach nur lau.**) Metternich ſendete ein- mal eine ſcharfe Depeſche an den Botſchafter in Paris und rühmte ſich mit gewohntem Selbſtgefühl gegen den preußiſchen Geſandten: „ich habe dieſen Plan getödet;“***) nachher that er nichts mehr, obwohl der Plan noch lange am Leben blieb. Aberdeen floß von freundſchaftlichen Ver- ſicherungen über, er betheuerte, daß er den König der Belgier mehrmals ſchriftlich und mündlich gewarnt hätte; im Nothfalle wollte er ſogar die Hand bieten zu einer gemeinſamen Erklärung der vier Mächte am Tui- lerienhofe; für jetzt ſchien ihm aber ein ſolcher Schritt nicht recht zeit-
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Plan eines belgiſch-franzöſiſchen Zollvereins.
daß viele franzöſiſche Fabrikanten den Wettbewerb Belgiens fürchteten und
durch ihren Einſpruch die Verhandlungen erſchwerten.
Wollte der Brüſſeler Hof die ihm von allen Mächten verbürgte Neu-
tralität gewiſſenhaft einhalten, ſo durfte er mit keiner Großmacht einen
Zollverein ſchließen, am allerwenigſten mit Frankreich; denn was die
Anweſenheit franzöſiſcher Zollbeamten im Auslande bedeutete, das hatte
Europa im Zeitalter der Continentalſperre zur Genüge erfahren. Sicher-
lich konnte der kluge Coburger dieſe handgreifliche Wahrheit nicht ver-
kennen. Wenn er den unmöglichen Gedanken eines belgiſch-franzöſiſchen
Zollvereins aufwarf, ſo hegte er offenbar nur die Abſicht, nach langem
Schaukeln ſchließlich von beiden Nachbarn günſtige Handelsverträge zu
erlangen; war doch das belgiſche Zwiſchenland mit ſeinem umfänglichſten
Verkehre auf Frankreich, mit ſeinen werthvollſten Erzeugniſſen auf Deutſch-
land angewieſen. Das abgefeimte kaufmänniſche Spiel währte drei volle
Jahre hindurch, ſo daß Bunſen faſt die Hälfte ſeiner Berichte dieſen
Nachrichten widmen mußte. Zuweilen verſtieg ſich der Coburger bis zu
Drohungen; einmal ſagte er gar: ich ſcheue nicht den Krieg mit den Oſt-
mächten, die mich gar zu ſchlecht behandelt haben, dann würde ich mich
ganz in Frankreichs Arme werfen. *)
Die preußiſche Regierung, als die zunächſt betheiligte Macht, bot wider
dieſe Zettelungen Alles auf; ſie verlangte, da der König ſich in ſchwieriger
Lage immer gern an das geſammte Europa wendete, daß die Bürgen der
belgiſchen Neutralitat auf einer Conferenz gemeinſam erklären ſollten, ein
neutraler Staat dürfe keinen Zollverein mit dem Auslande ſchließen.
Sie erfuhr jedoch wieder einmal, wie wenig eine europäiſche Geſammt-
bürgſchaft bedeutet. Jede der Mächte ſuchte ſich hinter den anderen zu
verſtecken; jede fürchtete durch eine förmliche Erklärung dem Miniſterium
Guizot Verlegenheiten zu bereiten und alſo den ſo mühſam geſicherten
europäiſchen Frieden wieder zu gefährden. Den Grundſätzen Preußens
ſtimmten ſie wohl zu; doch von einer Conferenz wollten ſie alle nichts
wiſſen, und ſelbſt Neſſelrode ſprach nur lau. **) Metternich ſendete ein-
mal eine ſcharfe Depeſche an den Botſchafter in Paris und rühmte ſich
mit gewohntem Selbſtgefühl gegen den preußiſchen Geſandten: „ich habe
dieſen Plan getödet;“ ***) nachher that er nichts mehr, obwohl der Plan
noch lange am Leben blieb. Aberdeen floß von freundſchaftlichen Ver-
ſicherungen über, er betheuerte, daß er den König der Belgier mehrmals
ſchriftlich und mündlich gewarnt hätte; im Nothfalle wollte er ſogar die
Hand bieten zu einer gemeinſamen Erklärung der vier Mächte am Tui-
lerienhofe; für jetzt ſchien ihm aber ein ſolcher Schritt nicht recht zeit-
*) Bunſen’s Bericht, 11. Nov. 1842.
**) Liebermann’s Berichte, 27. Dec. 1842, 11. Jan. 1843 ff.
***) Canitz’s Bericht, 8. Dec. 1842.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/473>, abgerufen am 22.11.2024.
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