Da regte sich doch der preußische Stolz. General Dumoulin, der alte treue Grenzenhüter der Westmark beschwor das Auswärtige Amt fest zu bleiben; der Anschlag gehe aus von jener Partei, welche seit Jahren darnach trachte "das Land systematisch ganz von Deutschland zu trennen und den letzten Keim deutscher Sitte darin zu vernichten."*) Die Mah- nung wirkte. Minister Werther sprach dem Könige nachdrücklich aus: jede Nachgiebigkeit sei unmöglich, es handle sich um die hochpolitische Frage, ob Luxemburg sich an Deutschland oder an Frankreich und Belgien an- schließen solle. Nunmehr schrieb Friedrich Wilhelm wieder, diesmal sehr ernst, an den Oranier: "Ich muß also, theurer und vortrefflicher Wilhelm, jede Verantwortlichkeit für die von Dir beabsichtigte Nichtgenehmigung gegenüber den anderen Regierungen des Zollvereins hier auf die feier- lichste Weise von mir ablehnen." Dann erinnerte er ihn an die feind- selige Politik der Niederlande, die schon seit Jahren so viel Mißtrauen in Deutschland erweckt hätte: "Ach, theurer Wilhelm, könntest Du die große und schöne Rolle des Versöhners spielen!"**) Immer und immer schwankte Friedrich Wilhelm zwischen königlichem Pflichtgefühl und gut- müthiger Schwäche. Es that ihm wehe, mit dem alten Freunde so ganz persönlich an einander zu gerathen. Darum wollte er jetzt den Streitfall, unter Oesterreichs Vermittlung, dem Bundestage zur Entscheidung vor- legen, und erst durch die dringenden Vorstellungen des Auswärtigen Amts ließ er sich von diesem unglücklichen Gedanken, der unfehlbar Alles ver- dorben hätte, wieder abbringen.***)
Als der niederländische König einsah, daß die Preußen ihn nicht frei- gaben, versuchte er neue Winkelzüge und sendete zur Unterstützung Scherff's zwei luxemburgische Bevollmächtigte. Die beiden Luxemburger, Simons und Pescatore waren in Berlin als belgische Parteigänger und Feinde Deutschlands übel berüchtigt; sie erklärten, ihr König-Großherzog wolle den Vertrag genehmigen, doch nur auf ein Jahr und mit sechsmonat- licher Kündigung. Ein solcher Vorschlag aus solchem Munde war offenbar frivol. Nur Friedrich Wilhelm bemerkte die Arglist nicht; er dachte schon einzuwilligen, falls Luxemburg sich verpflichtete in den nächsten vier Jahren weder mit Belgien noch mit Frankreich einen Handelsvertrag zu schließen. Seine Minister urtheilten anders. Nachdem der widerliche Streit einige Wochen gewährt hatte, entwarfen Thile, Alvensleben, Maltzan einen ge- meinsamen Bericht und zeigten dem Monarchen was auf flacher Hand lag: im ersten Jahre bringe eine Zollvereinigung immer mannichfache Ver- luste; der belgischen Partei in Luxemburg würde es also nicht an Vor-
*) Dumoulin an Werther, 23. Sept. 1841.
**) Werther's Bericht an den König, 29. Sept., König Friedrich Wilhelm an König Wilhelm II., 30. Sept. 1841.
***) Stolberg an Thile, 1. Oct.; Schreiben des Auswärtigen Amts an Thile, 6. Oct. 1841.
Treuloſigkeit König Wilhelm’s II.
Da regte ſich doch der preußiſche Stolz. General Dumoulin, der alte treue Grenzenhüter der Weſtmark beſchwor das Auswärtige Amt feſt zu bleiben; der Anſchlag gehe aus von jener Partei, welche ſeit Jahren darnach trachte „das Land ſyſtematiſch ganz von Deutſchland zu trennen und den letzten Keim deutſcher Sitte darin zu vernichten.“*) Die Mah- nung wirkte. Miniſter Werther ſprach dem Könige nachdrücklich aus: jede Nachgiebigkeit ſei unmöglich, es handle ſich um die hochpolitiſche Frage, ob Luxemburg ſich an Deutſchland oder an Frankreich und Belgien an- ſchließen ſolle. Nunmehr ſchrieb Friedrich Wilhelm wieder, diesmal ſehr ernſt, an den Oranier: „Ich muß alſo, theurer und vortrefflicher Wilhelm, jede Verantwortlichkeit für die von Dir beabſichtigte Nichtgenehmigung gegenüber den anderen Regierungen des Zollvereins hier auf die feier- lichſte Weiſe von mir ablehnen.“ Dann erinnerte er ihn an die feind- ſelige Politik der Niederlande, die ſchon ſeit Jahren ſo viel Mißtrauen in Deutſchland erweckt hätte: „Ach, theurer Wilhelm, könnteſt Du die große und ſchöne Rolle des Verſöhners ſpielen!“**) Immer und immer ſchwankte Friedrich Wilhelm zwiſchen königlichem Pflichtgefühl und gut- müthiger Schwäche. Es that ihm wehe, mit dem alten Freunde ſo ganz perſönlich an einander zu gerathen. Darum wollte er jetzt den Streitfall, unter Oeſterreichs Vermittlung, dem Bundestage zur Entſcheidung vor- legen, und erſt durch die dringenden Vorſtellungen des Auswärtigen Amts ließ er ſich von dieſem unglücklichen Gedanken, der unfehlbar Alles ver- dorben hätte, wieder abbringen.***)
Als der niederländiſche König einſah, daß die Preußen ihn nicht frei- gaben, verſuchte er neue Winkelzüge und ſendete zur Unterſtützung Scherff’s zwei luxemburgiſche Bevollmächtigte. Die beiden Luxemburger, Simons und Pescatore waren in Berlin als belgiſche Parteigänger und Feinde Deutſchlands übel berüchtigt; ſie erklärten, ihr König-Großherzog wolle den Vertrag genehmigen, doch nur auf ein Jahr und mit ſechsmonat- licher Kündigung. Ein ſolcher Vorſchlag aus ſolchem Munde war offenbar frivol. Nur Friedrich Wilhelm bemerkte die Argliſt nicht; er dachte ſchon einzuwilligen, falls Luxemburg ſich verpflichtete in den nächſten vier Jahren weder mit Belgien noch mit Frankreich einen Handelsvertrag zu ſchließen. Seine Miniſter urtheilten anders. Nachdem der widerliche Streit einige Wochen gewährt hatte, entwarfen Thile, Alvensleben, Maltzan einen ge- meinſamen Bericht und zeigten dem Monarchen was auf flacher Hand lag: im erſten Jahre bringe eine Zollvereinigung immer mannichfache Ver- luſte; der belgiſchen Partei in Luxemburg würde es alſo nicht an Vor-
*) Dumoulin an Werther, 23. Sept. 1841.
**) Werther’s Bericht an den König, 29. Sept., König Friedrich Wilhelm an König Wilhelm II., 30. Sept. 1841.
***) Stolberg an Thile, 1. Oct.; Schreiben des Auswärtigen Amts an Thile, 6. Oct. 1841.
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Treuloſigkeit König Wilhelm’s II.
Da regte ſich doch der preußiſche Stolz. General Dumoulin, der
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feſt zu bleiben; der Anſchlag gehe aus von jener Partei, welche ſeit Jahren
darnach trachte „das Land ſyſtematiſch ganz von Deutſchland zu trennen
und den letzten Keim deutſcher Sitte darin zu vernichten.“ *) Die Mah-
nung wirkte. Miniſter Werther ſprach dem Könige nachdrücklich aus: jede
Nachgiebigkeit ſei unmöglich, es handle ſich um die hochpolitiſche Frage,
ob Luxemburg ſich an Deutſchland oder an Frankreich und Belgien an-
ſchließen ſolle. Nunmehr ſchrieb Friedrich Wilhelm wieder, diesmal ſehr
ernſt, an den Oranier: „Ich muß alſo, theurer und vortrefflicher Wilhelm,
jede Verantwortlichkeit für die von Dir beabſichtigte Nichtgenehmigung
gegenüber den anderen Regierungen des Zollvereins hier auf die feier-
lichſte Weiſe von mir ablehnen.“ Dann erinnerte er ihn an die feind-
ſelige Politik der Niederlande, die ſchon ſeit Jahren ſo viel Mißtrauen
in Deutſchland erweckt hätte: „Ach, theurer Wilhelm, könnteſt Du die
große und ſchöne Rolle des Verſöhners ſpielen!“ **) Immer und immer
ſchwankte Friedrich Wilhelm zwiſchen königlichem Pflichtgefühl und gut-
müthiger Schwäche. Es that ihm wehe, mit dem alten Freunde ſo ganz
perſönlich an einander zu gerathen. Darum wollte er jetzt den Streitfall,
unter Oeſterreichs Vermittlung, dem Bundestage zur Entſcheidung vor-
legen, und erſt durch die dringenden Vorſtellungen des Auswärtigen Amts
ließ er ſich von dieſem unglücklichen Gedanken, der unfehlbar Alles ver-
dorben hätte, wieder abbringen. ***)
Als der niederländiſche König einſah, daß die Preußen ihn nicht frei-
gaben, verſuchte er neue Winkelzüge und ſendete zur Unterſtützung Scherff’s
zwei luxemburgiſche Bevollmächtigte. Die beiden Luxemburger, Simons
und Pescatore waren in Berlin als belgiſche Parteigänger und Feinde
Deutſchlands übel berüchtigt; ſie erklärten, ihr König-Großherzog wolle
den Vertrag genehmigen, doch nur auf ein Jahr und mit ſechsmonat-
licher Kündigung. Ein ſolcher Vorſchlag aus ſolchem Munde war offenbar
frivol. Nur Friedrich Wilhelm bemerkte die Argliſt nicht; er dachte ſchon
einzuwilligen, falls Luxemburg ſich verpflichtete in den nächſten vier Jahren
weder mit Belgien noch mit Frankreich einen Handelsvertrag zu ſchließen.
Seine Miniſter urtheilten anders. Nachdem der widerliche Streit einige
Wochen gewährt hatte, entwarfen Thile, Alvensleben, Maltzan einen ge-
meinſamen Bericht und zeigten dem Monarchen was auf flacher Hand
lag: im erſten Jahre bringe eine Zollvereinigung immer mannichfache Ver-
luſte; der belgiſchen Partei in Luxemburg würde es alſo nicht an Vor-
*) Dumoulin an Werther, 23. Sept. 1841.
**) Werther’s Bericht an den König, 29. Sept., König Friedrich Wilhelm an König
Wilhelm II., 30. Sept. 1841.
***) Stolberg an Thile, 1. Oct.; Schreiben des Auswärtigen Amts an Thile,
6. Oct. 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/453>, abgerufen am 22.11.2024.
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