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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Rauch's Friedrichsdenkmal. Rietschel.
frei, bald halbrund, bald flach aus dem Sockel heraustretenden Gestalten
ordnete er so glücklich hinter und neben einander, daß die Ueberzahl der Arme
und Beine verdeckt blieb; die ruhige Gruppe der Männer des Friedens
hob sich wirksam ab von den bewegteren der Kriegshelden. Das Werk
reichte an die Majestät des Schlüter'schen Kurfürstenstandbildes nicht ganz
heran und erschien etwas steif durch den allzu hohen Aufbau; aber in
diesem Jahrhundert war der deutschen Bildnerkunst noch nie eine so groß-
artige Schöpfung gelungen. Leider konnte das Denkmal erst nach der
Revolution enthüllt werden, vor einem verstimmten Geschlechte, das dem
unglücklichen Könige für nichts mehr danken wollte.

Gleich dem Meister wendete sich auch sein liebevoller Johannes, Ernst
Rietschel, ohne die classische Formenstrenge aufzugeben, einer schärfer
charakterisirenden, realistischen Kunstweise zu. Der milde, fromme, kind-
lich bescheidene Künstler ähnelte in manchen Charakterzügen seinem Freunde
und Landsmanne Ludwig Richter. Nur war sein Geist weit freier, größer
angelegt und durch eine harte Lebensschule gestählt. Wie ahnungsvoll
hatte der blutarme Knabe einst von den Bergen seiner Lausitz hinüber-
geschaut nach den fernen Thürmen Dresdens; und als er dann in die er-
sehnte Stadt des Glanzes und der Künste einzog, da kümmerte er wieder
jahrelang hin, rathlos, führerlos, unter unfähigen Lehrern, in einer weichen
romantischen Luft, oft ganz zerknirscht durch den Gedanken, daß der Bild-
hauer für die Ewigkeit schaffen soll -- bis ihm endlich Rauch eine neue
Welt kraftvoller Schönheit aufschloß. Jetzt errang er zuerst einen durch-
schlagenden Erfolg, als er in der Gruppe der Pieta einen tausendmal
behandelten Stoff völlig neu und eigenthümlich gestaltete, ebenso gemüth-
voll wie die alten Nürnberger Meister, aber mit unvergleichlich reinerem
Formensinne.

Dann übertrugen ihm die Braunschweiger die Ausführung ihres
Lessingstandbildes, und sofort machte er dieselbe Erfahrung wie Rauch
beim Friedrichsdenkmal. Der Todfeind des gespreizten Römerthums der
französischen Tragödie konnte doch unmöglich in der Toga erscheinen,
der stolze Verächter alles falschen Scheines unmöglich im Theatermantel.
Rietschel entschloß sich also noch einen Schritt über den Meister hinaus
zu wagen und den Helden selbst, so wie einst Schadow den alten Zieten,
stark, schlicht und ehrlich, ohne jede schmückende Zuthat, in der Tracht
der Zeit hinzustellen, ein köstliches Bild deutschen Wahrheitstrotzes. Scha-
dow's Zieten war im Grunde nur eine akademische, zufällig in die Husaren-
uniform gekleidete Gestalt; Rietschel ging darauf aus, daß Form und
Inhalt seines Bildwerks vollkommen übereinstimmen sollten. Aus jeder
Noth ward ihm eine Tugend, den Haarbeutel benutzte er um die freien
Linien des wallenden Haares zu zeichnen, das enge kurze Beinkleid um
die gedrungene Kraft der Glieder zu zeigen. Auch dies lang und schwer
durchdachte Werk gelangte erst nach den Stürmen der Revolution zum

Rauch’s Friedrichsdenkmal. Rietſchel.
frei, bald halbrund, bald flach aus dem Sockel heraustretenden Geſtalten
ordnete er ſo glücklich hinter und neben einander, daß die Ueberzahl der Arme
und Beine verdeckt blieb; die ruhige Gruppe der Männer des Friedens
hob ſich wirkſam ab von den bewegteren der Kriegshelden. Das Werk
reichte an die Majeſtät des Schlüter’ſchen Kurfürſtenſtandbildes nicht ganz
heran und erſchien etwas ſteif durch den allzu hohen Aufbau; aber in
dieſem Jahrhundert war der deutſchen Bildnerkunſt noch nie eine ſo groß-
artige Schöpfung gelungen. Leider konnte das Denkmal erſt nach der
Revolution enthüllt werden, vor einem verſtimmten Geſchlechte, das dem
unglücklichen Könige für nichts mehr danken wollte.

Gleich dem Meiſter wendete ſich auch ſein liebevoller Johannes, Ernſt
Rietſchel, ohne die claſſiſche Formenſtrenge aufzugeben, einer ſchärfer
charakteriſirenden, realiſtiſchen Kunſtweiſe zu. Der milde, fromme, kind-
lich beſcheidene Künſtler ähnelte in manchen Charakterzügen ſeinem Freunde
und Landsmanne Ludwig Richter. Nur war ſein Geiſt weit freier, größer
angelegt und durch eine harte Lebensſchule geſtählt. Wie ahnungsvoll
hatte der blutarme Knabe einſt von den Bergen ſeiner Lauſitz hinüber-
geſchaut nach den fernen Thürmen Dresdens; und als er dann in die er-
ſehnte Stadt des Glanzes und der Künſte einzog, da kümmerte er wieder
jahrelang hin, rathlos, führerlos, unter unfähigen Lehrern, in einer weichen
romantiſchen Luft, oft ganz zerknirſcht durch den Gedanken, daß der Bild-
hauer für die Ewigkeit ſchaffen ſoll — bis ihm endlich Rauch eine neue
Welt kraftvoller Schönheit aufſchloß. Jetzt errang er zuerſt einen durch-
ſchlagenden Erfolg, als er in der Gruppe der Pieta einen tauſendmal
behandelten Stoff völlig neu und eigenthümlich geſtaltete, ebenſo gemüth-
voll wie die alten Nürnberger Meiſter, aber mit unvergleichlich reinerem
Formenſinne.

Dann übertrugen ihm die Braunſchweiger die Ausführung ihres
Leſſingſtandbildes, und ſofort machte er dieſelbe Erfahrung wie Rauch
beim Friedrichsdenkmal. Der Todfeind des geſpreizten Römerthums der
franzöſiſchen Tragödie konnte doch unmöglich in der Toga erſcheinen,
der ſtolze Verächter alles falſchen Scheines unmöglich im Theatermantel.
Rietſchel entſchloß ſich alſo noch einen Schritt über den Meiſter hinaus
zu wagen und den Helden ſelbſt, ſo wie einſt Schadow den alten Zieten,
ſtark, ſchlicht und ehrlich, ohne jede ſchmückende Zuthat, in der Tracht
der Zeit hinzuſtellen, ein köſtliches Bild deutſchen Wahrheitstrotzes. Scha-
dow’s Zieten war im Grunde nur eine akademiſche, zufällig in die Huſaren-
uniform gekleidete Geſtalt; Rietſchel ging darauf aus, daß Form und
Inhalt ſeines Bildwerks vollkommen übereinſtimmen ſollten. Aus jeder
Noth ward ihm eine Tugend, den Haarbeutel benutzte er um die freien
Linien des wallenden Haares zu zeichnen, das enge kurze Beinkleid um
die gedrungene Kraft der Glieder zu zeigen. Auch dies lang und ſchwer
durchdachte Werk gelangte erſt nach den Stürmen der Revolution zum

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[407/0421] Rauch’s Friedrichsdenkmal. Rietſchel. frei, bald halbrund, bald flach aus dem Sockel heraustretenden Geſtalten ordnete er ſo glücklich hinter und neben einander, daß die Ueberzahl der Arme und Beine verdeckt blieb; die ruhige Gruppe der Männer des Friedens hob ſich wirkſam ab von den bewegteren der Kriegshelden. Das Werk reichte an die Majeſtät des Schlüter’ſchen Kurfürſtenſtandbildes nicht ganz heran und erſchien etwas ſteif durch den allzu hohen Aufbau; aber in dieſem Jahrhundert war der deutſchen Bildnerkunſt noch nie eine ſo groß- artige Schöpfung gelungen. Leider konnte das Denkmal erſt nach der Revolution enthüllt werden, vor einem verſtimmten Geſchlechte, das dem unglücklichen Könige für nichts mehr danken wollte. Gleich dem Meiſter wendete ſich auch ſein liebevoller Johannes, Ernſt Rietſchel, ohne die claſſiſche Formenſtrenge aufzugeben, einer ſchärfer charakteriſirenden, realiſtiſchen Kunſtweiſe zu. Der milde, fromme, kind- lich beſcheidene Künſtler ähnelte in manchen Charakterzügen ſeinem Freunde und Landsmanne Ludwig Richter. Nur war ſein Geiſt weit freier, größer angelegt und durch eine harte Lebensſchule geſtählt. Wie ahnungsvoll hatte der blutarme Knabe einſt von den Bergen ſeiner Lauſitz hinüber- geſchaut nach den fernen Thürmen Dresdens; und als er dann in die er- ſehnte Stadt des Glanzes und der Künſte einzog, da kümmerte er wieder jahrelang hin, rathlos, führerlos, unter unfähigen Lehrern, in einer weichen romantiſchen Luft, oft ganz zerknirſcht durch den Gedanken, daß der Bild- hauer für die Ewigkeit ſchaffen ſoll — bis ihm endlich Rauch eine neue Welt kraftvoller Schönheit aufſchloß. Jetzt errang er zuerſt einen durch- ſchlagenden Erfolg, als er in der Gruppe der Pieta einen tauſendmal behandelten Stoff völlig neu und eigenthümlich geſtaltete, ebenſo gemüth- voll wie die alten Nürnberger Meiſter, aber mit unvergleichlich reinerem Formenſinne. Dann übertrugen ihm die Braunſchweiger die Ausführung ihres Leſſingſtandbildes, und ſofort machte er dieſelbe Erfahrung wie Rauch beim Friedrichsdenkmal. Der Todfeind des geſpreizten Römerthums der franzöſiſchen Tragödie konnte doch unmöglich in der Toga erſcheinen, der ſtolze Verächter alles falſchen Scheines unmöglich im Theatermantel. Rietſchel entſchloß ſich alſo noch einen Schritt über den Meiſter hinaus zu wagen und den Helden ſelbſt, ſo wie einſt Schadow den alten Zieten, ſtark, ſchlicht und ehrlich, ohne jede ſchmückende Zuthat, in der Tracht der Zeit hinzuſtellen, ein köſtliches Bild deutſchen Wahrheitstrotzes. Scha- dow’s Zieten war im Grunde nur eine akademiſche, zufällig in die Huſaren- uniform gekleidete Geſtalt; Rietſchel ging darauf aus, daß Form und Inhalt ſeines Bildwerks vollkommen übereinſtimmen ſollten. Aus jeder Noth ward ihm eine Tugend, den Haarbeutel benutzte er um die freien Linien des wallenden Haares zu zeichnen, das enge kurze Beinkleid um die gedrungene Kraft der Glieder zu zeigen. Auch dies lang und ſchwer durchdachte Werk gelangte erſt nach den Stürmen der Revolution zum

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/421>, abgerufen am 19.04.2024.