Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Alexis. Auerbach.
schwülen öden Heide, die blauen Seen mit dem einsam kreisenden Reiher
darüber. Was im alten Berlin lebendig und naturwüchsig war ist niemals
treuer dargestellt worden als von den beiden Halbfranzosen Chamisso und
Häring. Ein fleißiger Künstler, bedachtsam sinnend und feilend, vermochte
Alexis doch nicht jederzeit in so heiterer Sicherheit wie Scott über der Fülle
seiner Gestalten zu stehen; und die große Schlußwirkung, grade die Stärke
des Schotten, fehlte bei ihm fast immer, da er die Einwirkung der Tieck'schen
Romantik nie ganz überwand und zuletzt oft wie im Traum die Zügel aus
den Händen gleiten ließ.

Gleichwohl blieben diese vaterländischen Romane echte Perlen erzählen-
der Dichtung, sie konnten in jedem guten deutschen Bürgerhause zugleich
künstlerische und patriotische Freude erregen. Da zeigte sich aber, was
es auf sich hat, ob eine Nation sich noch eins fühlt mit ihrer Geschichte.
Die Schotten lebten und dachten allesammt mit ihrem nationalen Roman-
dichter, sie hoben ihn frohlockend auf den Schild. Jeder Graham, Scott,
Campbell, Douglas fühlte sich geehrt, wenn er die Genossen seines Clans
in Sir Walter's Romanen wiederfand. Dem deutschen Dichter, der
allerdings nicht ganz so hoch stand, wurde von solchem Flammenmeere
nationaler Begeisterung nicht einmal ein kümmerlicher Lichtstrahl zu theil.
Die Deutschen außerhalb Brandenburgs wußten von der märkischen Vor-
zeit noch schlechthin gar nichts; sie fanden es mühsam sich auch nur hin-
einzulesen in diese fremde Provinzialgeschichte. Die Brandenburger selbst
wurden geistig beherrscht von dem durchaus lieblosen und geschichtslosen
Berlinerthum, sie haben sich um den eigentlich märkischen Dichter nie viel
gekümmert. Und auch die Undankbarkeit der Hohenzollern sollte er gründ-
lich kennen lernen, den unschönen Erbfehler des Herrscherhauses, von dem
unter allen preußischen Königen allein Friedrich der Große und Kaiser
Wilhelm I. ganz frei geblieben sind; so viel man weiß hat der Dichter
des Roland's von Berlin und der Hosen des Herrn v. Bredow in diesen
Jahren von seinem kunstsinnigen Könige nie ein anderes Zeichen der Theil-
nahme empfangen als jenen ungerechten Brief, der ihm die liberalen Harm-
losigkeiten seiner Vossischen Zeitung strafend vorhielt.*)

Weit reicheren Beifall ernteten die Dorfgeschichten Berthold Auer-
bach's, ein Buch, das den realistischen Zug, die demokratische Weltanschau-
ung des neuen Geschlechts kräftig förderte und dadurch Bedeutung für
die Zeitgeschichte gewann. Auerbach stammte aus einem jener jüdischen
und halbjüdischen Dörfer, welche, eine seltene Ausnahme auf deutschem
Boden, da und dort am oberen Neckar liegen. An Spinoza gebildet
hatte er sich als Dichter anfangs nur an jüdischen Stoffen versucht und
trat nun plötzlich mit einem weiten Schritte aus dem Ghetto in das deutsche
Volksleben hinüber. Seine kleinen Geschichten waren mit niederländischem

*) S. o. V. 208.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 25

Alexis. Auerbach.
ſchwülen öden Heide, die blauen Seen mit dem einſam kreiſenden Reiher
darüber. Was im alten Berlin lebendig und naturwüchſig war iſt niemals
treuer dargeſtellt worden als von den beiden Halbfranzoſen Chamiſſo und
Häring. Ein fleißiger Künſtler, bedachtſam ſinnend und feilend, vermochte
Alexis doch nicht jederzeit in ſo heiterer Sicherheit wie Scott über der Fülle
ſeiner Geſtalten zu ſtehen; und die große Schlußwirkung, grade die Stärke
des Schotten, fehlte bei ihm faſt immer, da er die Einwirkung der Tieck’ſchen
Romantik nie ganz überwand und zuletzt oft wie im Traum die Zügel aus
den Händen gleiten ließ.

Gleichwohl blieben dieſe vaterländiſchen Romane echte Perlen erzählen-
der Dichtung, ſie konnten in jedem guten deutſchen Bürgerhauſe zugleich
künſtleriſche und patriotiſche Freude erregen. Da zeigte ſich aber, was
es auf ſich hat, ob eine Nation ſich noch eins fühlt mit ihrer Geſchichte.
Die Schotten lebten und dachten alleſammt mit ihrem nationalen Roman-
dichter, ſie hoben ihn frohlockend auf den Schild. Jeder Graham, Scott,
Campbell, Douglas fühlte ſich geehrt, wenn er die Genoſſen ſeines Clans
in Sir Walter’s Romanen wiederfand. Dem deutſchen Dichter, der
allerdings nicht ganz ſo hoch ſtand, wurde von ſolchem Flammenmeere
nationaler Begeiſterung nicht einmal ein kümmerlicher Lichtſtrahl zu theil.
Die Deutſchen außerhalb Brandenburgs wußten von der märkiſchen Vor-
zeit noch ſchlechthin gar nichts; ſie fanden es mühſam ſich auch nur hin-
einzuleſen in dieſe fremde Provinzialgeſchichte. Die Brandenburger ſelbſt
wurden geiſtig beherrſcht von dem durchaus liebloſen und geſchichtsloſen
Berlinerthum, ſie haben ſich um den eigentlich märkiſchen Dichter nie viel
gekümmert. Und auch die Undankbarkeit der Hohenzollern ſollte er gründ-
lich kennen lernen, den unſchönen Erbfehler des Herrſcherhauſes, von dem
unter allen preußiſchen Königen allein Friedrich der Große und Kaiſer
Wilhelm I. ganz frei geblieben ſind; ſo viel man weiß hat der Dichter
des Roland’s von Berlin und der Hoſen des Herrn v. Bredow in dieſen
Jahren von ſeinem kunſtſinnigen Könige nie ein anderes Zeichen der Theil-
nahme empfangen als jenen ungerechten Brief, der ihm die liberalen Harm-
loſigkeiten ſeiner Voſſiſchen Zeitung ſtrafend vorhielt.*)

Weit reicheren Beifall ernteten die Dorfgeſchichten Berthold Auer-
bach’s, ein Buch, das den realiſtiſchen Zug, die demokratiſche Weltanſchau-
ung des neuen Geſchlechts kräftig förderte und dadurch Bedeutung für
die Zeitgeſchichte gewann. Auerbach ſtammte aus einem jener jüdiſchen
und halbjüdiſchen Dörfer, welche, eine ſeltene Ausnahme auf deutſchem
Boden, da und dort am oberen Neckar liegen. An Spinoza gebildet
hatte er ſich als Dichter anfangs nur an jüdiſchen Stoffen verſucht und
trat nun plötzlich mit einem weiten Schritte aus dem Ghetto in das deutſche
Volksleben hinüber. Seine kleinen Geſchichten waren mit niederländiſchem

*) S. o. V. 208.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0399" n="385"/><fw place="top" type="header">Alexis. Auerbach.</fw><lb/>
&#x017F;chwülen öden Heide, die blauen Seen mit dem ein&#x017F;am krei&#x017F;enden Reiher<lb/>
darüber. Was im alten Berlin lebendig und naturwüch&#x017F;ig war i&#x017F;t niemals<lb/>
treuer darge&#x017F;tellt worden als von den beiden Halbfranzo&#x017F;en Chami&#x017F;&#x017F;o und<lb/>
Häring. Ein fleißiger Kün&#x017F;tler, bedacht&#x017F;am &#x017F;innend und feilend, vermochte<lb/>
Alexis doch nicht jederzeit in &#x017F;o heiterer Sicherheit wie Scott über der Fülle<lb/>
&#x017F;einer Ge&#x017F;talten zu &#x017F;tehen; und die große Schlußwirkung, grade die Stärke<lb/>
des Schotten, fehlte bei ihm fa&#x017F;t immer, da er die Einwirkung der Tieck&#x2019;&#x017F;chen<lb/>
Romantik nie ganz überwand und zuletzt oft wie im Traum die Zügel aus<lb/>
den Händen gleiten ließ.</p><lb/>
          <p>Gleichwohl blieben die&#x017F;e vaterländi&#x017F;chen Romane echte Perlen erzählen-<lb/>
der Dichtung, &#x017F;ie konnten in jedem guten deut&#x017F;chen Bürgerhau&#x017F;e zugleich<lb/>
kün&#x017F;tleri&#x017F;che und patrioti&#x017F;che Freude erregen. Da zeigte &#x017F;ich aber, was<lb/>
es auf &#x017F;ich hat, ob eine Nation &#x017F;ich noch eins fühlt mit ihrer Ge&#x017F;chichte.<lb/>
Die Schotten lebten und dachten alle&#x017F;ammt mit ihrem nationalen Roman-<lb/>
dichter, &#x017F;ie hoben ihn frohlockend auf den Schild. Jeder Graham, Scott,<lb/>
Campbell, Douglas fühlte &#x017F;ich geehrt, wenn er die Geno&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eines Clans<lb/>
in Sir Walter&#x2019;s Romanen wiederfand. Dem deut&#x017F;chen Dichter, der<lb/>
allerdings nicht ganz &#x017F;o hoch &#x017F;tand, wurde von &#x017F;olchem Flammenmeere<lb/>
nationaler Begei&#x017F;terung nicht einmal ein kümmerlicher Licht&#x017F;trahl zu theil.<lb/>
Die Deut&#x017F;chen außerhalb Brandenburgs wußten von der märki&#x017F;chen Vor-<lb/>
zeit noch &#x017F;chlechthin gar nichts; &#x017F;ie fanden es müh&#x017F;am &#x017F;ich auch nur hin-<lb/>
einzule&#x017F;en in die&#x017F;e fremde Provinzialge&#x017F;chichte. Die Brandenburger &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
wurden gei&#x017F;tig beherr&#x017F;cht von dem durchaus lieblo&#x017F;en und ge&#x017F;chichtslo&#x017F;en<lb/>
Berlinerthum, &#x017F;ie haben &#x017F;ich um den eigentlich märki&#x017F;chen Dichter nie viel<lb/>
gekümmert. Und auch die Undankbarkeit der Hohenzollern &#x017F;ollte er gründ-<lb/>
lich kennen lernen, den un&#x017F;chönen Erbfehler des Herr&#x017F;cherhau&#x017F;es, von dem<lb/>
unter allen preußi&#x017F;chen Königen allein Friedrich der Große und Kai&#x017F;er<lb/>
Wilhelm <hi rendition="#aq">I.</hi> ganz frei geblieben &#x017F;ind; &#x017F;o viel man weiß hat der Dichter<lb/>
des Roland&#x2019;s von Berlin und der Ho&#x017F;en des Herrn v. Bredow in die&#x017F;en<lb/>
Jahren von &#x017F;einem kun&#x017F;t&#x017F;innigen Könige nie ein anderes Zeichen der Theil-<lb/>
nahme empfangen als jenen ungerechten Brief, der ihm die liberalen Harm-<lb/>
lo&#x017F;igkeiten &#x017F;einer Vo&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Zeitung &#x017F;trafend vorhielt.<note place="foot" n="*)">S. o. <hi rendition="#aq">V.</hi> 208.</note></p><lb/>
          <p>Weit reicheren Beifall ernteten die Dorfge&#x017F;chichten Berthold Auer-<lb/>
bach&#x2019;s, ein Buch, das den reali&#x017F;ti&#x017F;chen Zug, die demokrati&#x017F;che Weltan&#x017F;chau-<lb/>
ung des neuen Ge&#x017F;chlechts kräftig förderte und dadurch Bedeutung für<lb/>
die Zeitge&#x017F;chichte gewann. Auerbach &#x017F;tammte aus einem jener jüdi&#x017F;chen<lb/>
und halbjüdi&#x017F;chen Dörfer, welche, eine &#x017F;eltene Ausnahme auf deut&#x017F;chem<lb/>
Boden, da und dort am oberen Neckar liegen. An Spinoza gebildet<lb/>
hatte er &#x017F;ich als Dichter anfangs nur an jüdi&#x017F;chen Stoffen ver&#x017F;ucht und<lb/>
trat nun plötzlich mit einem weiten Schritte aus dem Ghetto in das deut&#x017F;che<lb/>
Volksleben hinüber. Seine kleinen Ge&#x017F;chichten waren mit niederländi&#x017F;chem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">v. <hi rendition="#g">Treit&#x017F;chke</hi>, Deut&#x017F;che Ge&#x017F;chichte. <hi rendition="#aq">V.</hi> 25</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[385/0399] Alexis. Auerbach. ſchwülen öden Heide, die blauen Seen mit dem einſam kreiſenden Reiher darüber. Was im alten Berlin lebendig und naturwüchſig war iſt niemals treuer dargeſtellt worden als von den beiden Halbfranzoſen Chamiſſo und Häring. Ein fleißiger Künſtler, bedachtſam ſinnend und feilend, vermochte Alexis doch nicht jederzeit in ſo heiterer Sicherheit wie Scott über der Fülle ſeiner Geſtalten zu ſtehen; und die große Schlußwirkung, grade die Stärke des Schotten, fehlte bei ihm faſt immer, da er die Einwirkung der Tieck’ſchen Romantik nie ganz überwand und zuletzt oft wie im Traum die Zügel aus den Händen gleiten ließ. Gleichwohl blieben dieſe vaterländiſchen Romane echte Perlen erzählen- der Dichtung, ſie konnten in jedem guten deutſchen Bürgerhauſe zugleich künſtleriſche und patriotiſche Freude erregen. Da zeigte ſich aber, was es auf ſich hat, ob eine Nation ſich noch eins fühlt mit ihrer Geſchichte. Die Schotten lebten und dachten alleſammt mit ihrem nationalen Roman- dichter, ſie hoben ihn frohlockend auf den Schild. Jeder Graham, Scott, Campbell, Douglas fühlte ſich geehrt, wenn er die Genoſſen ſeines Clans in Sir Walter’s Romanen wiederfand. Dem deutſchen Dichter, der allerdings nicht ganz ſo hoch ſtand, wurde von ſolchem Flammenmeere nationaler Begeiſterung nicht einmal ein kümmerlicher Lichtſtrahl zu theil. Die Deutſchen außerhalb Brandenburgs wußten von der märkiſchen Vor- zeit noch ſchlechthin gar nichts; ſie fanden es mühſam ſich auch nur hin- einzuleſen in dieſe fremde Provinzialgeſchichte. Die Brandenburger ſelbſt wurden geiſtig beherrſcht von dem durchaus liebloſen und geſchichtsloſen Berlinerthum, ſie haben ſich um den eigentlich märkiſchen Dichter nie viel gekümmert. Und auch die Undankbarkeit der Hohenzollern ſollte er gründ- lich kennen lernen, den unſchönen Erbfehler des Herrſcherhauſes, von dem unter allen preußiſchen Königen allein Friedrich der Große und Kaiſer Wilhelm I. ganz frei geblieben ſind; ſo viel man weiß hat der Dichter des Roland’s von Berlin und der Hoſen des Herrn v. Bredow in dieſen Jahren von ſeinem kunſtſinnigen Könige nie ein anderes Zeichen der Theil- nahme empfangen als jenen ungerechten Brief, der ihm die liberalen Harm- loſigkeiten ſeiner Voſſiſchen Zeitung ſtrafend vorhielt. *) Weit reicheren Beifall ernteten die Dorfgeſchichten Berthold Auer- bach’s, ein Buch, das den realiſtiſchen Zug, die demokratiſche Weltanſchau- ung des neuen Geſchlechts kräftig förderte und dadurch Bedeutung für die Zeitgeſchichte gewann. Auerbach ſtammte aus einem jener jüdiſchen und halbjüdiſchen Dörfer, welche, eine ſeltene Ausnahme auf deutſchem Boden, da und dort am oberen Neckar liegen. An Spinoza gebildet hatte er ſich als Dichter anfangs nur an jüdiſchen Stoffen verſucht und trat nun plötzlich mit einem weiten Schritte aus dem Ghetto in das deutſche Volksleben hinüber. Seine kleinen Geſchichten waren mit niederländiſchem *) S. o. V. 208. v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 25

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/399
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/399>, abgerufen am 25.11.2024.