den Argwohn der Demagogenverfolger erregte.*) Die enthusiastische Kreuz- fahrergesinnung jener frommen Tage bewahrte er sein Leben lang. Was ihm an politischem Urtheil abging ersetzte er durch unverbrüchliche Treue gegen seinen christlichen König und durch eine allgemeine Menschenliebe, welche Gerechte und Ungerechte so ohne jeden Unterschied sanftmüthig um- faßte, daß Königin Elisabeth einmal sagte: der gute Gröben wird uns näch- stens von dem lieben, vortrefflichen Nero sprechen.
Während Gröben nur das ritterliche Gefühl unbedingter Königstreue hegte, waren die drei Brüder v. Gerlach erklärte Hallerianer. Sie stammten von jenem hochangesehenen alten Kammerpräsidenten, der einst seine Kurmark gegen die napoleonischen Erpressungen unerschrocken ver- theidigt, nachher, verstimmt über die Reform der Verwaltung, den Staats- dienst verlassen und gleich darauf das Oberbürgermeisteramt von Berlin übernommen hatte.**) Der Muth, die Vaterlandsliebe, die conservative Gesinnung des Vaters vererbten sich auf die Söhne; zwei von ihnen trugen das eiserne Kreuz. Der zweite Sohn, der Gerichtspräsident Lud- wig war ein gelehrter, scharfsinniger Jurist, gerecht nach oben wie nach unten, sehr eifersüchtig auf die Unabhängigkeit des Richterstandes. Wie weit ihn aber sein kirchlicher Feuereifer führen konnte, das hatte er schon vor Jahren gezeigt, als er die hallischen Rationalisten durch die rücksichts- lose Veröffentlichung ihrer Katheder-Aussprüche bekämpfte und dafür den Beifall seines kronprinzlichen Freundes fand.***) Der christliche Staat, die freie rechtgläubige Kirche und vornehmlich die Zweiherrschaft der beiden Großmächte im Deutschen Bunde -- diese Ideale standen ihm so uner- schütterlich fest, daß er sogar die Freunde Radowitz und Canitz wegen ihrer freieren Ansichten über Oesterreich bald als Abtrünnige beargwöhnte und des radikalen "Germanismus" beschuldigte. Ueberhaupt urtheilte er, wie sein Bruder Leopold, über politische und kirchliche Gegner mit fanatischer, unchristlicher Härte; er verhehlte nicht, daß ihm der Gegensatz der Mei- nungen noch wichtiger schien als selbst der Gegensatz der Nationalitäten. Von eigenen staatsmännischen Gedanken besaß sein wesentlich kritischer Geist wenig; er vermochte wohl die Sünden der gottlosen Zeit mit erbar- mungsloser Schärfe zu geißeln, doch wenn es sich fragte was zu thun sei, dann entdeckten der junge Otto v. Bismarck und die anderen praktischen Talente unter seinen Anhängern mit Erstaunen, daß der geistreiche Mann immer nur schulmeisterte und eigentlich an Allem zu tadeln fand. Darum konnte er nur der gefürchtete Schriftsteller der hochconservativen Partei werden, niemals ihr Führer. Und wie wenig stimmte doch die unzweifelhaft ernst gemeinte fromme Salbung seiner mit Bibelsprüchen überladenen poli-
*) S. o. III. 116.
**) S. o. I. 285.
***) S. o. III. 405.
Canitz. Gröben. Die Gebrüder Gerlach.
den Argwohn der Demagogenverfolger erregte.*) Die enthuſiaſtiſche Kreuz- fahrergeſinnung jener frommen Tage bewahrte er ſein Leben lang. Was ihm an politiſchem Urtheil abging erſetzte er durch unverbrüchliche Treue gegen ſeinen chriſtlichen König und durch eine allgemeine Menſchenliebe, welche Gerechte und Ungerechte ſo ohne jeden Unterſchied ſanftmüthig um- faßte, daß Königin Eliſabeth einmal ſagte: der gute Gröben wird uns näch- ſtens von dem lieben, vortrefflichen Nero ſprechen.
Während Gröben nur das ritterliche Gefühl unbedingter Königstreue hegte, waren die drei Brüder v. Gerlach erklärte Hallerianer. Sie ſtammten von jenem hochangeſehenen alten Kammerpräſidenten, der einſt ſeine Kurmark gegen die napoleoniſchen Erpreſſungen unerſchrocken ver- theidigt, nachher, verſtimmt über die Reform der Verwaltung, den Staats- dienſt verlaſſen und gleich darauf das Oberbürgermeiſteramt von Berlin übernommen hatte.**) Der Muth, die Vaterlandsliebe, die conſervative Geſinnung des Vaters vererbten ſich auf die Söhne; zwei von ihnen trugen das eiſerne Kreuz. Der zweite Sohn, der Gerichtspräſident Lud- wig war ein gelehrter, ſcharfſinniger Juriſt, gerecht nach oben wie nach unten, ſehr eiferſüchtig auf die Unabhängigkeit des Richterſtandes. Wie weit ihn aber ſein kirchlicher Feuereifer führen konnte, das hatte er ſchon vor Jahren gezeigt, als er die halliſchen Rationaliſten durch die rückſichts- loſe Veröffentlichung ihrer Katheder-Ausſprüche bekämpfte und dafür den Beifall ſeines kronprinzlichen Freundes fand.***) Der chriſtliche Staat, die freie rechtgläubige Kirche und vornehmlich die Zweiherrſchaft der beiden Großmächte im Deutſchen Bunde — dieſe Ideale ſtanden ihm ſo uner- ſchütterlich feſt, daß er ſogar die Freunde Radowitz und Canitz wegen ihrer freieren Anſichten über Oeſterreich bald als Abtrünnige beargwöhnte und des radikalen „Germanismus“ beſchuldigte. Ueberhaupt urtheilte er, wie ſein Bruder Leopold, über politiſche und kirchliche Gegner mit fanatiſcher, unchriſtlicher Härte; er verhehlte nicht, daß ihm der Gegenſatz der Mei- nungen noch wichtiger ſchien als ſelbſt der Gegenſatz der Nationalitäten. Von eigenen ſtaatsmänniſchen Gedanken beſaß ſein weſentlich kritiſcher Geiſt wenig; er vermochte wohl die Sünden der gottloſen Zeit mit erbar- mungsloſer Schärfe zu geißeln, doch wenn es ſich fragte was zu thun ſei, dann entdeckten der junge Otto v. Bismarck und die anderen praktiſchen Talente unter ſeinen Anhängern mit Erſtaunen, daß der geiſtreiche Mann immer nur ſchulmeiſterte und eigentlich an Allem zu tadeln fand. Darum konnte er nur der gefürchtete Schriftſteller der hochconſervativen Partei werden, niemals ihr Führer. Und wie wenig ſtimmte doch die unzweifelhaft ernſt gemeinte fromme Salbung ſeiner mit Bibelſprüchen überladenen poli-
*) S. o. III. 116.
**) S. o. I. 285.
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ihm an politiſchem Urtheil abging erſetzte er durch unverbrüchliche Treue
gegen ſeinen chriſtlichen König und durch eine allgemeine Menſchenliebe,
welche Gerechte und Ungerechte ſo ohne jeden Unterſchied ſanftmüthig um-
faßte, daß Königin Eliſabeth einmal ſagte: der gute Gröben wird uns näch-
ſtens von dem lieben, vortrefflichen Nero ſprechen.
Während Gröben nur das ritterliche Gefühl unbedingter Königstreue
hegte, waren die drei Brüder v. Gerlach erklärte Hallerianer. Sie
ſtammten von jenem hochangeſehenen alten Kammerpräſidenten, der einſt
ſeine Kurmark gegen die napoleoniſchen Erpreſſungen unerſchrocken ver-
theidigt, nachher, verſtimmt über die Reform der Verwaltung, den Staats-
dienſt verlaſſen und gleich darauf das Oberbürgermeiſteramt von Berlin
übernommen hatte. **) Der Muth, die Vaterlandsliebe, die conſervative
Geſinnung des Vaters vererbten ſich auf die Söhne; zwei von ihnen
trugen das eiſerne Kreuz. Der zweite Sohn, der Gerichtspräſident Lud-
wig war ein gelehrter, ſcharfſinniger Juriſt, gerecht nach oben wie nach
unten, ſehr eiferſüchtig auf die Unabhängigkeit des Richterſtandes. Wie
weit ihn aber ſein kirchlicher Feuereifer führen konnte, das hatte er ſchon
vor Jahren gezeigt, als er die halliſchen Rationaliſten durch die rückſichts-
loſe Veröffentlichung ihrer Katheder-Ausſprüche bekämpfte und dafür den
Beifall ſeines kronprinzlichen Freundes fand. ***) Der chriſtliche Staat,
die freie rechtgläubige Kirche und vornehmlich die Zweiherrſchaft der beiden
Großmächte im Deutſchen Bunde — dieſe Ideale ſtanden ihm ſo uner-
ſchütterlich feſt, daß er ſogar die Freunde Radowitz und Canitz wegen ihrer
freieren Anſichten über Oeſterreich bald als Abtrünnige beargwöhnte und
des radikalen „Germanismus“ beſchuldigte. Ueberhaupt urtheilte er, wie
ſein Bruder Leopold, über politiſche und kirchliche Gegner mit fanatiſcher,
unchriſtlicher Härte; er verhehlte nicht, daß ihm der Gegenſatz der Mei-
nungen noch wichtiger ſchien als ſelbſt der Gegenſatz der Nationalitäten.
Von eigenen ſtaatsmänniſchen Gedanken beſaß ſein weſentlich kritiſcher
Geiſt wenig; er vermochte wohl die Sünden der gottloſen Zeit mit erbar-
mungsloſer Schärfe zu geißeln, doch wenn es ſich fragte was zu thun ſei,
dann entdeckten der junge Otto v. Bismarck und die anderen praktiſchen
Talente unter ſeinen Anhängern mit Erſtaunen, daß der geiſtreiche Mann
immer nur ſchulmeiſterte und eigentlich an Allem zu tadeln fand. Darum
konnte er nur der gefürchtete Schriftſteller der hochconſervativen Partei
werden, niemals ihr Führer. Und wie wenig ſtimmte doch die unzweifelhaft
ernſt gemeinte fromme Salbung ſeiner mit Bibelſprüchen überladenen poli-
*) S. o. III. 116.
**) S. o. I. 285.
***) S. o. III. 405.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/39>, abgerufen am 23.11.2024.
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