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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Eichhorn hingegen erkannte als erfahrener Geschäftsmann den Weg, der
allein zur Aufhebung des alten harten Territorialsystems führen konnte.
Es gelang ihm zwar nicht, den Monarchen von seinen geheimen Lieb-
lingsgedanken abzubringen -- denn wer hätte das je vermocht? -- wohl
aber bewog er ihn, die Selbständigkeit der Landeskirche zunächst durch
freiere Ausbildung ihrer bestehenden Institutionen vorzubereiten. So
wurden denn seit 1841 die im Osten fast verschwundenen Kreissynoden
neu belebt, 1844 die Provinzialsynoden einberufen. Im folgenden Jahre
erhielten die Consistorien erweiterte Befugnisse und eigene Präsidenten,
während sie bisher fast nur die Prüfung der Candidaten selbständig be-
sorgt, die Regierungen aber die eigentlich kirchliche Verwaltung geleitet
hatten.

Das Alles geschah unter dem stillen Widerstande der Mehrzahl
der Minister; Graf Arnim und die anderen unter seinen Amtsgenossen,
welche gleich ihm früher an der Spitze einer Regierung gestanden hatten,
konnten sich, nach der alten bureaukratischen Ueberlieferung, unabhängige
kirchliche Behörden gar nicht vorstellen. Bedenklicher war, daß der Mon-
arch selbst die gesunde, freie kirchliche Selbstverwaltung, die in Rheinland
und Westphalen aufzublühen begann, sehr mißtrauisch betrachtete.*) Diese
Presbyterien waren ihm zu modern, sie erinnerten ihn zu sehr an das
gottlose Repräsentativsystem. Nicht ihnen wollte er die Kirchenzucht an-
vertrauen, sondern allein der gläubigen Gemeinde, der "Kirche". Ver-
geblich wendete Thiele ein, solche ganz im Glauben einige Gemeinden be-
stünden heute nur noch selten.**) Friedrich Wilhelm blieb dabei, die große
Idee des evangelischen Priesterthums würde geschändet, wenn auch Gleich-
giltige und Ungläubige an den Wahlen und den Aemtern theilnähmen;
niemals begriff er, daß diese idealistische Doctrin nicht ohne Heuchelei und
unevangelischen Zwang verwirklicht werden konnte. Andererseits wollte
er, aus Scheu vor der römischen Kirche, den Presbyterien des Westens
nicht einmal eine berechtigte kirchliche Nothwehr gestatten; er untersagte
ihnen, pflichtvergessene Hausväter, die ihre Kinder allesammt katholisch
erziehen ließen, von den kirchlichen Aemtern auszuschließen.

Doch die Zeit drängte. Angesichts der überhandnehmenden Sektirerei
und des gewaltigen Aufschwungs der ultramontanen Partei mußten die
evangelischen Landeskirchen Deutschlands versuchen sich innerlich zu kräftigen
und sich untereinander fester zusammenzuschließen. Niemand empfand
dies früher als der ganz unkirchlich gesinnte, aber politisch kluge König
von Württemberg. Die clericalen Umtriebe in seinem eigenen Lande und
die ultramontane Politik des verhaßten bairischen Nachbarhofes beunruhigten
ihn schwer. Schon am 28. Arpil 1843 übersendete er dem Gesandten

*) S. o. III. 403.
**) Thile an Eichhorn, 15. Juni 1844.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Eichhorn hingegen erkannte als erfahrener Geſchäftsmann den Weg, der
allein zur Aufhebung des alten harten Territorialſyſtems führen konnte.
Es gelang ihm zwar nicht, den Monarchen von ſeinen geheimen Lieb-
lingsgedanken abzubringen — denn wer hätte das je vermocht? — wohl
aber bewog er ihn, die Selbſtändigkeit der Landeskirche zunächſt durch
freiere Ausbildung ihrer beſtehenden Inſtitutionen vorzubereiten. So
wurden denn ſeit 1841 die im Oſten faſt verſchwundenen Kreisſynoden
neu belebt, 1844 die Provinzialſynoden einberufen. Im folgenden Jahre
erhielten die Conſiſtorien erweiterte Befugniſſe und eigene Präſidenten,
während ſie bisher faſt nur die Prüfung der Candidaten ſelbſtändig be-
ſorgt, die Regierungen aber die eigentlich kirchliche Verwaltung geleitet
hatten.

Das Alles geſchah unter dem ſtillen Widerſtande der Mehrzahl
der Miniſter; Graf Arnim und die anderen unter ſeinen Amtsgenoſſen,
welche gleich ihm früher an der Spitze einer Regierung geſtanden hatten,
konnten ſich, nach der alten bureaukratiſchen Ueberlieferung, unabhängige
kirchliche Behörden gar nicht vorſtellen. Bedenklicher war, daß der Mon-
arch ſelbſt die geſunde, freie kirchliche Selbſtverwaltung, die in Rheinland
und Weſtphalen aufzublühen begann, ſehr mißtrauiſch betrachtete.*) Dieſe
Presbyterien waren ihm zu modern, ſie erinnerten ihn zu ſehr an das
gottloſe Repräſentativſyſtem. Nicht ihnen wollte er die Kirchenzucht an-
vertrauen, ſondern allein der gläubigen Gemeinde, der „Kirche“. Ver-
geblich wendete Thiele ein, ſolche ganz im Glauben einige Gemeinden be-
ſtünden heute nur noch ſelten.**) Friedrich Wilhelm blieb dabei, die große
Idee des evangeliſchen Prieſterthums würde geſchändet, wenn auch Gleich-
giltige und Ungläubige an den Wahlen und den Aemtern theilnähmen;
niemals begriff er, daß dieſe idealiſtiſche Doctrin nicht ohne Heuchelei und
unevangeliſchen Zwang verwirklicht werden konnte. Andererſeits wollte
er, aus Scheu vor der römiſchen Kirche, den Presbyterien des Weſtens
nicht einmal eine berechtigte kirchliche Nothwehr geſtatten; er unterſagte
ihnen, pflichtvergeſſene Hausväter, die ihre Kinder alleſammt katholiſch
erziehen ließen, von den kirchlichen Aemtern auszuſchließen.

Doch die Zeit drängte. Angeſichts der überhandnehmenden Sektirerei
und des gewaltigen Aufſchwungs der ultramontanen Partei mußten die
evangeliſchen Landeskirchen Deutſchlands verſuchen ſich innerlich zu kräftigen
und ſich untereinander feſter zuſammenzuſchließen. Niemand empfand
dies früher als der ganz unkirchlich geſinnte, aber politiſch kluge König
von Württemberg. Die clericalen Umtriebe in ſeinem eigenen Lande und
die ultramontane Politik des verhaßten bairiſchen Nachbarhofes beunruhigten
ihn ſchwer. Schon am 28. Arpil 1843 überſendete er dem Geſandten

*) S. o. III. 403.
**) Thile an Eichhorn, 15. Juni 1844.
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[362/0376] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. Eichhorn hingegen erkannte als erfahrener Geſchäftsmann den Weg, der allein zur Aufhebung des alten harten Territorialſyſtems führen konnte. Es gelang ihm zwar nicht, den Monarchen von ſeinen geheimen Lieb- lingsgedanken abzubringen — denn wer hätte das je vermocht? — wohl aber bewog er ihn, die Selbſtändigkeit der Landeskirche zunächſt durch freiere Ausbildung ihrer beſtehenden Inſtitutionen vorzubereiten. So wurden denn ſeit 1841 die im Oſten faſt verſchwundenen Kreisſynoden neu belebt, 1844 die Provinzialſynoden einberufen. Im folgenden Jahre erhielten die Conſiſtorien erweiterte Befugniſſe und eigene Präſidenten, während ſie bisher faſt nur die Prüfung der Candidaten ſelbſtändig be- ſorgt, die Regierungen aber die eigentlich kirchliche Verwaltung geleitet hatten. Das Alles geſchah unter dem ſtillen Widerſtande der Mehrzahl der Miniſter; Graf Arnim und die anderen unter ſeinen Amtsgenoſſen, welche gleich ihm früher an der Spitze einer Regierung geſtanden hatten, konnten ſich, nach der alten bureaukratiſchen Ueberlieferung, unabhängige kirchliche Behörden gar nicht vorſtellen. Bedenklicher war, daß der Mon- arch ſelbſt die geſunde, freie kirchliche Selbſtverwaltung, die in Rheinland und Weſtphalen aufzublühen begann, ſehr mißtrauiſch betrachtete. *) Dieſe Presbyterien waren ihm zu modern, ſie erinnerten ihn zu ſehr an das gottloſe Repräſentativſyſtem. Nicht ihnen wollte er die Kirchenzucht an- vertrauen, ſondern allein der gläubigen Gemeinde, der „Kirche“. Ver- geblich wendete Thiele ein, ſolche ganz im Glauben einige Gemeinden be- ſtünden heute nur noch ſelten. **) Friedrich Wilhelm blieb dabei, die große Idee des evangeliſchen Prieſterthums würde geſchändet, wenn auch Gleich- giltige und Ungläubige an den Wahlen und den Aemtern theilnähmen; niemals begriff er, daß dieſe idealiſtiſche Doctrin nicht ohne Heuchelei und unevangeliſchen Zwang verwirklicht werden konnte. Andererſeits wollte er, aus Scheu vor der römiſchen Kirche, den Presbyterien des Weſtens nicht einmal eine berechtigte kirchliche Nothwehr geſtatten; er unterſagte ihnen, pflichtvergeſſene Hausväter, die ihre Kinder alleſammt katholiſch erziehen ließen, von den kirchlichen Aemtern auszuſchließen. Doch die Zeit drängte. Angeſichts der überhandnehmenden Sektirerei und des gewaltigen Aufſchwungs der ultramontanen Partei mußten die evangeliſchen Landeskirchen Deutſchlands verſuchen ſich innerlich zu kräftigen und ſich untereinander feſter zuſammenzuſchließen. Niemand empfand dies früher als der ganz unkirchlich geſinnte, aber politiſch kluge König von Württemberg. Die clericalen Umtriebe in ſeinem eigenen Lande und die ultramontane Politik des verhaßten bairiſchen Nachbarhofes beunruhigten ihn ſchwer. Schon am 28. Arpil 1843 überſendete er dem Geſandten *) S. o. III. 403. **) Thile an Eichhorn, 15. Juni 1844.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/376>, abgerufen am 23.11.2024.